Fred Mayer, der jüdische Retter von Innsbruck

Blick auf Innsbruck
Blick auf Innsbruck(c) Reuters (Dominic Ebenbichler)
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Als Bub floh er aus Freiburg vor den Nationalsozialisten nach New York. Knapp vor Kriegsende verhinderte er als US-Agent in einer waghalsigen Aktion, dass Innsbruck als Teil der "Alpenfestung" in Schutt und Asche gelegt wurde.

In der Nacht auf den 26. Februar 1945 machten sich drei junge Männer an Bord einer B-24 Liberator über den Tiroler Alpen bereit für etwas, das man nüchtern betrachtet nur als Selbstmordmission bezeichnen konnte. Fred Mayer, Hans Wynberg und Franz Weber sollten mit dem Fallschirm über einem Gletscher nahe Innsbruck abspringen, sich zu Webers Heimatdorf durchschlagen und von dort aus Informationen über deutsche Truppenbewegungen an die Alliierten funken. Weber hatte einige Monate zuvor in Italien die Gelegenheit ergriffen, sich von seiner Wehrmachtseinheit abzusetzen und sich den amerikanischen Truppen zu ergeben. Wynberg war ein niederländischer Jude, der nach dem deutschen Überfall auf seine Heimat in die USA geflüchtet war und als Fernmelder für das Office of Strategic Services (OSS) arbeitete, dem Vorgänger des US-Geheimdienstes CIA.

Mayer war der Kopf der Operation namens „Greenup“. 1921 in Freiburg im Breisgau als Sohn eines jüdischen Eisenwarenhändlers geboren, musste er seine Heimat nach der Machtübernahme Hitlers verlassen. In New York wurde aus dem Fritz der Fred. „Ich hatte eine gute Kombination aus Hass und Liebe: Hass auf die Nazis und Liebe zu Amerika“, sagte Mayer 2012 im kanadischen Dokumentarfilm „The Real Inglorious Bastards“ über Operation „Greenup“.

Die echten „Inglorious Basterds“

Das OSS hatte 1944 begonnen, zahlreiche solcher Spionage- und Sabotageteams zusammenzustellen. Der Durchbruch bei der Schlacht um Monte Cassino hatte den Alliierten die Möglichkeit eröffnet, von Italien aus solche Operationen zu starten. Typischerweise wurden dabei amerikanische Soldaten mit Wehrmachtsdeserteuren, die als lokale Lotsen fungierten, zusammengespannt. „Eine ungewöhnlichere Gruppe von Desperados hätte man kaum finden können: frühere Piloten der Luftwaffe, jüdische Flüchtlinge aus Vernichtungslagern, polnische Deserteure, Spitzensportler und sogar ein früherer Sträfling“, schreibt der Autor Patrick K. O'Donnell in seinem Buch „They Dared Return: The True Story of Jewish Spies Behind the Lines in Nazi Germany“.

Der Spielfilm „Inglourious Basterds“ von Quentin Tarantino hat dieses Phänomen jüdischer Nazijäger 2009 fiktionalisiert. Doch was Mayer in Tirol in den knapp zweieinhalb Monaten bis zur deutschen Kapitulation erleben sollte, übertrifft Hollywoods Einfallsreichtum. Nach dem nächtlichen Absprung auf einen Gletscher kämpften sich die drei knapp eine Woche durch teils bauchtiefen Schnee, ehe sie im Dorf Oberperfuß ankamen. Eine Schwester von Weber verschaffte Mayer eine Wehrmachtsuniform sowie Bandagen für eine fingierte Kopfverletzung, die ihm die Tarnung erleichterte. Derart maskiert spionierte er militärische Bahntransporte über den Brenner an die italienische Front und die örtliche Rüstungsproduktion aus. Wynberg funkte sie von Oberperfuß an die OSS-Einsatzleitung in Bari, Weber stellte lokale Kontakte her.

Eine segensreiche Schwejkiade

Mayers Aufklärungsdienste waren für die Tiroler Bürger mindestens so wertvoll wie für die Alliierten. Sie ermöglichten es, Wehrmachtszüge gezielt und außerhalb bewohnten Gebiets zu bombardieren. Er fand auch heraus, dass die Rüstungswerke in Kematen und Jenbach bereits still lagen; ihnen blieb die Zerstörung erspart.

Den größten Dienst am Land Tirol und seiner Hauptstadt leistete Mayer, der nun am 15. April 94-jährig in West Virginia verstorben ist, in den letzten Kriegstagen. Nachdem er an die Gestapo verraten worden und schwer gefoltert worden war, wurde er dem Tiroler Gauleiter Franz Hofer auf dessen Hof bei Hall vorgeführt. Hofer hatte noch Mitte April Hitler in dessen Berliner Führerbunker von seiner Wahnidee, in einer „Alpenfestung“ einen Endkampf zu führen, überzeugt. Nach Hitlers Selbstmord war jedoch auch fanatischen Nazis wie Hofer klar, dass der Krieg verloren war. Mayer schwindelte ihm vor, US-Leutnant und zur Führung von Kapitulationsverhandlungen befugt zu sein. Hofer fiel darauf herein und übergab dem jüdischen Sergeant kampflos die Stadt.

Mayer war der letzte Überlebende der drei Greenup-Agenten. Wynberg starb 2011, zehn Jahre nach Weber, der nach dem Krieg für die ÖVP im Landtag, Bundesrat und Nationalrat saß. Sein Eintrag auf der Homepage des Parlaments erwähnt seine Tätigkeit als Widerstandskämpfer mit keinem Wort.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2016)

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