Vor 20 Jahren tobte zwischen Kanzler Vranitzky und Außenminister Mock ein Streit um die Anerkennung der neuen Nachbarn. Moskau und Washington setzten Wien unter Druck.
Die Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens vom 25. Juni 1991 stürzten die internationale Gemeinschaft in ein tiefes Dilemma. Monatelang waren die Diplomaten zwischen Washington, Bonn und Moskau völlig uneinig, ob sie Slowenien und Kroatien anerkennen sollen. Vor allem die großen Staaten standen auf der Bremse: Frankreich, Großbritannien, die USA und die Sowjetunion wollten Jugoslawiens Einheit unter allen Umständen bewahren. Noch Ende August, zwei Monate nach Ausbruch der Kämpfe in Slowenien, drängten die Amerikaner Österreichs Regierung in einem Schreiben, Slowenien und Kroatien nicht unilateral anzuerkennen. Das wäre „kontraproduktiv“, die Reaktion der jugoslawischen Volksarmee „unabsehbar“, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme an das Außenamt. Der sowjetische Außenminister Alexander Bessmertnych warnte am 5. Juli in einem Brief an den damaligen österreichischen Außenminister Alois Mock vor der „Atomisierung“ Jugoslawiens. Einen Monat später drohte der sowjetische Botschafter damit, eine Anerkennung Sloweniens und Kroatiens könnte auch „problematisch“ für die bilateralen Beziehungen Österreichs zur Sowjetunion sein.
Die beiden Supermächte wussten, warum sie sich mit solchem Nachdruck ausgerechnet an das kleine Österreich wendeten. Mock warb damals hinter den Kulissen unermüdlich für eine rasche Anerkennung der neuen Nachbarstaaten. Nur dann, so glaubte er, könne der Konflikt internationalisiert und vielleicht noch eingedämmt werden.
Das Außenamt in Wien sei viel früher als andere zum Schluss gekommen, dass die Auflösung Jugoslawiens unausweichlich sei, erinnert sich Albert Rohan, damals Leiter der Ost-Abteilung: „Es war nur die Frage, ob Jugoslawien friedlich oder blutig zerfällt.“ Als er diese Analyse im Oktober 1990 mit einem hochrangigen französischen Diplomaten teilte, erntete er noch schallendes Gelächter. Doch das Lachen sollte den Staatslenkern Europas bald vergehen.
Anrufe mitten in der Nacht
Immer wieder lotete Mock aus, wie sich die EG und andere Staaten positionieren. Nach Ausbruch der Kämpfe in Kroatien kippte die Stimmung. Die Unterstützung für die Unabhängigkeit stieg. Mock führte unzählige Gespräche mit Amtskollegen, regte etwa die Einsetzung eines „Weisenrats“ an. Manchmal habe er auch mitten in der Nacht angerufen und dann den Frauen der Außenminister als Wiedergutmachung Blumen geschickt, erinnert sich Rohan.
