Akademietheater: Zerfressene Kunst-Karrieristen

(c) AP (Stephan Trierenberg)
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Briten-Schocker. Mark Ravenhills "Pool" im Akademietheater ist nur mäßig überzeugend.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Im Internet kann man die Aufnahmen der US-Fotografin Nan Goldin sehen, die sich schwer verletzt, mit zugeschwollenem Auge und grellrot geschminktem Mund, abgelichtet hat. „The Ballad of Sexual Dependency“ heißt Goldins bekannteste Arbeit, ein visuelles Tagebuch von ihr und ihrem „tribe“ (Stamm).

Mark Ravenhill, der Anführer der längst etablierten und mittlerweile in die Jahre gekommenen jungen wilden britischen Dramatiker der Achtziger und Neunziger nahm Goldin, heute bereits 54, als Grundlage für sein Stück „Pool (kein Wasser)“, das seit Sonntag im Akademietheater zu sehen ist.

Aus einer Gruppe junger Künstler schafft eine Frau die große Karriere, durch Ausbeutung des Leides eines Kollegen, der an Aids gestorben ist. Die Erfolgreiche stürzt nach einer feuchtfröhlichen Einladung der Clique in ihren Pool, aus dem ein Angestellter das Wasser ausgelassen hat. Die Freunde verfolgen fotografisch ihre Pein und Wieder-Genesung. Sie planen endlich das große Geschäft zu machen, doch das klappt nicht.

Zunächst hat Ravenhill hier eine persönliche Dramatik abgearbeitet: während die provokanten Young British Artists, übrigens teils auf den Schultern österreichischer Aktionisten stehend, mit ihren „shock tactics“ viel Geld verdienten, gelang das den jungen wilden britischen Dramatikern, obwohl sie auch auf dem Kontinent viel gespielt werden, bei weitem nicht in diesem Ausmaß.

Der Aufführung fehlt Authentizität

Doch Ravenhills Stück ist mehr als Recherche in eigener Sache: Es verhandelt Mechanismen des heutigen Kapitalismus, wenn auch nicht in direkt politischer Weise: Die Rücksichtslosigkeit und Beliebigkeit des Auslese-Prozesses, der vordergründig zivil, im Endeffekt aber sehr brutal sein kann. „Du bist raus“, heißt es: „Shit happens“.

Dass der so heiß ersehnte Erfolg dann keineswegs Glück bringt, haben gerade Ravenhill oder seine Kollegin Sarah Kane am eigenen Leib erfahren. Kane erhängte sich 28-jährig, Ravenhill (41) ist HIV-positiv. Der scheue, kahlköpfige Mann, der sich nach der Akademietheater-Premiere verbeugte, berührte. Er hat nichts von den glamourösen Erfolgsautoren, die man bei solchen Gelegenheiten sonst oft zu Gesicht bekommt.

Wirtschaftsmanager scheinen robuster mit den Abgründen ihres Berufs umzugehen. Auf der Bühne aber macht das schillernde Kunst-Metier farbigeren Effekt; graue Büro-Menschen sah man zuletzt genug in neuen Dramen. Ravenhill wünschte sich für „Pool“ Performer. Die waren nicht verfügbar. Zwar hängen Sylvie Rohrer, Thomas Lawinky, Markus Hering und Christian Nickel anfangs tapfer minutenlang an ihren Armen von den weißen Wänden, ihre Verwurzelung im Sprechtheater aber können sie nicht verleugnen. Wenn sie performen, wirkt es teilweise wie exaltiertes Getue.

Davon gibt es an diesem Abend ebenso reichlich wie die berühmten Four-Letter-Words. Und es ist nicht das „Four-Letter-Word“ Love, welches Bob Dylan besang. Love kommt, wie übrigens schon in Dylans Lied, nur als Vorwand für andere Dinge vor.

„Toll gespielt. Für das Stück können die armen Schauspieler ja nichts“, bemerkte ein Besucher nach der Premiere. Tatsächlich ist es umgekehrt. Das Stück könnte faszinieren, aber bei der Inszenierung ist etwas schief gegangen. Möglicherweise dasselbe wie jüngst bei Simon Stephens „Motortown“ in der Regie von Andrea Breth. Das Staatstheater bringt diese zeitgenössischen Dramen ganz groß raus, in Luxus-Besetzung und Luxus-Optik. Dabei verlieren sie das Grindige, Böse, Schmutzige, Unberechenbare, Gefährliche, das bloß noch Teil einer kunstvollen und distanzierenden Inszenierung ist.

Regisseurin Tina Lanik schaffte immerhin ein furioses Finale. 1999 fiel sie im Rabenhof erstmals auf und zwar nachhaltig: Die damals erst 25-jährige Deutsche, die inzwischen an den renommiertesten Bühnen in München und Berlin arbeitet, zeigte in Biljana Srbljanovics „Belgrader Trilogie“ im Rabenhof Desillusionierung und schmerzvolle Abstürze junger Ost-Flüchtlinge im „Goldenen Westen“. Bei „Pool“ ist aber eher Moritat als Psychologie gefragt und weniger menschliches Verständnis als krasse Ausstellung – wie sie im Staatstheater vielleicht wieder nicht erwünscht ist. Nebenbei: Das Publikum blieb völlig gelassen, sprang auch nicht Türen knallend davon, wie das wohl noch vor ein paar Jahren passiert wäre.

Drei der vier Schauspieler mühen sich redlich ihre nur mit A, C und D bezeichneten Charaktere plastisch zu machen. Nur einer macht sichtbar, worum es hier wirklich geht: um grausames Theater, grausame Themen. Es ist der drogen-und harmoniesüchtige B, ein brutaler Berserker mit sentimentalem Herzen, eine Psychopathologie, die man von Gewaltverbrechern kennt.

Kraftvoller Natur-Kerl: Thomas Lawinky

B wird von Thomas Lawinky gespielt, der seine eigene Bekanntschaft mit schlagartigem Berühmtwerden gemacht hat: Er beleidigte den FAZ-Star-Kritiker Gerhard Stadelmaier und entriss ihm seine Notizen. Das Burgtheater kaufte sich Lawinky prompt – ein – und hat mit diesem Natur-Kerl von einem Schauspieler einen guten Griff getan. Bei der Umsetzung irritierender Texte indes muss die Burg noch üben. Sie kann vielleicht künftig mehr dabei riskieren, zum Zwecke besseren Verständnisses, das in letzter Zeit vor allem durch die Lektüre der Programmhefte bewirkt wird, was zu wenig ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2008)

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