1914–1918: Ein Weltkrieg auf Pump

Kriegsanleihen. Der viel zitierte kleine Mann zeichnete als Patriot und gab all seine Ersparnisse. Die Hocharistokratie besaß hauptsächlich Liegenschaften – und hielt sich vornehm zurück.

Wie finanziert man einen Krieg? Mit dem Geld des kleinen Mannes natürlich, wie sonst? Aber wie sollte die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie die Bürger dazu überreden, Abermillionen für den ersten Maschinenkrieg der Weltgeschichte zu opfern?

Die Antwort des Militärhistorikers Manfried Rauchensteiner: mit Kriegsanleihen. Und dafür wurde mit erstaunlicher Raffinesse und professioneller PR geworben. Nur zu zwei Fünftel hat Österreich den Krieg durch das Budget finanziert, drei Fünftel entfielen bis 1918 auf die Kriegsanleihen. Ob und wie man das Geborgte einmal zurückzahlen würde, das stand in den Sternen. Sicher schwang die Hoffnung mit, die besiegten Kriegsgegner würden einmal Reparationen zahlen müssen...

Im Herbst 1914 wurde die erste Kriegsanleihe aufgelegt. Als 5,5%-Schuldverschreibung, rückzahlbar bis 1.April 1920! Man konnte bei der Post und in allen Banken zeichnen. Der Erfolg war enorm, aber die 2,2 Milliarden Kronen waren bald verpulvert. Es folgte im Mai 1915 die zweite Anleihe, im Herbst die dritte. Der Rückzahlungstermin sollte der 1.Oktober 1930 sein.

Tilgung im Jahr 1958...

Die Patrioten zahlten und zahlten und... So ging es zügig weiter, bis zum 28.Mai 1918, als die achte Kriegsanleihe immerhin 5,8 Milliarden einbrachte, allerdings bereits sehr inflationäre Kronen. Sie sollte bis 1958 getilgt sein.

So gut das in der österreichischen Reichshälfte lief, so holprig in der ungarischen. Denn letztlich ging es ja auch um ein Bekenntnis zum gemeinsamen Vaterland, das sich in Not befand. Die Ungarn verfügten aber auch nicht über so viel Angespartes wie die Deutschen.

Ganz anders die Banken und Sparkassen Böhmens und Mährens. Die Tschechen waren nach den deutschen Österreichern die bei Weitem finanzstärkste Nationalität, dank des hohen Industrialisierungsgrads. Freilich: 85 Prozent der Veranlagungen in der Hauptstadt Prag entfielen auf deutsche Institute und Personen, nur 15 Prozent auf tschechische.

Statthalter Thun musste sich wegen „seiner“ Tschechen rechtfertigen, aber das half alles nichts. Die nationalbewussten Tschechen wollten nicht den Untergang der Habsburgermonarchie mitfinanzieren.

Tschechen blieben vorsichtig

Es waren die Vorstandsmitglieder der Živnostenská banka, des Flaggschiffs des tschechischen Bankenapparats, die ihr Institut aus dem Anleihengeschäft herauszuhalten suchten. Der stellvertretende Generaldirektor wurde im Juni 1916 verhaftet. Er hatte die Werbung für die erste Kriegsanleihe regelrecht untersagt. Er wollte für die Zeit nach dem Kriege möglichst liquid bleiben.

Auch die Armeelieferanten zeichneten brav Anleihen – notgedrungen. Die ungarische Kriegsprodukten AG. (Haditermény r.t.) lieh mit 211 Millionen Kronen fast das Zwanzigfache dessen, was sie vom Wert her an Heer und Flotte lieferte, gefolgt von der Firma Gebrüder Böhler & Co (Wien), die bei den ersten sieben Kriegsanleihen insgesamt 78Millionen Kronen zeichnete. Ihr folgte Dynamit Nobel (Wien) mit 74 Millionen, Wetzler & Co Viktualien (Wien) mit 72Millionen, dann die großen Waffenfabriken: Škoda (Pilsen), mit 61 Millionen, die Österr. Waffenfabriksgesellschaft (Steyr und Wien) mit 67 Millionen sowie die Hirtenberger Patronen- und Zündhütchenfabrik mit 44,5 Millionen und die Manfred-Weiss-Werke in Budapest mit 44,9 Millionen Kronen.

