Rainer Höß: "Erblast meines Horrorgroßvaters"

Rainer Höß bei der Aufzeichnung der ZDF-Talkshow Markus Lanz im Jänner 2015
Rainer Höß bei der Aufzeichnung der ZDF-Talkshow Markus Lanz im Jänner 2015 imago stock&people via www.imago-images.de
  • Drucken

Rainer Höß, der Enkelsohn des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, über seine Jahre des Schweigens und den Vorwurf, er wolle bloß Geld mit seiner Familiengeschichte machen.

Die Presse: Herr Höß, Sie wollen junge Europäer über den Holocaust aufklären und den Vormarsch von Rechtsaußen in Europa verhindern. Wie lebt es sich als Enkelsohn von Rudolf Höß, dem Kommandanten von Auschwitz, der „größten Menschenvernichtungsanlage aller Zeiten“, wie dieser das KZ selbst nannte?

Rainer Höß: Mein Vater und auch seine Geschwister blieben zeitlebens Nazis, auch wenn sie sich in der Öffentlichkeit lange zurückhielten. Meine Tante versorgt derzeit einen der bekanntesten US-Auschwitz-Leugner mit Gegenständen aus dem Familienbesitz. Wirklich geredet über die Zeit haben sie und mein Vater nach dem Krieg nie. Aber hie und da fielen Kommentare. So sagte Vater etwa, als ich 14 war, zu meinem Pastor: „Dich hat mein Vater vergessen abzuholen.“ Auch der Umgang mit einem jüdischen Freund in der Nachbarschaft wurde mir strikt verboten. Zunächst ist da eine große Ohnmacht als Kind und Jugendlicher. Viele Enkelkinder schweigen einfach. Aus Unsicherheit.

Und warum haben Sie dieses Schweigen gebrochen?

Nach einem Schlaganfall vor acht Jahren habe ich mich entschieden, etwas Sinnvolles mit dem Leben, das mir noch bleibt, zu tun, und gegen das Vergessen und damit auch gegen die in ganz Europa neu aufkommenden Rechtsaußenparteien vorzugehen. Während mir vor allem in Deutschland Linke und Journalisten unterstellen, ich tue dies nur, um Geschäfte mit dem Namen meines Opas zu machen, was eine Lüge ist, werde ich von Rechtsextremen mit Drohbriefen überhäuft, weil sie mich als Verräter ansehen.

Wenn ich Geld verdienen wollte, hätte ich die zahlreichen früheren Angebote von Nazibossen annehmen müssen, in ihren Bewegungen aktiv zu werden. Weiter zu schweigen wäre einfacher gewesen, auch für meine Frau und die Kinder. Aber ich möchte die Erblast meines Horrorgroßvaters abbauen – nicht an sie weitergeben, wie es mein Vater tat.

Rechtsaußenparteien haben bei den EU-Wahlen kräftig zugelegt. Einige dieser Parteien werden als gemäßigt bezeichnet, andere als rechtsextrem oder neonazistisch. Was halten Sie von der Unterscheidung in unterschiedliche Rechtslager?

Es ist klar, dass viele dieser Rechtsaußenparteien am Sonntag nur so viele Stimmen bekommen konnten, weil sie auch Mittewähler erreichten. Für mich sind das Wölfe im Schafspelz. Sie alle haben menschenverachtende, rassistische Grundwerte – unabhängig von ihrer Wahlkosmetik. Die Wahlergebnisse beunruhigen mich sehr. Was wird in fünf Jahren bei der nächsten Wahl geschehen? Die NSDAP hatte 1930 nur zwölf Mandate im Reichstag. 1933 waren es 117. Die Partei versuchte bis zur Machterlangung, sich sauber darzustellen, die radikalsten Ideen wurden hintangestellt. Das Gleiche passiert heute. Es ist mehr als alarmierend, dass immer mehr Parteien mit braunem Grund salonfähig werden, einfach weil sie wie einst die NSDAP viele Wählerstimmen bekommen.

Wäre eine Wiederholung der Geschichte möglich?

Es wird sicher nicht zu Vernichtungslagern kommen, wie sie mein Opa geführt hat, dazu sind wir hoffentlich einfach schon zu weit. Aber Konzentrationslager etwa für Flüchtlinge gibt es ja bereits wieder, und auch die kolossale Menschenverachtung für Ausländer aus dem Süden. Sie sind für einige Europäer inzwischen wieder Tiere und keine Menschen. In der Tat sind heute die Moslems das neue Feindbild und die größte Minderheit in Europa. Damals konnten sich die Juden nicht vorstellen, was passieren würde. Heute können wir uns auch nicht vorstellen, was für ein Europa wir vielleicht in zehn bis 20 Jahren haben werden.

Was sagen Sie zu den Vorwürfen, Sie hätten versucht, persönliche Gegenstände Ihres Opas an eine Gedenkstätte in Israel aus Profitgier zu verschachern?

Viele der beteiligten Israelis haben sich inzwischen bei mir dafür entschuldigt. Ich habe nur gefragt, ob Interesse an Gegenständen meines Großvaters besteht. Von einem direkten Angebot, einem Verkauf, war nie die Rede. Journalisten googeln heute nur noch, statt mit den Betroffenen zu reden. Das war eine Zeitungsente. Ich arbeite heute mit namhaften Holocaust-Aufklärern zusammen. So hat mich Eva Moses Kohr, die mit ihrer ermordeten Zwillingsschwester in Auschwitz von Doktor Josef Mengele gefoltert wurde, zu einer Gedenkveranstaltung eingeladen. Außerhalb von Deutschland wird mir viel Respekt für meine Arbeit gezollt. Eva Moses Kohr wird im Übrigen auch und trotz ihrer unfassbaren Erlebnisse heute von Israelis beschuldigt, nur wegen Geld und Ruhm aufzuklären. Es ist nicht nur ungerecht, sondern auch krank, so zu denken.

ZUR PERSON

Rainer Höß (49) ist der Enkel von Rudolf Höß. Er versucht, mit einer Kampagne der schwedischen Jungsozialdemokraten den Vormarsch der Rechtsradikalen einzudämmen. Sein von den schwedischen Jusos produzierter Clip ist ein YouTube-Hit.
Rudolf Höß (Bild) war von Mai 1940 bis November 1943 Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz. Er wurde als Kriegsverbrecher 1947 hingerichtet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.