Deutschland: Ein Feld der Erinnerung gefällt und zerfällt

GERMANY HOLOCAUST MEMORIAL
GERMANY HOLOCAUST MEMORIAL(c) EPA
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Die Betonstelen des Berliner Holocaust-Mahnmals weisen tiefe Risse auf. Wurde es schon beim Bau kaputtgespart? Für Irritationen sorgt der unbeschwerte Umgang der Touristen mit dem Gedenkort.

Das Werk war scheinbar wohl geraten, Ende 2004, und der Bauleiter war sich sicher: „Die Stelen sind aus gutem Beton gefertigt. Sie halten tausend Jahre.“ Das Versprechen war freilich etwas unsensibel formuliert. Immerhin ging es um das Holocaust-Denkmal im Herzen Berlins, von wo aus die Nazis tausend Jahre Schrecken über die Erde verbreiten wollten. Schon dreizehn Jahre reichten für das Menschheitsverbrechen aus, dessen hier gedacht wird. Und keine zehn Jahre hat es gedauert, um den Techniker Lügen zu strafen: An einem großen Teil der 2711 anthrazitfarbenen, hohlen Betonquader bilden sich bedrohliche Risse. Kanten bröckeln, der Zement bröselt.

Einmal mehr zeigt das riesige Stelenfeld, eine meditative Totenstadt und ein Labyrinth der Gedanken und Gefühle, für welche Überraschungen die Geschichte gut ist. Wo die Ministerien und Bunker der Mörder standen, wo sich wenig später die Todeszone der Mauer breitgemacht hat, staunen heute fröhliche Touristen über ein weltoffenes Deutschland, das mit seiner Geschichte ins Reine kommt, weil es nichts an ihr verleugnet. Das Denkmal, um das jahrzehntelang ungemein verkrampft gerungen wurde, ist verblüffend rasch zu einem ganz unverkrampften, selbstverständlichen Teil des Berliner Alltagslebens geworden – genau so, wie es Peter Eisenman erhofft hat. Aber damit hätte auch der amerikanische Architekt niemals gerechnet: dass bereits 44 der Betonquader derart beschädigt sind, dass sie nur noch durch hässliche Stahlmanschetten gesichert werden können.

Auf Materialtests verzichtet

Bereits kurz nach der feierlichen Eröffnung im Frühling 2005 zeigten sich erste, feine Risse an der Oberfläche. Sie konnten noch recht leicht mit Injektionsharz verschlossen werden werden. Doch immer mehr, auch über zwei Millimeter breite Risse traten auf, oft über die ganze Höhe der Quader. Im Prinzip nicht überraschend: An der Sonnenseite heizt sich der dunkle Beton auf bis zu 80Grad an, auf der Schattenseite bleibt es kühl. Die Temperaturdifferenz schafft Spannungen, es kommt zu Rissen. Nur das Ausmaß hat alle überrascht: den Architekten, den Lieferanten und das Kuratorium der Bauherren, der Stiftung und des Senats. Seit Jahren rätseln sie, wer Schuld an den Mängeln hat. Die großen Weichen haben sie gemeinsam gestellt: die Stelen nicht aus massivem Beton zu gießen, sondern hohle Blöcke mit 15 Zentimetern breiten Wänden zu bauen – was sie leichter und vor allem günstiger macht. Nur die Blöcke mit über zwei Metern Höhe innen mit Stahl zu versteifen. Und bei den kleineren auf eine spezielle Rezeptur zu vertrauen, für die es noch keine Langzeiterfahrung gab. Auf aufwendige Belastungstests wie in der Autoindustrie verzichtete man. Der Architekt war von der Farbe begeistert, die Bauherren von den relativ niedrigen Kosten (15 Mio. Euro; zusammen mit dem unterirdischen Museum kostete das Denkmal knapp 28Mio.). Nun stellt sich die heikle Frage: Hat der Lieferant zu viel versprochen? Oder sind die Auftraggeber das „Restrisiko“ bewusst eingegangen? Schärfer gefragt: Wurde das wichtigste und heikelste Denkmal der Bundesrepublik von Kleinkrämern kaputtgespart? Fest steht: Eine Schadensbehebung in großem Stil käme teuer. Ein kompletter Austausch der Stelen dürfte einen zweistelligen Millionenbetrag kosten.

Eisenman sieht das Problem gewohnt gelassen: „Alles verwittert“, erklärte der 81-Jährige der „Zeit“. Was liegt an einem Totengedenkort näher, als sich von bröckelndem Material an die Vergänglichkeit erinnern zu lassen? Neue Assoziationen tauchen auf, zu den alten jüdischen Friedhöfen von Prag oder Krakau mit ihren uralten Steinen, windschief und ergreifend. Doch das sind Bilder, die so gar nicht zu diesem Denkmal passen, das v.a. eine Erfolgsgeschichte ist.

Ort der Hoffnung und der Currywurst

41 Millionen Menschen, die Hälfte davon Deutsche, haben das Monument schon besucht. Es strahlt Würde aus, gemahnt an eine dunkle Geschichte und wird doch paradoxerweise „gern mal besucht“, so wie es sich der frühere Kanzler Schröder gewünscht hat. Auch Eisenman wollte keinen heiligen Boden der einbetonierten Schuldgefühle, sondern einen „Ort der Hoffnung“, nicht der belastenden, sondern der befreienden Erinnerung. Freisinnig ließ er alle Deutungen offen und vertraute darauf, dass die Besucher mit der Geschichte leben lernen, ob gesittet oder nicht: „Menschen werden in dem Feld picknicken, Kinder werden in dem Feld Fangen spielen.“ Genau so ist es gekommen. Und das ist es, was viele Besucher heute am stärksten irritiert: der respektlose Umgang mit dem, was doch Respekt gebietet. Das Areal ist von Currywurstbuden gesäumt. Touris in Badeschlapfen posieren grinsend vor ihren Handykameras, jausnen und sonnen sich auf den Stelen. Was täglich hundertfach geschieht, erregt nur noch bei einem Promi Ärger: Der Schlagersänger Patrick Lindner erzeugte mit einem Facebook-Foto, das ihn lässig hingestreckt zwischen zwei Stellen zeigt, immerhin noch einen Shitstorm. So weist dieses lebendigste aller Denkmäler zum Andenken der Toten auch auf die dümmliche Geschichtsvergessenheit nachfolgender Generationen hin. Doch das Labyrinth der Stelen ist für alle da: Tief unten in den schmalen Gassen lassen sich auch Kontemplation und Besinnung weiter erleben.

Das Mahnmal ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, die Geschichte im Heute. Vielleicht haben es die Neonazi-Glatzen gerade deshalb nie wirklich gewagt, es zu schänden: 15 Hakenkreuze in zehn Jahren, das ist auf der riesigen Fläche so gut wie nichts. Und mit dem speziellen Graffitischutz auf der Betonoberfläche waren sie rasch wieder entfernt – zumindest an solche Gefahren hatten die Bauherren gedacht.

AUF EINEN BLICK

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin wurde 2005 nach jahrzehntelangen Debatten und Planungen eröffnet. Das Stelenfeld des amerikanischen Architekten Peter Eisenman besteht aus 2711 hohlen Betonquadern in unterschiedlicher Höhe auf abfallendem Grund, zwischen denen 70 Zentimeter schmale Gassen verlaufen. Das Denkmal ist sehr beliebt, leidet aber an Baumängeln: Der Beton zeigt immer tiefere Rissen und bröckelt an den Kanten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2014)

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