Fall Borodajkewycz: Vor 50 Jahren war Heinz Fischer mutig

Heinz Fischer
Heinz Fischer (c) REUTERS
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Antisemitische Witze eines Geschichtsprofessors führten zu Demonstrationen und schließlich zum Tod des Pensionisten Ernst Kirchweger.

Am 23. März 1965 war der große Hörsaal der Wiener Hochschule für Welthandel noch voller als sonst. Die ÖH hatte eingeladen, um einen Professor zu hören, der sich gegen linke „infame“ Anschuldigungen zur Wehr setzen wollte. Sein Name: Taras (von) Borodajkewycz (62), Historiker an dieser Hochschule, die heute Wirtschaftsuniversität Wien heißt

Sein „Fall“ beschäftigte schon seit 1962 die Medien und Gerichte. Es war der SPÖ-Klubsekretär Heinz Fischer, der dem einstigen NS-Mitglied antisemitische Urtöne in dessen Vorlesungen vorhielt. Diese Vorwürfe veröffentlichte er in der „Arbeiter-Zeitung“, Borodajkewycz klagte wegen Verleumdung – und Fischer, heute Bundespräsident, wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Den Wahrheitsbeweis konnte Fischer nicht vorlegen, weil sein Freund Ferdinand Lacina zwar Mitschriften angefertigt hatte, aber mit dem Welthandelsstudium noch nicht fertig war.

Und nun – vor fünfzig Jahren – ging Borodajkewycz, ein kleiner nervöser Zigarettenraucher mit einem akkurat gestutzten Schnurrbärtchen, in die Offensive. Er glaubte sich seines Netzwerks in der ÖVP und im katholischen CV sicher zu sein. Schon beim Betreten des Audimax empfing ihn kräftiger Applaus. Als er über seine Prozesse gegen Fischer und die „AZ“ berichtete und dabei den jüdischen Parteianwalt „Rooosenzweig“ erwähnte, gab es das erste Gelächter.

Und so ging es dann weiter: „Sie kennen meine Vorlesungen und wissen, dass ich tatsächlich Persönlichkeiten der Geschichte, die aus dem Judentum stammen, als solche deklariere, und ich werde das auch weiterhin tun, weil es meine Pflicht als Historiker ist, nicht wahr, und ich sehe nicht ein, warum jemand darüber beleidigt sein sollte. Wenn mir jemand sagt: Herr Borodajkewycz, Sie sind slawischer Abstammung – was mein Name eindeutig sagt –, bin ich ja auch nicht beleidigt darüber. Ich kann nicht sagen, dass Kelsen Israeli war, weil damals der Staat Israel noch nicht existiert hat.“ Großer Beifall – auch, als er sich dazu bekannte, 1934 freiwillig der NSDAP beigetreten zu sein.

Die „Arbeiter-Zeitung“ äußerte ihre Besorgnis über diese Umtriebe und über das beifällige Gejohle der Studenten. Schon tags darauf kam es zu den ersten Demonstrationen gegen Borodajkewycz und seine Vorlesungspraxis. Bald gesellten sich zu Widerstandsbewegung und linken Studentenkreisen auch Gewerkschafter und die katholische Hochschuljugend. Der Höhepunkt sollte aber erst am 31. März erreicht werden.

Wer war dieser Mann, der eine ganze Studiengeneration durcheinanderwirbelte, Gespenster der Vergangenheit exhumierte, eine veritable Koalitionskrise heraufbeschwor und das VP-Regierungsteam vor eine Zerreißprobe stellte?

Schüler des Ritters von Srbik

Aus schlesischem Adel stammend, in Baden bei Wien aufgewachsen, für den Priesterstand auserkoren, brach Borodajkewycz zunächst das Theologie-, dann auch das Philosophiestudium ab und promovierte 1932 in Geschichte. Das Schicksal machte ihn zum Assistenten des Historikers Heinrich v. Srbik, der an der Alma Mater tonangebend war.

Seit Studienzeiten gehörte er als guter Katholik dem Cartellverband an, von dem er sich nie trennen sollte und in dem er sich durchaus Meriten erwarb. So etwa als Sekretär des Katholikentags 1933, wofür ihm der Papst den Orden „Pro Ecclesia et Pontifice“ verlieh. Aber schon im Jänner 1934 wurde er Mitglied der illegalen NSDAP. Er versuchte sich als „Brückenbauer“ zwischen politischem Katholizismus und dem aufstrebenden Nationalsozialismus.

1935 begann seine Tätigkeit in der NSDAP als Mitarbeiter des NS-Nachrichtendiensts. Wichtiges illegales Aktenmaterial verwahrte er als Beamter im Haus-, Hof- und Staatsarchiv der Republik. Seine Wohnung stellte er der Stabsführung der SA für Sitzungen zur Verfügung.

Zunächst Dozent an der Wiener Uni, unterrichtete Borodajkewycz ab 1942 Allgemeine Neuere Geschichte an der Deutschen Universität Prag. Und er blieb ein gläubiger Sohn der Mutter Kirche, was von den Nazis gar nicht gern gesehen wurde. Als er 1943 beiläufig feststellte, der Krieg sei für Hitler nicht mehr zu gewinnen, wollte ihn die NSDAP sogar ausschließen. Letztlich blieb es – nach Rekurs – bei einer Verwarnung.

Schon 1946 war Borodajkewycz bereits „entnazifiziert“, als „minderbelastet“ pardoniert. Seinen guten Beziehungen zum Unterrichtsminister Heinrich Drimmel und dem späteren Bundeskanzler Josef Klaus verdankte es der Historiker, schon ab 1955 wieder als a. o. Professor an der Wiener Hochschule für Welthandel lehren zu dürfen.

Doch die Zeiten hatten sich geändert, man war sensibler geworden, hörte genauer zu, was der Vortragende an vermeintlich witzigen Aperçus anzubieten hatte. „Das Geflunker von der österreichischen Nation“ war noch das Harmloseste. Bei der Geschichte der Weimarer Republik durfte „der jüdische Hugo Preuß“ nicht fehlen, Rosa Luxemburg titulierte er als „jüdische Massenaufpeitscherin“, die von Männern ermordet wurde, welche einem „herrlichen deutschen Freikorps“ angehörten. Auch über Himmlers SS-Todesengel Reinhard Heydrich wusste er etwas: „Heydrichs Großmutter war Jüdin, die SS wusste das, obwohl er persönlich ein ausgezeichnet aussehender, blonder, intelligenter und sympathischer Mensch war . . .“

Inzwischen hatte Ferdinand Lacina sein Studium beendet, jetzt konnte man mit der Niederschrift vor Gericht die Revision der Verurteilung Fischers fordern. Es folgte eine Demo, die zum Tod eines kommunistischen Widerstandskämpfers führen sollte.

Nächsten Samstag: Der Totschlag an Ernst Kirchweger

(''Die Presse'', Print-Ausgabe, 21.03.2015)

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