Er löste den deutschen „Historikerstreit“ aus: Ernst Nolte ist tot

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1986 entzündete sich eine heftige Debatte über die Einordnung des Nationalsozialismus – an einem Text des Faschismus-Historikers Nolte.

„Vergangenheit, die nicht vergehen will“ – unter diesem Titel veröffentlichte der damals hoch angesehene Berliner Historiker Ernst Nolte 1986 einen folgenreichen Text. Die nationalsozialistische Vergangenheit, schrieb er in der „FAZ“, sei „als Schreckbild . . . wie ein Richtschwert über der Gegenwart aufgehängt“. Er plädierte für einen „Schlussstrich unter das kollektivistische Denken“ („die Juden, die Russen, die Deutschen“). Und er bezeichnete einen „kausalen Nexus“ zwischen den Gräueltaten Stalins und dem Holocaust als „wahrscheinlich“: „War nicht der Archipel Gulag ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ,Klassenmord‘ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ,Rassenmords‘ der Nationalsozialisten?“ Neu sei die technische Durchführung gewesen.

Ernst Nolte hatte schon 1963 den italienischen Faschismus und den Nationalsozialismus als Gegenbewegung zum russischen Bolschewismus gedeutet – in seinem Buch „Der Faschismus und seine Epoche“ von 1963. Dessen neuer vergleichender Ansatz wurde damals gefeiert und machte ihn international bekannt. Als ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an die Universität Marburg (ab 1965) und an der FU Berlin (von 1973 bis zur Emeritierung 1991) betonte er immer wieder – auch in Büchern – den „antibolschewistischen“ Impuls als wesentlichen Erklärungsansatz für den Nationalsozialismus.

Habermas als Hauptkritiker

Doch erst die publizistische Reaktion des Philosophen Jürgen Habermas auf den „FAZ“-Artikel 1986 in der „Zeit“ brachte jene grundlegende Debatte über die historische Einordnung des Nationalsozialismus und seiner Gräueltaten ins Rollen, die bis 1987 intensiv andauerte und als „Historikerstreit“ in Erinnerung geblieben ist. Habermas warf damals Nolte und noch einigen weiteren konservativen Historikern apologetische Tendenzen vor, und das Ziel, einen nationalen Konsens schaffen, statt aufklären zu wollen. Die Untaten des Nationalsozialismus würden von den Historikern relativiert, die Eliten, denen Hitler den Aufstieg mitverdankte, entschuldigt, der Antibolschewismus als integrationsstiftende Ideologie der BRD gefördert. Und Habermas sah Noltes Text als Ausdruck einer allgemeineren national-konservativen politischen Wende (Helmut Kohl war 1982 Bundeskanzler geworden, Kritiker befürchteten einen Trend in Richtung Schlussstrich-Mentalität).

Immer mehr Historiker, Soziologen und Publizisten meldeten sich in deutschen Zeitungen zu Wort. Ernst Nolte und die übrigen von Habermas Kritisierten erhielten Unterstützung beispielsweise vom Mitherausgeber der „FAZ“ und Hitler-Biografen Joachim Fest, Partei für Jürgen Habermas nahmen u. a. die Historiker Eberhard Jäckel, Hans Mommsen und Heinrich August Winkler.

Diskutiert wurde dabei vor allem darüber, wie einzigartig die Judenvernichtung durch das NS-Regime war, und außerdem, ob es wirklich einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Mord an den Juden und den Morden der Bolschewisten an ihren Gegnern gegeben habe – eine These, die selbst Noltes Anhänger skeptisch sahen.

Ernst Nolte schrieb sich in den Folgejahren immer mehr in die Isolation und festigte seinen Ruf als scharfsinniger, aber zunehmend verbohrter Historiker. Im Jahr 2000 erhielt er den Konrad-Adenauer-Preis, Kanzlerin Angela Merkel lehnte es ab, die Laudatio zu halten. Am Donnerstag ist der „Geschichtsdenker“, als der er sich selbst gern bezeichnet hat, mit 93 Jahren in Berlin verstorben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2016)

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