"Der große Ausbruch": Nur drei kamen durch

"Gesprengte Ketten": Ausschnitt aus dem Filmplakat(c) Imago Stock&People
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Vor 70 Jahren gelang 76 Kriegsgefangenen die Flucht aus dem NS-Lager Stalag Luft III. Bis auf drei wurden alle wieder erwischt. Berühmt wurde der Ausbruch durch einen Hollywood-Film.

Am 24. März 1944 versuchen rund 200 Gefangene, aus dem deutschen Kriegsgefangenenlager Stalag Luft III auszubrechen. 76 von ihnen gelangen durch einen der drei Fluchttunnel in die Freiheit, aber nur drei werden nicht wieder geschnappt. Für 50 der entflohenen Kriegsgefangenen ist ihr Ausbruchsversuch auch das Todesurteil: Sie werden auf direkten Befehl Adolf Hitlers hingerichtet - offiziell heißt das "auf der Flucht erschossen". Weltbekannt wird diese Flucht 1963 durch den Hollywood-Film "Gesprengte Ketten" mit Stars wie Steve McQueen, James Coburn, James Garner und Charles Bronson.

Stalag Luft III (Stammlager Luft) ist vor allem für gefangengenommene Luftwaffenangehörige bestimmt. Der Lagerstandort nahe der heute polnischen Stadt Sagan gilt aufgrund seiner Bodenbeschaffenheit als besonders ausbruchsicher. Das hindert die Gefangenen unter Führung des britischen Luftwaffenoffiziers Roger Bushell (im Film gespielt von Richard Attenborough) aber nicht, drei Tunnel mit den Codenamen "Harry", "Tom" und "Dick" zu graben. Bushell gelang übrigens schon zweimal zuvor - im Juni und im Oktober 1941 - die Flucht aus deutscher Kriegsgefangenschaft.

"Pinguine" entsorgen die anfallende Erde

Bushell trifft im Oktober 1942 im Stalag Luft III ein. Im Frühjahr 1943 reift schließlich der Plan zur Massenflucht. Tunnel "Tom" ist der wichtigste Tunnel und soll der eigentliche Fluchttunnel sein. "Harry" ist als Reservetunnel konzipiert und "Dick" soll gegebenenfalls geopfert werden, um von den beiden anderen abzulenken. "Tom" wird allerdings nach fünf Monaten Bauzeit entdeckt (übrigens der 98. Tunnel, der im Lager entdeckt wird), weshalb sich daraufhin alle Aktivitäten auf "Harry" konzentrieren.

Rekonstruktion des Lagers Stalag Luft III.
Rekonstruktion des Lagers Stalag Luft III.(c) Wikimedia Commons

Die Tunnel sind sehr tief - rund neun Meter unter der Erde - und mit 0,6 Meter Durchmesser sehr schmal. Holz aus den Baracken, vorwiegend aus den Betten, wird zur Stützung der Tunnelmauern verwendet: Befanden sich zu Beginn rund 20 Bretter unter den Matratzen, sind es zum Zeitpunkt der Flucht nur mehr rund acht pro Bett. Eine Pumpe wird gebaut, um Frischluftzufuhr zu garantieren. Zum Logistikproblem wird allerdings die Beseitigung der anfallenden Erde. Daher werden Gartenbeete angelegt und viele Kriegsgefangene machen Rundgänge, bei denen sie die gesammelte Erde im Lager verstreuen. Aufgrund ihrer unnatürlichen Gehweise werden sie intern als "Pinguine" bezeichnet.

Warten auf eine mondlose Nacht

Die Kriegsgefangenen sammeln Karten, Stempel, Reiseerlaubnisse, Zugpläne, Kompasse und offizielle Dokumente, die gefälscht werden können - auch mit Unterstützung deutscher Wachmänner, die mit Zigaretten, Kaffee und Schokolade bestochen werden. Zudem sammeln sie deutsche Uniformen sowie Zivilkleidung, die umgenäht wird. Die Deutschen scheinen zwar zu spüren, dass irgendetwas in Gang ist, können aber keine Beweise für einen weiteren Tunnelbau finden. Einmal werden sogar die 19 am meisten verdächtigen Kriegsgefangenen ohne Vorwarnung in ein anderes Lager verlegt - tatsächlich waren aber nur sechs von ihnen maßgeblich an den Fluchtplänen beteiligt.

Von den rund 600 Gefangenen, die am Tunnel mitbauen, soll nur ein Drittel fliehen. Diese 200 Auserwählten werden wiederum in zwei Gruppen geteilt. Unter den ersten 100 befinden sich Kriegsgefangene mit Deutschkenntnissen und Fluchterfahrung sowie jene Männer, die am meisten beim Tunnelbau mitgearbeitet haben. Nach Fertigstellung von "Harry" müssen die Gefangenen aber noch eine Woche warten, ehe eine mondlose Nacht bevorsteht, die eine Flucht im Dunkeln ermöglicht.

