Architektur: Bauen für Hitler und andere Teufel der Macht

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Eine Ausstellung über die Planungen der Nationalsozialisten in Wien erinnert daran, dass Baumeister nie vor Bauherren zurückschreckten, die sich monumental verewigen wollten und das Geld dazu hatten.

Der britische Autor George Orwell, der mit den Monumenten der Nazis wie jenen der UdSSR vertraut war, brachte es auf den Punkt. Während die Dichtkunst selbst in Zeiten totalitärer Regime unbehelligt, wenngleich im Heimlichen weiterbestehen könne, wären „Halbkünste wie die Architektur“ von der Herrschaft abhängig, ja würden sogar profitieren: Bauen braucht Auftraggeber, und Architektur war immer eines der einflussreichsten Kommunikationsinstrumente jener, die über die Mittel verfügten und auch die Macht besaßen, sie einzusetzen.

Morgen eröffnet im Wiener Architekturzentrum die Ausstellung „Wien. Die Perle des Reiches“. Sie zeigt die Bau- und Planungstätigkeit der NS-Zeit am Beispiel Wien und wirft so auch die Frage auf, wie Architektur und Städtebau vereinnahmt und missbraucht werden können. Hitlers Pläne, Wien monumental auszubauen, wurden nie realisiert. Helden- und Rathausplatz wurden nie jene befestigten Aufmarschplätze, die sich Hitler vorgestellt hatte. Doch die Planungen, die Visionen von Monumentalachsen, die durch das Fleisch der Stadt schneiden, sind erhalten, und viel des nun Ausgestellten war bis dato öffentlich noch nie zu sehen.

Saddam, Stalin, Ceauşescu

Die Nationalsozialisten sind nicht die Einzigen, die via Architektur eine weit sichtbare öffentliche Geschichte über sich selbst erzählen. So gut wie alle politischen Führer haben sich dieses Mediums bedient, von den Pharaonen bis zu den heutigen Tempeln der Macht in Form megalomanischer Gebäude für multinationale Konzerne oder politische Machthaber aller Art. Saddam Hussein etwa ließ zum „Sieg“ im Zweiten Golfkrieg in Bagdad eine gewaltige Moschee errichten („Mutter aller Schlachten“), die 2001 an seinem Geburtstag fertig wurde. Das grotesk dimensionierte Gebäude erinnert mit seinen Minaretten an eine Abschussrampe für Raketen. Innen ausgestellt: ein Koran, angeblich mit dem Blut des Diktators geschrieben.
„Es gibt“, notierte Architekturtheoretiker Deyan Sudjic, „eine psychologische Parallele zwischen dem Markieren der Landkarte mit einem Gebäude und der Ausübung politischer Macht.“ Jede politische Kultur befleißige sich des Bauens auch, um Gesten zu setzen: „Wenn jedoch die Grenze zwischen politischem Kalkül und Psychopathologie verschwimmt, wird die Architektur nicht mehr nur zu einem Gegenstand praktischer Politik, sondern zu einer Fantasie, gar zu einer Krankheit, die ihre Opfer aufzufressen droht.“

In der Sowjetzeit waren diese Opfer unter anderem uralte Kirchenbauten Moskaus, sie mussten demonstrativer Machtarchitektur Platz machen. Die „Sieben Schwestern“, auch „Stalinfinger“ genannten Wolkenkratzer, die das Stadtbild prägen, sollten ein städtebauliches Ensemble rund um das krönende Hauptwerk, den „Palast der Sowjets“, bilden: Doch der Bau stand unter einem schlechten Stern. Der Sowjet-Palast hätte mit 415 Metern das höchstes Gebäude der Welt werden sollen, doch der Baugrund war zu sumpfig, schließlich ging auch das Geld aus.

Den Architekturwettbewerb gewann mit Boris Iofan ein im Westen Unbekannter. Teilnehmer waren aber auch Le Corbusier, Walter Gropius und Erich Mendelson. Die Frage, ob sich Architekten in den Dienst fragwürdiger Systeme stellen dürfen, ist also nicht neu. Sie erhielt frisches Futter, als der Holländer Rem Koolhaas 2012 in Peking einen gewagten Turm für das Staatsfernsehen fertigstellte und dafür heftige Kritik aus dem Westen bekam. Doch Koolhaas nahm es gelassen: „Ich habe mich nie einer Illusion über das Verhältnis von Architektur und Macht hingegeben.“

Auch sonst baut Peking kraftvoll an seiner Macht. Auf dem Höhepunkt wurde die Hälfte der Weltbetonproduktion in Chinas Großbaustellen versenkt. Im Vergleich dazu nehmen sich die Grands Projets des früheren französischen Präsidenten François Mitterrand nachgerade mickrig aus, obwohl er eine für europäische Verhältnisse außergewöhnliche Bauwut hatte. „Ich baue für Frankreich“, verkündete er, es entstanden in Paris etwa die Pyramide vor dem Louvre, das Institut der Arabischen Welt und ein gigantischer, in Stahl und Beton gegossener Triumphbogen, die Grande Arche im Finanzviertel La Défense.

Drehbücher einer neuen Epoche

Die Reihe der Machtbauten ließe sich fast unendlich fortsetzen. Anhand Ceauşescus Parlamentspalast in Bukarest etwa, für den an die 700 Architekten beschäftigt waren, und der mit 365.000 Quadratmetern nach dem Pentagon das zweitgrößte Verwaltungsgebäude der Welt ist. Anhand des viel sympathischeren Anliegens Mustafa Kemal Atatürks, mit westlichen Architekten, wie dem Österreicher Clemens Holzmeister, aus einer verschlafenen 20.000-Seelen-Gemeinde namens Ankara ab 1923 eine moderne Hauptstadt aus dem Boden zu stampfen.

Wer denkt, das Paviangehabe wäre überwindbar, schaue nach Asien und auf die Golfstaaten. Eine architektonische Pfauenfeder nach der anderen schießt empor. Als 1998 in Kuala Lumpur mit den Petronas Towers die höchsten Zwillingstürme der Welt (452 Meter) eröffnet wurden, erlitt der Westen einen Schock – Sears Tower in Chicago, World Trade Center in New York, alle abgeschlagen. „Immer, wenn Architektur das Drehbuch für eine neue Epoche geschrieben hat, ist etwas Wichtiges passiert“, meinte Koolhaas.

Mittlerweile stehen die höchsten Häuser in Dubai, Tokio, Shanghai, Mekka, Guangzhou. Geplant wurden sie von einem Architekturzirkus aus der ganzen Welt. Der verstorbene Philip Johnson, einer der politisch wendigsten Architekten des 20. Jahrhunderts, wäre sicher dabei. Er betonte stets: „Ich würde sogar für den Teufel persönlich bauen.“

Architekturzentrum Wien: „Wien. Die Perle des Reiches. Planen für Hitler“. 19. März bis 17. August.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2015)

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