Vor zwanzig Jahren ist Jugoslawien zerfallen. Die Unabhängigkeitserklärungen von Slowenien und Kroatien am 25. Juni 1991 besiegelten das Schicksal Jugoslawiens. Begonnen hatte der Zerfall des südslawischen Vielvölkerstaates bereits Anfang der Achtzigerjahre mit Unruhen in der mehrheitlich von Albanern bewohnten südserbischen Provinz Kosovo. Mit der Unabhängigkeitserklärung Prištinas von Belgrad fand der Zerfallsprozess Jugoslawiens im Jahr 2008 seinen vorläufigen Abschluss. (c) Reuters
Am 4. Mai 1980 starb der langjährige jugoslawische Kommunisten- und Staatschef Josip Broz Tito. Titos Nachfolger waren nicht in der Lage sein Erbe erfolgreich zu verwalten. Im März 1981 kam es zu zu großen Studentenprotesten und blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei in Pristina (Kosovo).An die Stelle des Staatsgründers tritt ein Präsidium, dem Vertreter der sechs Republiken und zwei autonomen serbischen Provinzen (Kosovo und Vojvodina) angehören. (c) AP
Erste serbisch-nationalistische Protestkundgebungen im Kosovo. In Serbien übernimmt der Nationalist Slobodan Milošević die Führung der Kommunistischen Partei, in Slowenien der Reformer Milan Kučan. Die serbische Akademie der Wissenschaften und Künste (SANU) veröffentlicht eine Denkschrift, in der die angebliche Unterdrückung der Serben in den anderen Republiken angeprangert wird. (c) AP (Srdjan Ilic)
Milošević sagt am 27. April 1987 den Kosovo-Serben nach einer Prügelei zwischen serbischen Demonstranten und albanischen Polizisten im Kosovo: "Niemand soll es wagen, euch zu schlagen." (c) EPA
In Slowenien verhaftet die Armee drei Journalisten und einen Unteroffizier wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente im Organ des kommunistischen Jugendverbandes, "Mladina". Aus den Protesten Zehntausender Menschen gegen den Armeeprozess entwickelt sich der "slowenische Frühling", der zur Entstehung eines Mehrparteiensystems führt. (c) Wikimedia Commons
Die nationalistische Kroatische Demokratische Union (HDZ) unter Franjo Tuđman konstituiert sich am 28. Februar28. Juni 1989: Am 600. Jahrestag der serbischen Niederlage gegen die Osmanen auf dem Amselfeld spricht Milošević von "neuen Schlachten", mit denen das serbische Volk konfrontiert sei. (c) Reuters
In Referenden stimmen Slowenen und Kroaten mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeit ihrer Teilrepubliken. (c) EPA (Jose Suhaholnik)
Slowenien und Kroatien erklären ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien. (c) APA (Gert Eggenberger)
In der Nacht auf den 27. Juni rollen die ersten Panzer in Slowenien. (c) Wikimedia Commons
Im Zehn-Tage-Krieg mit der jugoslawischen Volksarmee sterben 67 Menschen. (Im Bild: Die Grenzstation Bleiburg-Grablach steht am 27. Juni in Brand) (c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER)
Mazedonien erklärt seine Unabhängigkeit von Jugoslawien.26. Oktober 1991: Der letzte jugoslawische Soldat verlässt Slowenien. Im folgenden Jahr erkennen die meisten europäischen Staaten Slowenien und Kroatien an. (c) AP
Anfang des Jahres wird die Serbenrepublik Bosnien-Herzegowina ausgerufen. Am 1. März 1992 stimmen zwei Drittel der Wähler stimmen in einer Volksabstimmung für die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas. Zwei Tage später ruft der bosnische Präsident Alija Izetbegović die Unabhängigkeit seines Landes aus.Ein Monat später gründen Serbien und Montenegro eine neue Bundesrepublik Jugoslawien. (c) AP
Vormarsch serbischer Truppen in weiten Teilen Bosnien-Herzegowinas. Der serbische Nationalismus wird militärisch in Bosnien zelebriert. (c) AP
Der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić führt einen erbitterten Krieg gegen die Bosniaken. (c) EPA (Anja Niedrighaus)