Der Tunnel ist zu kurz

Der Verlauf von Tunnel
Der Verlauf von Tunnel "Harry".(c) Wikimedia Commons (CSvBibra)

Das Entsetzen der Fluchtwilligen ist groß, als sie feststellen müssen, dass der Tunnel ein wenig zu kurz geraten ist. Der Ausstieg aus dem Tunnel erfolgt - der Planung widersprechend - knapp vor der Waldgrenze und in der Nähe eines Wachturms. Zudem ist der Boden schneebedeckt, jeder Flüchtende hinterlässt beim bodennahen Kriechen also eine dunkle Spur. Aufgrund der Nähe zum Wachturm schlüpfen daher auch nur maximal zehn Mann pro Stunde aus dem Tunnel - geplant war eigentlich ein Ausstieg im Ein-Minuten-Takt. Schon bald wird klar, dass nicht mehr als 100 Mann flüchten werden können. Auch ein Luftangriff der Alliierten, der einen Stromausfall in Camp und Tunnel verursacht, verlangsamt die Fluchtbemühungen - um ein Uhr in der Früh stürzt sogar ein Teil ein, der Tunnel muss repariert werden.

Bis 4.55 Uhr entsteigen dennoch 76 Männer dem Tunnel und kriechen in die vorläufige Freiheit. Dann sieht einer der Wachmänner eine Silhouette aus dem Tunnel steigen und gibt Alarm. Fieberhaft beginnen die Deutschen nach dem Tunneleinstieg in Baracke 104 zu suchen. Die Kriegsgefangenen haben Zeit, ihre gefälschten Papiere zu verbrennen. Fündig werden die Deutsche erst, als ein deutscher Wachmann durch den Tunnel kriecht und bis zum Einstieg vorstößt.

Kein Amerikaner unter den Ausbrechern

Jene die draußen sind, stehen vor anderen Problemen. Viele finden den Weg zur Bahnstation bis zum Sonnenaufgang nicht und verpassen ihren Nachtzug. Zudem ist es der kälteste Winter seit 30 Jahren, was die Flüchtigen dazu zwingt, den Schutz der Bäume und Felder zu verlassen und Straßen zu verwenden. Der Film "Gesprengte Ketten" hält sich dabei dicht an die historischen Begebenheiten des Fluchtversuchs. Tatsächlich befindet sich - ganz anders als im Film - aber kein einziger amerikanischer Kriegsgefangener unter den 76 Ausbrechern. Zwar sind Amerikaner am Tunnelbau beteiligt, allerdings werden sie sieben Monate vor dem Massenausbruch verlegt.

Eine der faszinierendsten Szenen aus dem Film, die allerdings nicht der historischen Wahrheit entspricht.
Eine der faszinierendsten Szenen aus dem Film, die allerdings nicht der historischen Wahrheit entspricht.(c) Imago Stock&People

Bushell selbst wird wie 49 seiner Kameraden wenige Tage nach der Flucht hingerichtet. Nur drei Kriegsgefangenen, alle drei Piloten, gelingt tatsächlich die Flucht: Den Norwegern Per Bergsland und Jens Müller sowie dem Niederländer Bram van der Stok. Die Norweger gelangen per Boot ins neutrale Schweden. Van der Stok schafft es bis nach Frankreich, ehe er Unterschlupf im britischen Konsulat in Spanien findet.

Lagerkommandant kommt 1947 wieder frei

Die Flucht hat auch für den deutschen Lagerkommandanten Friedrich Wilhelm von Lindeiner-Wildau Konsequenzen. Er wird durch einen Vertrauten von Hermann Göring ersetzt. Ihm droht das Kriegsgericht, dem er sich durch Vortäuschen einer Geisteskrankheit entziehen kann. Er gerät später in britische Kriegsgefangenschaft, wird aber 1947 entlassen und stirbt 1963 im Alter von 82 Jahren - zwei Monate bevor der Hollywood-Film in die Kinos kommt. Einigen an den Hinrichtungen beteiligte Gestapoangehörigen wird später von den Alliierten der Prozess gemacht, viele von ihnen werden wegen der Beteiligung an Kriegsverbrechen - die Hinrichtung von Kriegsgefangenen widerspricht der Genfer Konvention - zum Tod verurteilt.

Einer der letzten Überlebenden des legendären Ausbruchs stirbt übrigens 97-jährig im Juni 2010 in einem Veteranenheim in Bishopton bei Glasgow. Der Schotte Jack Harrison war Nummer 98 auf der Liste, gelangte also nicht in Freiheit. Als die deutschen Wachmänner den Ausbruch bemerkten, verbrannte er seinen gefälschten Ausweis und zog seine Häftlingskleidung wieder an. Harrison musste als Gärtner die bei der Tunnelgrabung anfallende Erde in seinen Hosentaschen verstecken und bei der Gartenarbeit in den Gemüsebeeten verteilen.

Ein Jahr vor Harrison starb der britische Pilot Jimmy James, der zu den 76 Ausbrechern zählte. Der damals 28-Jährige wurde rasch wieder geschnappt und ins KZ Sachsenhausen verlegt, wo er allerdings einen Sonderstatus hatte. Das hinderte ihn aber nicht daran, einen erneuten Fluchtversuch durch einen Tunnel zu wagen. Nach wenigen Tagen befand er sich jedoch wieder in deutschen Händen. Seine Erinnerungen sind in seiner Autobiografie "Pechschwarze Nacht - Ein Leben für die Flucht" (Edition Grüntal Verlag) nachzulesen.

>> BBC-Bericht über den Tod des letzten Überlebenden

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>> "The Great Escape": The Making of

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