Heeresgeschichtliches Museum: Kein Zauber der Montur mehr

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Die neue Dauerausstellung führt auf Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs und erzählt auch vom Elend nach der Kriegsbegeisterung.

Ein sonniger Tag. Touristen schieben vor dem Heeresgeschichtlichen Museum Geschütze herum und stimmen sich so auf den Besuch ein. Inmitten des Platzes ein Brunnen mit dem Denkmal eines müden, zusammengekrümmten Soldaten. Die Dauerausstellung zum Ersten Weltkrieg wurde zum Gedenkjahr neu gestaltet. Der Beginn wirkt nicht gerade verlockend: Exponate aus der Bibliothek. Doch dann fällt der Blick auf ein Kinderbuch. Auch die Kleinen waren von der Propaganda nicht ausgenommen. Friedlich spielen sie im Gras und essen Früchte. Da hüpft ein übles Pack in Stiefeln über den Zaun. Aber die Überfallenen sind nicht so hilflos wie sie aussehen. Die braven Buben verhauen kurzerhand die Angreifer.

„Der Krieg gehört ins Museum“, als dieser Slogan fürs Gedenkjahr gewählt wurde, gab es noch nicht den Krieg in der Ukraine und im Gazastreifen. Die Bilder in den Medien sind naturgemäß viel lebendiger, als es ein statisches Panorama je sein könnte. Aber das Museum leistet etwas anderes: Entschleunigung, Besinnung.

„Wer war schuld am Ersten Weltkrieg?“, fragte jüngst das „Profil“; „Kann man Kriege verhindern?“, titelte die „Zeit“. Im HGM findet man keine direkten Antworten auf solche Fragen. Aber die neue Schau, gestaltet von HGM-Chef Christian Ortner, ist sehenswert, nicht zuletzt durch ihre Architektur, Rampen, Auf- und Abstiege, durch die Perspektiven, die sich so ergeben. Ein zentrales Element der Sammlung wurde neu inszeniert: die Exponate vom Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand. Das Automobil, in dem er mit seiner Gattin erschossen wurde, die Uniform, das Kanapee, auf dem er starb, prägen einen auratischen Raum. „FF“ sieht auf Gemälden meistens starr, martialisch aus, hier gibt es eins, da wirkt er jugendlich, locker.

Blick aus einer Panzerkuppel

Die Schausammlung ist im Wesentlichen chronologisch gegliedert. Man sieht viele Uniformen und Waffen, doch vom Zauber der Montur ist hier nichts zu bemerken. Leider werden auch Aufbau und Organisation des riesigen multinationalen Heeres nicht recht plastisch. Mit 1094 Infanterie-Bataillons zog die k. u. k. Armee in den Weltkrieg. Ein Bataillon umfasst, je nach Truppengattung, 300 bis 1200 Soldaten. Im Ersten Weltkrieg starben fast neun Millionen Soldaten; er war ein Massenkrieg und eine Materialschlacht. Auf die Festung Antwerpen wurden 14.520 Granaten gefeuert. Monumental: eine Belagerungshaubitze von 1916, sie wiegt 81 Tonnen. Vor allem die Flugtechnik wurde rasant vorangetrieben. Zu Kriegsende hatte Österreich-Ungarn 5300 Flugzeuge.
Einige der berühmtesten sind ausgestellt, etwa der Prototyp Albatros, ein Schul- und Aufklärungsflugzeug. Durch den schmalen Schlitz einer Panzerkuppel sieht man auf ein Schlachtfeld in Frankreich. Interessant anzuhören sind die Original-Tondokumente mit den Ansprachen von Kaiser Franz Joseph, Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf und anderen hohen Militärs: Der Ton ist würdig und zeremoniell. Befremdlich: Neben einem Gemälde mit serbischen Kriegsgefangenen ist nur die Biografie des Malers vermerkt. Trotzdem erzählen die Maler viel vom Elend, das sich nach anfänglicher Kriegsbegeisterung einstellte: Vor allem Albin Egger-Lienz erschüttert mit den „Namenlosen 1914“ und einem Gemälde mit Leichenbergen.

Im Londoner Imperial War Museum ließ sich vor Jahren der Kampf im Schützengraben derart plastisch akustisch erfahren, dass der Besucher nach wenigen Sekunden flüchten wollte. So drastisch geht man im HGM nicht vor.

Vergangener Prunk

In der Abteilung gegenüber der Schau über den Ersten Weltkrieg ist jene über den Zweiten Weltkrieg, dort gibt es eine ausgezeichnete Dokumentation der Zwischenkriegszeit: Vor den Kriegshandlungen kam die kriegerische Rhetorik. Ein Sündenbock war schnell ausgemacht: Die Juden, auf dicken Geldsäcken wurden sie abgebildet. „500.000 Arbeitslose, 400.000 Juden“, „Wiener erwacht, gebt Hitler die Macht“, hieß es bald, Goebbels und Göring besuchten Wien. Wie können aus Menschen Unmenschen werden? Offenbar sehr leicht, wie man im HGM sieht.

Dabei schaut alles sehr prunkvoll aus, z. B. im oberen Stock die goldene Halle mit den Tafeln, auf ihnen die Namen der Militärs der k. u. k. Monarchie. Mit Prinz Eugen stieg Österreich zur Großmacht auf, mit Franz Joseph zerfiel das Reich, die großen Heerführer waren oft Selfmademen wie Feldmarschall Radetzky. In weißer Uniform ließ er sich porträtieren, sein Ehrensäbel, der Orden vom Goldenen Vließ sind zu sehen, die Totenmaske, geisterhaft, die Züge verwittert.

Eine Zäsur im Niedergang der Monarchie war die Schlacht von Königgrätz 1866: Kommandant Ludwig von Benedek verlor an einem einzigen Tag 44.000 Mann. Das Gemälde von Vaclav Sochor zeigt ein schauriges Chaos von Sterbenden, Leichen, gestürzten Wagen und Pferden. Zerrissen von Nationalismus und religiösen Konflikten, verstrickt in eine endlose Reihe von Kriegen, das ist die Geschichte Europas: Das HGM, geografisch an der Peripherie von Wiens Zentrum angesiedelt – so wie der Krieg derzeit an der Peripherie Europas – erinnert daran.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2014)

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