Über das Unglück, ein Grieche zu sein

ueber Unglueck Grieche sein
ueber Unglueck Grieche sein(c) Kunstmann Verlag
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Ein bereits vor 37 Jahren geschriebenes und nun erstmals auf Deutsch erschienenes Buch liest sich wie ein Lehrstück zur aktuellen Krise.

Es sind 193 Aphorismen auf nicht einmal 70 Seiten mit dem Titel "Über das Unglück, ein Grieche zu sein". Bereits 1975 hat sie der griechische Philosoph Nikos Dimou verfasst und nun sind sie erstmals auf Deutsch erschienen. Es zeigt sich: 37 Jahre später haben sie nicht an Gültigkeit verloren. Zwar waren seine Thesen ursprünglich eine Reaktion auf die Militärdiktatur, aber teilweise liest sich das schmale Büchlein fast wie ein Lehrstück zur aktuellen Krise: "Schließ Griechenland ins Herz, und du kriegst einen Infarkt".

"Für einen Griechen ist dieses Buch eine Qual", schreibt der Autor im Nachwort der deutschsprachigen Ausgabe. Und das stimmt wohl. Denn Dimou beschreibt die Griechen als unglücklich. Wirklichkeit und Wünsche würden sich nicht decken: "Ein Grieche nimmt die Realität prinzipiell nicht zur Kenntnis. Er lebt zweifach über seine Verhältnisse. Er verspricht das Dreifache von dem, was er halten kann. Er weiß viermal so viel wie das, was er tatsächlich gelernt hat. Er zeigt seine Gefühle fünfmal stärker, als er sie wirklich empfindet."

Aphorismus

Ein Aphorismus ist ein philosophischer Gedankensplitter, der üblicherweise als kurzer, rhetorisch reizvoller Sinnspruch (Sentenz, Aperçu, Bonmot) formuliert und als Einzeltext konzipiert wurde.

Quelle: wikipedia

"Die Griechen denken mit dem Gefühl"

In einem "Die Zeit"-Interview stellte Dimou im Februar den Zusammenhang zur aktuellen Krise her. "Ein Grund der Krise ist diese Übertreibung: die Lust, alles zu haben, alles zu geben, alles zu genießen, ohne zu bedenken, dass nicht alles machbar ist", sagte er. "Der zweite Grund: Die Griechen sind nicht rational. Sie denken mit dem Gefühl. Das macht es ihnen so schwer, diese Krise zu bewältigen." Dazu passt auch der folgende Aphorismus: "Der Grieche lebt entweder-oder, das heißt: entweder himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Eine der Folgen: die absolute Unfähigkeit zur Selbstkritik und Selbsterkenntnis".

(c) Kunstmann Verlag

Was Dimou schreibt, liest sich durchaus komisch. "Zwei Griechen schaffen (wegen Streitigkeiten) in zwei Stunden, was ein Grieche in einer Stunde schafft", schreibt er. Oder: "Andere Völker haben Institutionen. Wir haben Luftspiegelungen". Der Autor betont aber, kein komisches Buch geschrieben zu haben. "Dieses Buch ist keine lustige Sammlung von Aphorismen über das Zukurzkommen der Griechen, sondern ein bitteres Nachdenken über ihr tragisches Schicksal".

Der nationale Minderwertigkeitskomplex

Dimou macht zwei Quellen des nationalen Minderwertigkeitskomplexes der Griechen aus. Einerseits die Beziehung zu den Mythen der glorreichen Vergangenheit. Und zweitens den Vergleich "mit den höher entwickelten Zeitgenossen: der Vergleich mit Europa". Über dieses zwiespältige Verhältnis schreibt er: "Wann immer ein Grieche von 'Europa' spricht, schließt er automatisch Griechenland aus. Wenn ein Ausländer von Europa spricht, ist es undenkbar für uns, dass er Griechenland nicht mit einschließt".

Auch der Mythos von der "ausländischen Intervention" passt zur aktuellen Lage der Hellenen. "Niemals haben die Neugriechen es vermocht, Verantwortung zu übernehmen. Immer war jemand anderer schuld: die 'englischen Strippenzieher', der Intelligence Service, die NATO, der CIA...", kann man bei Dimou nachlesen. Diesmal ist es eben die Europäische Union.

"Grausamkeit der familiären Atmosphäre"

Dimou zeichnete vor 37 Jahren das Bild einer rückständigen Wirtschaft. Diese setze sich im Wesentlichen aus ungefähr dreißig großen Unternehmen zusammen, "die alle von einer Bank abhängen, die wiederum vom Staat abhängt". Mancher Europäer würde wohl einwenden, dass sich daran bis heute nicht viel verändert hat.

Über das Niveau von Familienunternehmen seien die Griechen nicht hinausgekommen, lautet ein Aphorismus. "Sie bewahren die Wärme, aber auch die Grausamkeit der familiären Atmosphäre". Wenig schmeichelhaft heißt es auch: "Der klassische griechische Kapitalist befindet sich noch auf der Ebene des "Haushaltsvorstands".

Über das Glück des Unglücks

Dimou gilt für Kritiker als Anti-Grieche. Sein Werk als eine Abrechnung mit den Griechen oder eine Art Nestbeschmutzung zu verstehen, wäre aber falsch. Zumal dem Autor nicht ganz wohl dabei ist, dass sein Buch gerade jetzt auf Deutsch erschienen ist. Denn sein Werk ist durchaus eine Liebeserklärung: "Siehe da, beim Schreiben über das Unglück habe ich zugleich über das Glück geschrieben. Über das Glück des Unglücks, ein Grieche zu sein".


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