Argentinien: Nazi-Fluchtburg im Urwald entdeckt?

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Wissenschaftler stießen an der Grenze zu Paraguay auf mysteriöse, stark befestige Gebäude. Sie fanden Meißner Porzellan und deutsche Münzen aus der NS-Zeit.

Buenos Aires. Die Hitze ist höllisch, die Luft schwer und von Moskitos getränkt, das Dickicht ringsum besiedeln Schlangen. Der Strom, dessen Wasser träge hügelabwärts fließt, ist der erdbraune Rio Paraná. Keine Heimstatt für „Herrenmenschen“. Oder doch? Nun ist ein Forschungsteam aus argentinischen Archäologen den lang kursierenden Gerüchten nachgegangen, dass drei verwitterte Gebäude im Urwald in Argentiniens Nordprovinz Misiones geflohenen Nazis als Unterschlupf gedient hätten.

Mit Macheten kämpften sich die Forscher durch die Vegetation des Nationalparks Teyú Cuaré, bis sie zu einer Häusergruppe gelangten, die auf einem Hügel angelegt war, oberhalb des Flusses, der bis heute die weitgehend unkontrollierte grüne Landesgrenze darstellt. „Dieser Ort hat den Vorteil, dass man innerhalb von Minuten nach Paraguay gelangen kann“, sagte der Teamleiter, Daniel Schavelzón, Direktor des Centro de Arquelogia Urbana an der Universität von Buenos Aires. „Dieses Gelände ist geschützt und gut zu verteidigen. Ich denke, dass das hier ein Versteck für hohe Nazis sein sollte.“

Gleichwohl, merkte der Archäologe an, handle es sich hierbei erst um vorläufige Schlüsse.

Drei Meter dicke Mauern

Diese gründen vor allem auf Funden im Ruinengelände. So bargen die Forscher deutsche Münzen, die zwischen 1938 und 1944 geprägt wurden. Außerdem stießen sie auf Reste von Meißner Porzellan. Die Gebäudegruppe gliedert sich in ein größeres Wohnhaus, ein Wirtschaftsgebäude und einen kleineren, inzwischen fast völlig überwucherten Unterstand, offenbar für Wachpersonal. Die Bauten fallen durch ihre solide Bauweise auf.

In der Urwaldgegend, wo die meisten Behausungen in Holz ausgeführt werden, sind Steinmauern von bis zu drei Metern Dicke vollkommen unbekannt. Auch wenn die Funde deutschen Geldes aus den 1940er-Jahren nicht notwendigerweise auf einen Nazi-Bau schließen lassen, so sei die versteckte und strategisch günstige Position des Geländes ein erhebliches Indiz, sagte Forschungsleiter Schavelzón.

Bewohnt wurde die mutmaßliche Fluchtburg jedoch wohl niemals. Die politische Entwicklung machte es gar nicht nötig, sich im Hinterwald zu verstecken. Unter dem Hitler-Bewunderer Juan Domingo Perón war Argentinien das Land, das nach dem Krieg die meisten ehemaligen Nazis einbürgerte, darunter auch schwer belastete Kriegsverbrecher. Die argentinische Historikerkommission CEANA hat 180 Massenmörder identifiziert, doch ist diese Zahl wahrscheinlich zu niedrig.

Die meisten Schwerbelasteten entgingen in Argentinien der Strafe. Ausnahmen: der 1960 von Israels Geheimdienst gefangene Adolf Eichmann, SS-Kommandant Josef Schwammberger, der 1990 nach Deutschland ausgeliefert wurde, und SS-Offizier Erich Priebke, der 2013 in Italien starb.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2015)

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