"Was unsere Patrouillen an Leben fanden, starb den Galgentod"

Franz Arneitz
Franz Arneitz©Privatarchiv der Familie Arneitz
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Ein Kärntner Soldat berichtet 1914 von „himmelschreiendem Unrecht“ an der Ostfront. Begangen durch Offiziere der k.u.k.-Armee. Ein Tagebuchauszug.

Der 21-jährige Kärntner Franz Arneitz wurde am 2. August 1914 zum Kriegsdienst in der k. u. k. Armee einberufen. Vier Jahre stand er im Einsatz, in Galizien und Norditalien, auch an der berüchtigten Isonzofront. Der Sohn eines Bauern und Holzhändlers hielt dabei alle Eindrücke in einem Tagebuch fest. Wir bringen im Folgenden einige Auszüge daraus:

"Am 28. Oktober (1914) stehen wir volle 24 Stunden in der Station Tokterebes. Hier begegnen uns aber schon die ersten Vorboten des Kriegsschauplatzes, nämlich Gräber von Soldaten, die unterwegs starben. In der Station aber schaut es furchtbar aus. Die ganzen Geleise gleichen einem ungeheuer großen Abort – keine Ordnung herrscht in diesen ungarischen Stationen. In der Nacht am 29. Oktober passieren wir Homonna. In Mezolaborc stehen wir vier Stunden, wo man aber schon entsetzliche Wahrnehmungen macht. Ganze Züge von Cholerakranken stehen hier. In manchen Waggons liegen aber schon Tote. Wie man uns berichtet, sind wir nicht mehr weit vom Kriegsschauplatz.

Am 31. Oktober (1914) passieren wir die galizische Grenze und stehen eine kurze Zeit in Mokre. Hinter der Station Zagórz ist eine in die Luft gesprengte Eisenbahnbrücke ein Zeichen, dass hier schon Kämpfe stattgefunden haben. Für das Nachtmahl bekamen wir heute nur ein Stück rohes Fleisch, welches wir selbst zubereiten mussten.

Es ist Allerheiligenabend und wir kampieren in einer Wiese und kochen oder braten unser Stück Schweinefleisch. Das Schwein wurde einem Bauern ganz einfach weggenommen.

Am 2. November kamen wir in der letzten Station Nove Misto an, jedoch unser Zug hielt ca. 20 Minuten vor der Station, da die Station schon in russischem Artilleriefeuer lag. Wir stiegen aus und von hier ging es im Marsch gegen die Front.

Hierher schießt der Russe schon.
Im Dorfe Nove Misto sind aber eine Menge Cholerakranke. Auf beiden Seiten der Straße liegen Tote und mit dem Tode ringende österreichische Soldaten. Uns ist strengstens verboten, das Wasser zu trinken und ebenso das Essen von Obst. Die heimische Bevölkerung ist zum größten Teil noch hier und es sind zum größten Teil Ruthenen vermischt mit Polen und Juden.

Ein für die damalige Zeit kennzeichnendes Soldatenfoto: Franz Arneitz (stehend, Mitte) im Kreise einiger Kameraden des Infanterieregiments Nr.7
Ein für die damalige Zeit kennzeichnendes Soldatenfoto: Franz Arneitz (stehend, Mitte) im Kreise einiger Kameraden des Infanterieregiments Nr.7©Privatarchiv der Familie Arneitz

Von Nove Misto marschieren wir noch ca. zwei Stunden bis zum Dorfe Cindra Nuowa. Dieses Dorfliegt aber gleich hinter der Front. Hierher schießt der Russe schon mit Kanonen. Heute am 4. November kam der Befehl, dass die Zivilbevölkerung binnen zwölf Stunden den Ort Cindra Nuowa zu verlassen hat. Dieses Dorf ist ziemlich groß, es dürfte bei hundert Nummern haben. Alles rennt durcheinander, ein jeder will das Seine fortbringen, es wird auf Wagen aufgeladen. Das Vieh, Geflügel, welches hier sehr viel gezügelt wird, treibt man so hinaus aus dem Dorfe, aufs Geratewohl. Traurig ist es zuzusehen, wie schwer es den Leuten fällt, ihre heimatlichen Schollen zu verlassen und wie sie so dahin müssen und nicht wissen wohin. Man konnte selbstverständlich nur das Nötige fortschaffen. Alles weint, ob Mann oder Weib, Kind oder Greis. Vertrieben sind diese Armen aus ihren Behausungen, jetzt, wo der Winter vor der Tür steht.

