"Gavrilo Princip ein menschliches Antlitz zurückgeben"

Gavrilo Princip
Gavrilo Princip (c) imago/United Archives Internatio (imago stock&people)
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100 Jahre nach dem Attentat von Sarajewo präsentiert Österreichs Botschafter in Belgrad ein Buch über den Todesschützen - in dessen einstigem Lieblingsrestaurant.

Selten wurde die Bedeutung des Begriffs "Genius Loci" so fasslich wie an diesem Dienstagabend in Belgrad, als der österreichische Journalist Gregor Mayer sein kürzlich erschienenes Buch "Verschwörung in Sarajewo" vorstellte. Das frisch renovierte Ecklokal, in dem dies geschah, wäre eigentlich nicht der Rede wert - handelte es sich nicht um den "Goldenen Stör" - das einstige Lieblingsgasthaus des Todesschützen Gavrilo Princip im Stadtviertel Mala Sava.

Viele Stunden hatte der bosnische Serbe Princip einst hier zugebracht, zwischen kettenrauchenden und Rakija trinkenden Komitatschis (Freischärler). Er hatte deren Erzählungen aus den Balkankriegen gelauscht und Pläne geschmiedet gegen die ihm verhasste Okkupationsmacht Österreich-Ungarn, die seit 1878 seine Heimat Bosnien-Herzegowina besetzt hielt und sie schließlich 1908 annektiert hatte.

Wie viel Zeit seit dem Attentat vor hundert Jahren tatsächlich vergangen ist, zeigte schon die Tatsache, dass die Präsentation im "Goldenen Stör" von Johannes Eigner, Österreichs Botschafter in Belgrad, vorgenommen wurde. Er habe den Eindruck, dass Mayer in seinem Buch einen dritten Weg "zwischen Dämonisierung und Heroisierung" (letztere ist in Serbien nach wie vor weit verbreitet, das zeigt schon ein gelegentlicher Blick in die Zeitungen) gehen wolle. Ob Princip damit ein "menschliches Antlitz" zurückgegeben werden solle, wollte der Botschafter vom Autor wissen, der die Frage rundheraus bejahte.

Occupy statt Attentat?

Es ist denn auch der empathische Zugang, der an Mayers Buch zunächst auffällt. Ausführlich schildert er im ersten Kapitel die für die Gesundheit des TBC-kranken Attentäters letztlich letalen Haftbedingungen im Festungskerker von Theresienstadt.

Den Schwerpunkt legt der Autor allerdings auf die Beleuchtung des geistigen Umfelds Princips und seiner Kameraden, vor allem ihrer sozialrevolutionären Wurzeln, für die er Sympathie durchblicken lässt, ihrer Belesenheit, die ihn fasziniere, ihres seit 1912 manifesten jugoslawischen Einschlags. Der Autor legt die Beweggründe der gelegentlich als "romantisch" apostrophierten Mittelschüler für das Attentat dar - freilich nicht im Sinne einer Rechtfertigung desselben. Ob es der Spekulation am Ende des Buches, Princip stünde heute womöglich an der Spitze von "Occupy", tatsächlich bedurft hätte, sei dahingestellt.

"Österreich ging als Besatzungsmacht mit den bosnischen Serben nicht sehr gut um", konstatierte Mayer am Dienstag, stellt aber richtigerweise in Rechnung, dass Wien jenes die serbischen Bauern ausbeutende Bodenrecht von der osmanischen Herrschaft einfach übernommen habe. Die Hoffnung der Serben, dass sich das unter der christlichen österreichischen Herrschaft ändern würde, wurde enttäuscht. Gleichzeitig sei in Bosnien-Herzegowina der "faszinierende Versuch eines Nationbuildings" durch die Wiener Behörden zu beobachten. Auch wenn dieser Versuch, dadurch eine Legitimationsbasis für das Einverleiben des Landes zu schaffen, letztlich kläglich gescheitert ist.

"Wien behandelte sie wie Nigger im Kongo"

Auch hier geht Mayer, bezugnehmend auf den britischen Historiker Robin Okey, einen Mittelweg: Er geißelt die Ungerechtigkeiten der Okkupation, verschweigt aber gleichzeitig nicht die positiven Auswirkungen der österreichisch-ungarischen Verwaltung im Land. Der Zugang des Journalisten Mayer gerät dabei wesentlich objektiver als der des Historikers Dusan Batakovic von der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste, der auf einer Belgrader Konferenz zum Ersten Weltkrieg kürzlich gemeint hatte, die Okkupationsmacht habe die Serben in Bosnien-Herzegowina behandelt wie Belgien die "Nigger im Kongo". Ein solches Kolonialsystem à la Belgique könne man doch nicht einer tausend Jahre alten, etablierten Nation wie der serbischen überstülpen, sagte Batakovic, den heutigen Nationsbegriff einfach in die Vergangenheit projizierend.

Auch hundert Jahre nach den Schüssen von Sarajewo ist das Thema ganz offensichtlich noch für einige Kontroversen gut.

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