Juli 1945: Ein Monatsgehalt für ein Packerl Zigaretten

(c) Rolf M. Urrisk, „Wien, Band 6, Weisshaupt-Verlag 2015
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In Wien gibt es wieder den Schilling. Die Kinder müssen wegen Unterernährung in die Ferien – Telefone haben nur Privilegierte.

Wien, im Juli 1945: Im Schloß Cecilienhof zu Potsdam tagte immer noch die Konferenz der Alliierten. In der Tageszeitung „Neues Österreich“ war zu lesen, dass sie ein Ultimatum an Japan gerichtet hatten: Die Alternative hieß „bedingungslose Kapitulation oder völlige Zerstörung“. „Wie tödlich die zweite Möglichkeit war, ahnten wir nicht, wie waren über den Atombomben-Test vom 16. Juli in Neumexiko nicht informiert.“ Dies berichtete die „Presse“-Journalistin Pia Maria Plechl in ihren 1995 veröffentlichten Erinnerungen.

Für die Hietzinger Arztfamilie, in der die zwölfjährige Pia Maria das Kriegsende miterlebte, war das Radio die wichtigste Nachrichtenquelle. Immerhin tobte ja außerhalb von Europa noch immer der Zweite Weltkrieg. „Der Vater hatte gartenseitig auf dem Dach eine kleine Hochantenne angebracht, über die man mit einem alten Apparat Mittel- und Langwellensender empfangen konnte.“ Viele Mitbürger hatten dieses Privileg nicht: Die Besatzungssoldaten hatten ihnen die Radioempfänger weggenommen, „obwohl ihnen versprochen worden war, sie brauchten – anders als die besiegten Deutschen – ihre Geräte nicht abzuliefern“. Die Telefonapparate dagegen waren auch in Wien abmontiert worden. Genauer gesagt: Sie waren einfach von der Wand gerissen worden.

Erst nach und nach bekamen die ersten privilegierten Haushalte wieder einen Fernsprechapparat. Ein „Viertel-Telefon“. „Dem Kind war die Benützung verboten – aber wen hätte ich auch anrufen sollen? Die Freundinnen hatten noch lang keinen Anschluss.“

Am 22. Juli war für die Pflichtschulen in Wien der sofortige Beginn der Sommerferien angeordnet worden. Das war so nicht vorgesehen gewesen, sollte doch das im Frühjahr kriegsbedingt Versäumte nachgeholt werden. Aber: „Die andauernde Hitzeperiode und die durch mangelhafte Ernährung der Kinder geminderte geistige und körperliche Spannkraft lassen eine ersprießliche Fortführung des Unterrichts nicht erhoffen“, schrieb der geschäftsführende Stadtschulrat-Präsident Leopold Kunschak.

Löschteich vor dem Rathaus

Einer lang herbeigesehnten Schnaufpause gingen jene ungelernten Arbeitskräfte, darunter auch „Illegale“, entgegen, die den Löschteich auf dem Rathausplatz beseitigt hatten, der nun ja nicht mehr gebraucht wurde. In erstaunlich kurzer Zeit war von den nur 35 Männern das Wasser ausgepumpt, eine Drainage angelegt, der Aushub der 5000 m3 Erdmaterial weggeschafft, der Betonrand weggestemmt und dann das Becken sowie die Baugrube des vor Kriegsende begonnenen Bunkerbaus zugeschüttet worden. Planierung und Pflasterung seien fast fertiggestellt, hat nun das „Neue Österreich“ berichtet, aber: „Rathaus und Burgtheater harren noch der Instandsetzung, die sicherlich noch einige Zeit erfordern wird.“

Mittlerweile gab es auch schon das erste „österreichische“ Geld: In Erinnerung an die Vorkriegszeit nannte man die Währung wieder Schilling. Vorerst freilich mussten Banknoten für den Zahlungsverkehr dienen (Bild), denn die alten Reichsmark waren gehortet worden, also herrschte Metallmangel. Manche Städte behalfen sich anfangs mit eigenem Papiergeld, die Wiener Verkehrsbetriebe gaben einfach Gutscheine aus – im Wert von fünf Groschen und einem Schilling. Die britische Besatzungsmacht verwendete schon Kunststoffmarken in ihrem Bereich: sogenannte Torken aus gelbem und rotem Bakelit zu zehn bzw. zwanzig Groschen. Diese sechseckigen „Münzen“, die in Sheffield produziert wurden, galten freilich nur in speziellen Läden, die der Royal Navy, der Army und der Air Force vorbehalten blieben. Bis 15. September galten daneben auch noch die Militärmark, die dann in Alliierte Militärschillinge umzutauschen waren.

Aber wo gab es überhaupt etwas zu kaufen? Im Schleichhandel natürlich, am besten im Wiener Resselpark im Angesicht der Karlskirche. „Fünf Mark, für amerikanische oder britische Sorten sogar bis zu 7,50 Mark, wurden für eine Zigarette verlangt“, berichtete die „Presse“-Doyenne. „Für eine einzige Schachtel bzw. ein Päckchen hätte ein kleiner Angestellter den Schiebern fast ein Monatsgehalt bezahlen müssen.“ Legal erworbene Glimmstengel, die man auf bestimmte Abschnitte der Brotkarten bekam, kosteten pro Stück sechs Pfennig. Für Raucher mit höherem Einkommen war daher eine Ankündigung der Tabakregie eine Freudenbotschaft: Geringe Restbestände von „notverpackten Normalzigaretten“ konnten um 2,10 RM je Stück erworben werden, und zwar mindestens hundert, aber nicht mehr als tausend Stück pro Person.“

Post von West nach Ost

Für eine kleine Sensation sorgte Radio Wien: Die Ravag, Vorgängerin des ORF, hatte über Vermittlung der Roten Hilfe in Steyr eine größere Anzahl von Briefen und Postkarten aus Oberösterreich zur Weiterleitung an Verwandte in der Sowjetzone erhalten. Darunter befanden sich 722 Briefe und 1856 Korrespondenzkarten, die an Empfängeradressen in Wien gerichtet waren. Das war damals absolut nicht selbstverständlich.
Das Wichtigste für viele Familien blieb aber weiterhin die Suche nach den vermissten Ehemännern, Brüdern, Söhnen. Suchanzeigen konnten in einer eigenen Publikation um fünf Reichsmark, die noch immer gültige Währung waren, geschaltet werden. Die Credit-Anstalt und die Firma Meinl stellten einige Filialen als Verkaufslokale zur Verfügung.

„Die Welt bis gestern“ erscheint im Juli/August jeweils montags.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2015)

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