Neo-Chronologie

Ist die ganze Antike eine Erfindung?

 Bei Fomenko überrannten die Slawen einst furchtlos ganz Europa – wie auf diesem Bild von V. W. Masurowski eine russische Kavalleriedivision österreichische Truppen.
Bei Fomenko überrannten die Slawen einst furchtlos ganz Europa – wie auf diesem Bild von V. W. Masurowski eine russische Kavalleriedivision österreichische Truppen.(c) Archiv
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Karl der Große war ein slawischer König, Jesus ein byzantinischer Herrscher und die „Ilias“ eine Kreuzzugs-Erzählung: Über das erstaunlich erfolgreiche Geschichtsbild des russischen Mathematikers Anatolij Fomenko.

Karl der Angebliche, könnte man Karl den Großen auch nennen – so oft hat die Nachwelt schon seine Existenz bestritten. In den 1990er-Jahren kam die These von einer Phantom-Zeit auf; drei Jahrhunderte seien nachträglich von Geschichtsschreibern in die Vergangenheit „eingefügt“ worden. Viele deutschsprachige Liebhaber spannender Populärwissenschaft stürzten sich auf die Bücher des studierten Germanisten Heribert Illig, „Hat Karl der Große je gelebt?“ oder „Das erfundene Mittelalter“. Darin stand, Geschichtsschreiber des römisch-deutschen Kaisers Otto I. hätten die Jahre von 614 bis 911 n. Chr. erfunden – und mit ihnen Karl den Großen.

Neo-Chronologie werden solche Versuche, die historische Chronologie umzuwerfen, genannt, meist werden dabei gleich mehrere Jahrhunderte für inexistent erklärt. Illigs Idee war so breitenwirksam, dass auch Historiker sie ausführlich besprachen (um sie zu widerlegen). Heute ist sie weitgehend vergessen. Doch eine andere neo-chronologische These, bei der nicht nur drei Jahrhunderte, sondern gleich die ganze Antike „flöten geht“, ist gegenwärtig quicklebendig und erfolgreich wie keine andere: Über Videos auf Youtube, TV-Diskussionen und eine Flut an Publikationen in diversen Sprachen erreicht sie Millionen. Eine „esoterische Massenbewegung“ nannte sie der Schweizer Slawist und Schriftsteller Felix Philipp Ingold kürzlich in der Zeitschrift „Merkur“, und ihren Protagonisten eine „Kulturfigur“, die „zusehends den Rang eines prophetischen Meinungsführers“ genieße.

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