Das Rätsel um Wallenberg bleibt offen

Das letzte Bild von Wallenberg
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Historiker um Stefan Karner forschten in Moskauer Archiven.

Budapest, 12. Jänner 1945. In der schwedischen Botschaft in der Gyopár-Straße findet ein Abendessen statt. Der 32-jährige Raoul Wallenberg, Botschaftssekretär, Handelsattaché, Sohn der reichsten Industriellenfamilie Schwedens, hat drei Freunde eingeladen. Ottó Fleischmann, Károly Szabó und Pál Szalai. Am nächsten Tag will er sich bei den Russen melden, die die Stadt bereits umzingelt haben. Er will sich für seine Schützlinge einsetzen, deren Leben er jahrelang vor dem Zugriff der Nazis bewahrt hat: Tausende hat er mit schwedischen Schutzpässen gerettet, während die Gestapo die ungarischen Juden in Ghettos zusammentrieb und dann zur Vernichtung abtransportierte. Er gilt heute als „Gerechter unter den Völkern“. Straßen und Plätze sind weltweit nach ihm benannt. Nur sich selbst konnte er nicht retten.

Am 13. Jänner 1945 verschwand er unter ungeklärten Umständen in sowjetischer Haft. 1947 starb er. Wo und wann und warum – damit beschäftigte sich ein wissenschaftliches Symposium, dessen Erkenntnisse nun vorliegen („Auf den Spuren Wallenbergs“, Studien-Verlag). Der Historiker Stefan Karner, der in Moskauer Archiven wie zu Hause ist, stellt im Gespräch mit der „Presse“ dezidiert fest: Wallenberg hat die Geheimdienstzentrale Lubjanka 1947 nicht mehr lebend verlassen. Alle Spekulationen, dass der Judenretter noch jahrelang im Gulag dahinvegetierte, seien illusorisch. Bücher und Filme, die damit spekulierten, unseriös.

„Es ist sinnlos, nach 1947 weiterzuforschen, solange die schwedische Seite nicht alle Dokumente zugänglich macht“, sagt Karner im Gespräch mit der „Presse“. Warum aber behindert Schweden die Forscher auf so eigenartige Weise, die nur unnötige Verschwörungstheorien nähre? Vielleicht gab es ein Körnchen Wahrheit am sowjetischen Vorwurf der Westspionage? Vergleichbar mit dem österreichischen Fall Margarethe Ottillinger . . .

Aber was geschah mit den drei Essensgästen Wallenbergs am Abend vor seiner Verhaftung? Fleischmann konnte sich nach Wien retten, den beiden anderen wurde 1953 ein Schauprozess wegen Spionagebeihilfe gemacht. Nach Stalins Tod allerdings stellte man das Verfahren schleunigst ein und ließ die beiden Angeklagten laufen – nachdem sie halbwegs aufgepäppelt waren. Sie erlagen bald danach ihren Verletzungen durch Folter.

Wallenberg, sagt der schwedische Botschafter Nils Gustav Daag, „kämpfte gegen eine Terrordiktatur seiner Zeit und wurde Opfer der anderen“. Nur so viel ist gewiss: Das von russischer Seite heute angegebene Todesdatum Wallenbergs, 17. Juli 1947, ist falsch. Karner: „Es gab einen Ukas Stalins, dass das Todesdatum in politischen Verfahren stets falsch anzugeben war.“

So wird es wohl auch im Fall Wallenberg gewesen sein. Aber was wirklich auf dem Weg von Budapest nach Moskau geschah, warum Wallenberg plötzlich zum Gefangenen wurde – das bleibt nach wie vor offen. (hws)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2014)

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