Als Österreich noch das Matignon besaß

Am linken Ufer der Seine, im Pariser Viertel Faubourg Saint-Germain (7. Arrondissement): das Hôtel Matignon, Residenz des Premierministers.
Am linken Ufer der Seine, im Pariser Viertel Faubourg Saint-Germain (7. Arrondissement): das Hôtel Matignon, Residenz des Premierministers. (c) THOMAS COEX / AFP
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Das Hôtel Matignon, in das Frankreichs Premier einzieht, beherbergte lange Zeit die österreichisch-ungarische Botschaft - aus kuriosem Grund: über eine Adoption in Wien, Gustav Mahler und die toten Hunde einer Wagner-Gönnerin.

Kampf um Matignon“, „Kandidat für Matignon“, „Sieger von Matignon“ . . . Der Name eines Pariser Palais beherrscht in Frankreich seit Tagen die politische Debatte, wie immer, wenn es um die Ernennung des Premierministers geht. Matignon nämlich benennen die Franzosen dieses Amt gern kurz und bündig nach seiner Residenz. Das Hôtel Matignon, oder Hôtel de Matignon, liegt am linken Ufer der Seine in der Rue de Varenne, ist das schönste Palais im noblen Ministerienviertel Faubourg Saint-Germain und hat den größten nichtöffentlichen Park von Paris. Den Namen hat es von einem frühen Besitzer im 18. Jahrhundert, Sire de Matignon. Und so lange schon ist dieses Haus mit der Geschichte der französischen Republik verbunden, dass seine österreichische Vorgeschichte ganz in Vergessenheit geraten ist. Bis zum Ersten Weltkrieg, 25 Jahre lang, war darin die Botschaft der österreichisch-ungarischen Monarchie.

Österreich bekam das Palais unter kuriosen Umständen. In den 1880er-Jahren gehörte es der italienischen Herzogin Maria Brignole Sale De Ferrari, Herzogin von Galliera, die im Hôtel Matignon einen der glänzendsten Pariser Salons führte. Ihr Sohn Philippe de Ferrari, der größte Briefmarkensammler seiner Zeit, war ein adeliges Enfant terrible, überzeugter Sozialist und homosexuell. Gemeinsam mit seinem Freund, dem Sohn eines Hutmachers, ließ er sich durch den in Wien lebenden pensionierten k. u. k Hauptmann und Telegraphen-Rechnungsbeamten Emanuel de La Renotière adoptieren und verschaffte sich die österreichische Staatsbürgerschaft.

Eine Bitte an den Kaiser – samt Palais

Letzteres konnte seine Mutter offenbar noch akzeptieren – nicht aber, dass ihr Sohn künftig den Namen seines Adoptivvaters führen wollte. Und so unterbreitete sie Kaiser Franz Joseph ein vertrauliches Angebot: das Hôtel Matignon als neuen Botschaftssitz – zum Dank dafür, dass der Kaiser ihrem Sohn verbiete, sich Larenotière zu nennen. Die Rechnung ging nicht auf; denn wie sich herausstellte, konnte der Kaiser die ordnungsgemäß von seinen Behörden bewilligte Namensänderung gar nicht verbieten. Doch die Herzogin starb, ohne ihr Testament geändert zu haben.

So war das Hôtel Matignon ab 1889 in österreichisch-ungarischem Besitz. Der erste Hausherr war ein Graf Hoyos, danach kam von 1894 bis 1903 Anton von Wolkenstein-Trostburg gemeinsam mit seiner von ihm vergötterten Frau, der Wagner-Gönnerin Marie Gräfin Schleinitz; zwei Grabsteine für ihre toten Hunde zeugen im Park des Palais von ihrer Pariser Zeit. Gustav Mahler wohnte 1900 bei ihr im Palais, als er während der Weltausstellung Konzerte gab.

Danach kam als Botschafter der unverheiratete Rudolf Graf Khevenhüller-Metsch. Er galt als der „pariserischste“ aller damals in Frankreich lebenden Diplomaten, spielte im gesellschaftlichen Leben eine große Rolle und veranstaltete im Botschaftsgarten spektakuläre Feste. Die Amtszeit seines Nachfolgers, Nikolaus Graf Széscen, endete abrupt. „Obwohl Österreich-Ungarn gestern Russland den Krieg erklärt hat, verharrt der Graf Széscen noch ruhig in seinem schönen Palais in der Rue de Varenne“, notierte der damalige französische Präsident, Raymond Poincaré, am 7. August 1914. Drei Tage später aber reiste der Graf ab. Er übergab das Haus in die Obhut der USA, nach deren Kriegseintritt 1917 übernahmen die Schweizer den Schutz des Hauses.

Im selben Jahr starb der Frankreichhasser Philippe de Ferrari, ohne den es das österreichische Intermezzo des Hôtel Matignon nie gegeben hätte. Er besaß bis zuletzt ein Wohnrecht im Palais, nun sorgten zwei verschiedene von ihm hinterlassene Testamente ein letztes Mal für Ärger in Frankreich. Eines von 1911 erklärte die Stadt Leipzig zum Universalerben, wo Napoleon in der sogenannten Völkerschlacht 1813 besiegt worden war; ein zweites von 1915 das Kapuzinerkloster im vorarlbergischen Bludenz. Feindliches Eigentum waren die betreffenden Räume also in jedem Fall: Frankreich beschlagnahmte sie.

Nach Kriegsende kam es zu komplizierten Verhandlungen zwischen Österreichern und Franzosen, die das Palais 1922 kauften; ein Teil des Preises galt als Reparationszahlung. 1934 wurde das Hôtel Matignon Sitz des Président du conseil des ministres – der seit dem Beginn der fünften Republik 1945 Premier ministre heißt.

So war das Palais, das schon den Staatsmännern Talleyrand und Napoleon gehört hatte, nun wieder ein Zentrum französischer Politik. Doch noch bis in die Dreißigerjahre konnte man über dem Hauptportal auf einer großen Tafel lesen: „Hôtel de l'Ambassade d'Autriche-Hongrie“.

DAS HÔTEL (DE) MATIGNON

Hôtel nannten die französischen Adeligen ihre Stadtpalais, im Unterschied zum ländlichen Château. Seit 1935 ist jenes von Matignon Amts- und Wohnsitz des französischen Regierungschefs.

Das Palais stammt aus dem 18. Jahrhundert und hat den größten nichtöffentlichen Park von Paris, vor dem des Élysée-Palastes, Sitz des Staatschefs. Seit vier Jahrzehnten hat hier jeder Premierminister mit Ausnahme von Jacques Chirac einen neuen Baum gepflanzt, als Symbol für seine Regierungszeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2017)

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