Schwarzenberg als Patriot

Der alte Adel, die Hocharistokratie mit enormem Grundbesitz, hielt sich vornehm zurück. Nur der regierende Fürst Johann Nepomuk von und zu Schwarzenberg, der mit seinen Betrieben und Gütern in Admont, Murau und Frauenberg gar keine großen Lieferungen für das Ärar tätigte, ließ sich nicht lumpen: 72Millionen Kronen brachte er auf. Viele andere Standesgenossen jedoch, die stets Wert darauf legten, zur Elite zu gehören, die sich gern mit Krone und Reich identifizierten, standen nun keineswegs an der Spitze.

Die hohen Zinsen lockten

Rauchensteiner formuliert pointiert: „Für Kleingewerbetreibende, kleine jüdische Brennholz- oder Futtermittellieferanten, bosnische Viktualienhändler und nicht zuletzt die Angestellten und Arbeiter war es meist eine Selbstverständlichkeit, ihren Einsatz für Herrscher und Vaterland auch mit sehr persönlichen Leistungen zu verknüpfen und ihr Erspartes zumindest langfristig zu binden. Vielleicht erlagen sie auch der Verlockung der hohen Verzinsung und schließlich dem vielfachen sozialen wie obrigkeitlichen Druck.“

Das Ergebnis jedenfalls war in seiner Dramatik nicht voraussehbar: Durch das Finanzdebakel in den Jahren nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie sollten sich die sozialen Unterschiede auf ungeahnte Weise verstärken.

Die Werbung für jede Kriegsanleihe war gigantisch. Sparkassen, Finanzämter und vor allem die Postämter waren Zeichnungsstellen. Letztere hatten fallweise bis 21Uhr geöffnet, auch samstags, sonn- und feiertags. Die Anglo-Österreichische Bank betrieb tausende Sammelstellen in Schulen. Das Militär gewährte zweitägige Urlaube, um den Soldaten die Möglichkeit zu geben, Kriegsanleihen zu zeichnen. Mitunter dürfte auch der reguläre Urlaub davon abhängig gemacht worden sein, dass man vorher seiner patriotischen Pflicht Genüge tat. Rauchensteiner: „Man zwang die Leute fast, um ja auch einem jeden eine oder zwei Kronen herauszupressen.“

Kleine Prozentrechnung

Die Statthalter richteten tausende persönliche Schreiben an Angehörige der Oberschicht. Die Obmänner von Genossenschaften wurden vorgeladen, den Kommunen wurden gelegentlich – so im November 1916 – die zu zeichnenden Beträge vorgeschrieben.

Man ging sogar noch weiter: Gemeindebedienstete bekamen großzügige Gehaltsvorschüsse, die mit fünf Prozent verzinst wurden. Und da die Kriegsanleihen damals mit 5,5 Prozent verzinst wurden, konnte man sich immer noch einen kleinen Gewinn ausrechnen.

In den Zeitungen erschienen hunderte Artikel. Die „Neue Freie Presse“ veröffentlichte allein für die zweite Anleihe vierzig Artikel. „Beste Verzinsung bei größter Sicherheit“, hieß es da. Für jede Anleihe wurden tausende Inserate geschaltet. Dienstmädchen, Köchinnen und Stubenmädchen warben bei ihrer Berufsgruppe.