Nach einem verheerenden Granatenangriff auf einen Markt in Sarajevo ringt sich die Nato zu Luftangriffen auf serbische Stellungen durch (In der Bildmitte: der serbische General und mutmaßliche Kriegsverbrecher Ratko Mladić). (c) AP (Emil Vas)
Nach der Einnahme der Bosniaken-Enklave Srebrenica ermorden serbische Truppen rund 8000 männliche Stadtbewohner. August 1995: Kroatien erobert die serbische Krajina zurück, etwa 200.000 Serben fliehen. (c) AP
Die Vereinten Nationen nehmen eine wichtige Vermittlerrolle im blutigen Bruderkrieg ein. (c) AP (Hidajet Delic)
Der Krieg in Bosnien-Herzegowina wird durch den Friedensvertrag von Dayton beendet. Das Abkommen trägt die Unterschriften von Milošević, Tuđman und Izetbegović. Bosnien-Herzegowina wird unter internationales Kuratel gestellt, die beiden Landesteile - die bosniakisch-kroatische Föderation und die Serbenrepublik - haben weitreichende Befugnisse. (c) AP
Die albanische Untergrundorganisation "Befreiungsarmee des Kosovo" (UÇK) tritt erstmals in Erscheinung. Die Kämpfe zwischen UÇK-Rebellen und serbischen Sicherheitskräften intensivieren sich. (c) AP (Lefteris Pitarakis)
In Rambouillet bei Paris beginnen internationale Vermittlungsgespräche zwischen den Albaner-Rebellen und Belgrad. Dabei wird Einigung über eine substanzielle Autonomie des Kosovo erzielt, Serbien lehnt die Stationierung einer Nato-Friedenstruppe ab. Die Nato beginnt mit Luftangriffen auf Serbien (im Bild: Von der Nato zerstörtes Polizei-Hauptquartier in Belgrad). Damit soll die "brutale Unterdrückung im Kosovo" beendet werden, erklärt US-Präsident Bill Clinton. (c) AP (Darko Vojinovic)
Serbiens Staatschef Milošević lenkt ein und akzeptiert einen Friedensplan der G-8. Im mazedonischen Kumanovo wird ein technisches Abkommen über den Abzug der serbischen Sicherheitskräfte aus dem Kosovo geschlossen, das unter UNO-Übergangsverwaltung gestellt wird. (c) AP (Visar Kryeziu)
Das Regime des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević wird gestürzt, nachdem Manipulationen bei der Präsidentenwahl am 24. September Massenproteste im ganzen Land ausgelöst hatten. Sein Nachfolger wird der national-konservative Politiker Vojislav Koštunica. (c) EPA
Belgrad und Podgorica wandeln die Bundesrepublik Jugoslawien in einen losen Staatenbund Serbien-Montenegro um. Der auf EU-Druck gebildete Staat ohne gemeinsame Währung und Hauptstadt zerfällt bereits drei Jahre später wieder. (c) EPA (Srdjan Ilic)
In einer Volksabstimmung stimmen 55 Prozent der Montenegriner für die Eigenständigkeit ihres Landes. Damit erlangte die sechste und letzte ex-jugoslawische Republik ihre Unabhängigkeit. (c) EPA (Koca Sulejmanovic)
Der Kosovo ruft seine Unabhängigkeit von Serbien aus, die innerhalb weniger Tage von den wichtigsten westlichen Staaten anerkannt wird. Somit ist ist nur mehr die autonome Provinz Vojvodina Teil der serbischen Republik.>>Ex-Jugoslawien: Generäle, Präsidenten, Massenmörder (c) EPA
Der Vielvölkerstaat Jugoslawien zerfällt
Den Serben waren Mocks Aktivitäten gar nicht recht. Am 7. Juli wurde Österreichs Botschafter ins Belgrader Außenamt zitiert, um sich eine Reihe von Vorwürfen anzuhören: Österreich mische sich in innere Angelegenheiten Jugoslawiens ein, unterstützte Separatismus und dulde illegale Waffenlieferungen. Immer wieder berichteten serbische Medien über Waffenschmuggel aus Österreich. Tatsächlich waren Österreichs Behörden auf der Hut. Seit Oktober 1989 hatten sie weder Aus- noch Durchfuhr von Kriegsmaterial nach Jugoslawien bewilligt. Als dann Anfang der 90er-Jahre plötzlich der Export von sogenannten zivilen Waffen nach Jugoslawien sprunghaft anstieg, wurden keine Exportbewilligungen für Faustfeuerwaffen mehr erteilt. Zu Schmuggel kam es trotzdem.