Überall „Spione“.
Die zwölf Stunden sind vorbei und unsere Patrouillen durchstreifen das Dorf. Wo sie einen Zivilmenschen antreffen, wird er als Spion verhaftet und ein jeder wird, ohne irgend befragt zu werden, aufgehängt. Ich war Augenzeuge, wie eine Patrouille drei junge Mädchen vor den Major brachte. Ich verstand die Mädchen, was sie sagten. Sie sagten, dass sie ihr Geld in einem Schrank vergaßen, und dieses kamen sie holen. Auf den Knien baten sie den Major, er möge sie freilassen, doch er blieb kalt und sagte: „Fahrt's ab mit der Bagage. Ich habe meinen Befehl bereits gegeben!“ Man zog diese drei Mädchen wie Kälber zum nächsten Baum und zog sie hinauf. Mir war so schwer zumute, als ich sah, wie sie unschuldig gehängt wurden. Die ganze Nacht treiben unsere Patrouillen die armen Bewohner von Cindra Nuowa zusammen und ein jeder, der im Dorfe gefunden wird, entgeht dem Tode nicht. Natürlich findet man noch viele Leute im Dorfe, denn einer vergaß das, der andere jenes, andere kamen wieder ihre Angehörigen suchen, welche nicht zurückkamen, und mussten deshalb denselben Galgentod erleiden.


Traurig ist es, wenn man bedenkt, dass auch diese Menschen österreichische Staatsbürger sind, und der Staat, zu welchem sie gehören, verfährt so furchtbar mit ihnen. Das Offiziersmotto lautet: „Besser 99 Unschuldige sterben, als einen Schuldigen gehen zu lassen.“ Der Offizier, ja selbst der Unteroffizier hat das Recht, Zivilpersonen hinzurichten. Auch brachte eine Patrouille einen Bauern mit seinem ca. 18-jährigen Sohn, den ein Offizier beschuldigte, dass er signalisiere. Diese Beschuldigung war nur erfunden. Der Bauer hatte, wie ich selbst sah, in seinem Zimmer eine Lampe hängen und dieser Offizier sah dieses Licht und schon holten ein paar Mann diesen Bauern. Es wurde ihm und seinem Sohn eine Schaufel und ein Krampen gegeben und beide mussten selbst ihr Grab graben. Als sie fertig waren, erschlug man sie mit dem Gewehrkolben und grub sie ein.

Franz Arneitz als etwa 50-Jähriger in den 1940er Jahren
Franz Arneitz als etwa 50-Jähriger in den 1940er Jahren©Privatarchiv der Familie Arneitz



En himmelschreiendes Unrecht.
Was an dieser Bevölkerung geschieht, ist aber ein himmelschreiendes Unrecht, und man muss still sein zu allen diesen Untaten. Die Offiziere sind wie besessen und auch mit uns sehr brutal. Für jede Kleinigkeit wird man gleich zwei Stunden angebunden. Auch fand ich hier zufälligerweise das Grab des Stofl Hans aus Mallenitzen. Ein stilles Gebet entrang sich meiner Brust für das erste Opfer meiner Heimatgemeinde. Fast zu beneiden bist du, oh Held, denn was wir da zu erwarten haben, diesem Leiden ist der Tod vorzuziehen.

Auch besuchten mich heute mein Cousin, der Kotnik Franzl, und der Mikutsch aus Oberferlach. Diesen beiden klage ich, wie man hier mit der Zivilbevölkerung verfuhr. Aber diese zwei sagen, es gehe mancherorts viel ärger zu.

Am 5. November kam der Befehl zum Rückzug, da die Russen am linken Frontflügel die Front durchbrachen. Die ganzen Speisevorräte werden vernichtet. In einen Bach werden ganze Säcke Mehl, Zucker, Kaffee usw. hineingeworfen.

Feuerroter Himmel.
Um 8 Uhr abends treten wir den Rückzug von Cindra Nuowa an. Der Tag von Cindra Nuowa, da man so viele Unschuldige mordete, wird mir in steter unauslöschlicher Erinnerung bleiben. Keine Seele rührt sich im Dorfe, alles ist geflohen und was unsere Patrouillen vorgestern hier am Leben fanden, starb, wie ich schon beschrieben, den Galgentod. An vielen Stellen hängen noch die Opfer, als wir den Ort verlassen. Ca. zwei Stunden hinter dem Orte Cindra Nuowa, auf dem freien Felde, sieht man ganze Gruppen schlafender Bewohner vom genannten Dorfe. Einige Habseligkeiten um sich zusammengelegt. Als ich mich umdrehte, sehe ich den Himmel feuerrot. Das ist das Dorf Cindra Nuowa und andere an der Front liegenden Orte, die brennen. An mehreren Stellen haben unsere Nachhutpatrouillen alles in Brand gesteckt.

Das arme Volk schläft aber vertrieben aus seinen Heimstätten hier auf dem freien Felde und ihre Behausungen brennen lichterloh und bescheinen weit das Tal."

Nach dem Krieg wurde Arneitz 1918 kurzzeitig Hilfsgendarm und übernahm dann den heimatlichen Bauernhof in Unterferlach. Der vierfache Familienvater starb am 30. März 1973.

Zum Autor

Buchtipp: Franz Arneitz, „Meine Erlebnisse in dem furchtbaren Weltkriege 1914–1918“, Tagebuch eines Frontsoldaten. Herausgegeben von Andreas Kuchler, 144 Seiten. 19,90 Euro. K&S Verlag (Link).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

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