Sogar eine „Bauernregel“ erfanden die Herren Redakteure (Damen gab's kaum in diesem Metier): „Warmer Mai.
Geld wie Heu,
Günstig für die Kriegsanleih.“

Ebenso anspruchslos das „Lied vom feldgrauen Geld“ dessen Refrain lautete:
„Oestreich kämpft mit einer Welt,
Und zum Krieg gehört auch – Geld!
All ihr Männer, all ihr Frauen,
Die ihr Oestreich Heimat nennt,
Habt zum Vaterland Vertrauen,
Gebt ihm, was ihr geben könnt.“

Ohne Bankgeheimnis

Für die Werbeplakate wurden die besten Künstler engagiert. Um die Attraktivität zu unterstreichen, bot die Oesterreichisch-ungarische Bank die Anleihen besonders günstig an: Der Zinssatz wurde von 5,5Prozent auf 6,25 Prozent angehoben. Bankgeheimnis gab es nicht: Die Namen prominenter Anleger wurden veröffentlicht. Der Kaiser z.B. zeichnete die ersten drei Kriegsanleihen mit insgesamt 44Millionen Kronen, der Kriegseintritt Italiens veranlasste ihn, die Summe noch zu erhöhen, damit das Geld nicht ausging, wenn es galt, den „Erbfeind“ zu bekämpfen. Auch die drei minderjährigen Kinder des ermordeten Thronfolgers zeichneten „einen namhaften Betrag“.

Die Enkel sollen zahlen...

Diese Veröffentlichungen erfolgten natürlich mit dem Hintergedanken, die Säumigen und Zaudernden anzutreiben, auch ihren Patriotismus zu dokumentieren. Das Beispiel sollte anfeuern, wer sich ausschloss, auf den konnte mit dem Finger gezeigt werden.

Egal, wie der Krieg ausging: Bei Laufzeiten von vierzig Jahren bis zur Tilgung war abzusehen, dass auch künftige Generationen, Kinder und Enkel, an Österreich-Ungarns (letztem) Krieg mitzahlen würden.

Orden für Sponsoren

Ab der sechsten Kriegsanleihe im Mai 1917 schwand die Begeisterung rasant. In Mähren machte der Satz die Runde: „Die Kriegsanleihe verlängert den Krieg.“ Der Satz zeigte Wirkung. Auch in jenen Kronländern, die bedingungslos am Reich festhielten (Tirol und Vorarlberg etwa), hielten sich die Privaten immer mehr zurück. Es war kein Geld mehr da.

Da half auch keine Ordensflut mehr, die der unglückliche Kaiser Karl zuletzt heraufbeschwor, um Geld einzutreiben. Rauchensteiner: „Da wurden Dutzende Direktoren, Prokuristen und Vorstände zu Kaiserlichen Räten und Hunderte andere Direktoren, Direktorstellvertreter, Schuldirektoren, Obmänner, Redakteure und Advokaten Ritter des Franz-Josephs-Ordens. Noch viel mehr Hunderte bekamen das Goldene Verdienstkreuz.“

Und schließlich wurde alles nur noch Makulatur. All jene, die im „neuen Österreich“ ihre Kriegsanleihen nicht bis zum 15.Mai 1919 einlösen konnten, hatten danach bestenfalls eine Erinnerung an den verlorenen Krieg in Händen in Form von Anleihedokumenten und wertlos gewordenen Coupons.

DAS BUCH

Gekürzt. Der 1200Seiten umfassende Band von Univ.-Prof. Dr. Manfried Rauchensteiner „Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie“ war im Herbst 2013 ein Welterfolg. Das hat bewiesen, dass das Interesse an dieser „Urkatastrophe des 20.Jahhrunderts“ ungebrochen weiter besteht („Die Welt bis gestern“ durfte das Buch vorstellen).

Der Bestseller erscheint nun in überarbeiteter Form, die Josef Broukal gekürzt hat, wieder bei Böhlau. Jetzt hat er 130 Seiten. Das Buch wird im September präsentiert und kostet 14 €.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2015)

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