Heikler Tudjman-Besuch in Wien
Für Kroatien und Slowenien war Wien von Anfang an ein Andockpunkt. Im Jänner 1991, ein halbes Jahr nach seiner Wahl, besuchte der kroatische Präsident Franjo Tudjman Wien. Dass er empfangen wurde, war für ihn eine Art symbolische Anerkennung. Es war für Österreich keine unheikle Visite, denn Kroatien war damals ja noch kein eigenständiger Staat. Die Einladung sprach offiziell das Forum Schwarzenbergplatz aus, Alois Mock bedankte sich dafür nach dem dreitägigen Besuch in einem Brief ausdrücklich beim Generalsekretär der Industriellen-Vereinigung, Herbert Krejci. Wirtschaftliche Erwägungen standen schon damals im Vordergrund: Man besprach etwa den Ausbau der Pyhrnautobahn an die Adria.
Doch Tudjman, der ganz standesgemäß im Hotel Imperial abstieg, hatte natürlich auch seine politischen Termine. In der Unterredung mit Mock wies er einem Gesprächsprotokoll zufolge darauf hin, dass Kroatien und Slowenien einem „anderen Kulturkreis“ als Serbien angehörten. Für Kroatien komme deshalb nur ein Staatenbund infrage. Eine Konföderation war damals auch die von Mock bevorzugte Lösung. Doch Belgrad wollte da nie mitspielen.
Meinungsverschiedenheiten in Regierung
Und auch ein anderer stand auf der Bremse, Mocks Koalitionspartner. SP-Bundeskanzler Franz Vranitzky machte gegenüber Tudjman öffentlich klar, dass für ihn Belgrad Ansprechpartner bleibt. Der Sozialdemokrat glaubte bis zuletzt an die Einheit Jugoslawiens. Der Riss in der Regierung war sichtbar. Im Gespräch mit der „Presse“ berichtet Vranitzky noch 20 Jahre später von „tief sitzenden Meinungsverschiedenheiten“. „Mock strebte bei der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens eine österreichische Vorreiterrolle, ja sogar einen Alleingang, an. Das habe ich abgelehnt, denn niemand wäre Österreich nachgeritten.“
Vranitzky unterstützte im Sommer und Herbst 1991 zunächst noch Versuche, Jugoslawiens Einheit zu retten. Doch Jugoslawiens Premier Ante Marković habe nicht die nötige finanzielle Hilfe aus Europa erhalten und sich nicht gegen Milošević und Tudjman durchsetzten können. „Mock ging davon aus, dass die Anerkennung den Krieg stoppen könnte. Diese Annahme erwies sich als falsch“, erklärt Vranitzky. Die Positionen in dem Streit scheinen noch 20 Jahre später unverändert. Mocks damaliger Abteilungsleiter für den Balkan, Rohan, widerspricht der „unsinnigen These“, wonach mit den Anerkennungen Öl ins Feuer gegossen wurde. „Als Slowenien und Kroatien anerkannt wurden, war der Krieg in den beiden Ländern schon beendet.“
Auf Drängen Deutschlands einigten sich die EG-Außenminister im Dezember 1991, jene jugoslawischen Republiken als Staaten anzuerkennen, die die Voraussetzungen dafür erfüllten. Am 19. Dezember beschloss das Kabinett in Bonn, die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens zu akzeptieren. Am 15. Jänner 1992 wurden die beiden neuen Länder offiziell von den EG-Staaten anerkannt – und Österreich zog mit.
Slowenien gedenkt seines Unabhängigkeitskrieges und seiner Staatswerdung vor 20 Jahren. Doch die Feiern in dem einstigen Aufsteigerland Südosteuropas sind überschattet von Apathie und Politikverdrossenheit.
In Slowenien war der Krieg rasch vorbei, Kroatien spielte mit dem Nationalismus. Am 25.Juni 1991 proklamierten Kroatien und die Republik Slowenien ihre Unabhängigkeit.