Brasilien: Im grünen Land der Biosprit-Träume

(c) Die Presse (Thomas Seifert)
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Reportage. Brasilien ist das Saudiarabien der Biotreibstoffe. Doch ist Ethanol die Lösung für den Klimaschutz und den ständig wachsenden Energiehunger? Eine Reise von den Zuckerrohrfeldern in der Region Riberão Preto bis zum Verladeterminal nahe São Paulo.

SÃO PAULO. Ein grünes Meer aus Zuckerrohr bis an den Horizont, in Riberão Preto ebenso wie in Jaboticabal. Mit 120 km/h geht es dreieinhalb Stunden auf der Autobahn SP-310 von der Megapolis São Paulo ins Kernland der brasilianischen Zucker- und Ethanol-Industrie. Endlos ziehen die in ordentlichen Reihen gepflanzten Zuckerrohrpflanzen hinter dem Seitenfenster vorbei. Kilometer um Kilometer nur Grünverwischtes.

Beeindruckende Wolkenformationen stehen über dem weiten Land, es wird wohl am Abend wieder heftig regnen, so wie jeden Tag um diese Jahreszeit.

Zuckerrohr ist der Rohstoff aus dem die brasilianischen Bioethanolträume sind. Die Usina Santa Adélia ist eine von insgesamt 370 brasilianischen Fabriken, in denen die Tankfüllung für die brasilianischen Flex-Fuel-Autos (diese Kraftfahrzeuge können mit Benzin und Ethanol in jedem beliebigen Mischungsverhältnis betrieben werden) hergestellt wird. Die moderne, mittelgroße Anlage Santa Adélia in der Nähe von Jaboticabal liegt inmitten einer 25.000 Hektar großen Zuckerrohrplantage.

Der Rohölpreis liegt in diesen Tagen bei 101 Dollar pro Barrel, Ersatz ist gefragt. Die Antwort: Biodiesel oder Bioethanol. Ersteres wird aus Mais, Raps, Soja beziehungsweise aus Zuckerrohr oder Zuckerrübe hergestellt. Agro-Treibstoffe sind willkommene neue Märkte für die Landwirtschaft, verringern die Öl-Abhängigkeit und gelten als klimafreundlich. Doch während Ethanol aus Mais oder Zuckerrüben nur wenig effizient ist, kann man beim Zuckerrohr achtmal mehr Energie herausholen, als man hineingesteckt hat.

Die Drei-Meter-Pflanze

Brasilien ist schon seit dem 16.Jahrhundert eine Zuckergroßmacht – nun ist es das Saudiarabien des Bioethanols: Mehr als 280.000 Barrel Alkohol werden pro Tag produziert, das entspricht in etwa dem gesamten Rohöl Tagesverbrauch in Österreich.

Arlindo Carvallho, einer der führenden Agronomen in Santa Adélia führt zu einem Feld, zu dem bald die monströsen Erntemaschinen unterwegs sein werden. Seit 24 Jahren arbeitet Carvallho für die Plantage und Raffinerie. Er greift nach dem messerscharfen Blatt einer Saccarum officinarum und beginnt eine kurze Lektion.

Die Zuckerrohrpflanzen ragen etwas mehr als zwei Meter in die Höhe, von diesem Stadium aus wächst das Zuckerrohr noch einmal um einen Meter. Um diese Größe zu erreichen, benötigt die Pflanze etwa neun Monate. Ein großer Vorteil von Zuckerrohr sei, dass die Wurzel nach der Ernte in der Erde bleibt und das Wachstum von neuem beginnt, bis nach neun Monaten wieder geerntet werden kann. Acht Mal kann dieser Vorgang wiederholt werden, dann ist der Boden erschöpft, muss für ein paar Monate mit Soja oder Erdnüssen bewirtschaftet werden.

Dann das Herzstück der Raffinerie: die trichterförmigen Fermenter, in denen der Zuckerrohrsaft aus dem gepressten Zuckerrohr zu Alkohol vergoren wird und lange Metallzylinder, die zu einer Destillationskette gereiht, den vergorenen Zuckerrohrsaft zu hochprozentigem Treibstoff veredeln.

Bis zur Auslieferung wird das Ethanol in riesigen weißen Ethanoltanks gelagert, die inmitten eines grünen Meers aus Zuckerrohr stehen. Sie sehen aus, als hätten riesige Teletubbies ihr Spielzeug in einer Wiese vergessen.

Sehen kann man das hochprozentige Produkt nur auf der firmeneigenen Tankstelle, wo drei braungebrannte gutgelaunte Brasilianer an den Zapfsäulen lehnen. Einer zapft einen Liter Ethanol in einen Messbecher und erklärt die Zusammensetzung der klaren Flüssigkeit. „Das ist 97-prozentiger Alkohol. Das Auto läuft super damit, trinken würde ich das Zeug allerdings nicht.“

Brasiliens Alkohol-Plan

Als die Opec 1973 die Ölwaffe zückte und die Ölpreise in schwindelerregende Höhen hochschossen, schritt der damalige Militärdiktator General Ernesto Beckmann Geisel zu radikalen Maßnahmen: Er subventionierte Ethanolfabriken und ließ Zapfsäulen für Ethanol aufstellen. Der 1975 ins Leben gerufene ehrgeizige Plan „Pró Álcool“ sah vor, Brasilien vom Öl unabhängig zu machen.

Doch der Durchbruch kam erst 2003, als die ersten „Flex-Fuel“-Autos auf den Markt kamen. Diese können mit Ethanol und Benzin in jedem beliebigen Mischungsverhältnis gefahren werden. Doch in Brasilien füllt man den Tank meist mit Álcool. Während ein Liter Alkohol 1,18 Reais (0,46 Euro) kostet, bezahlt man für einen Liter Benzin mindestens 2,26 Reais, also umgerechnet rund 0,89 Euro. 85 Prozent der heute in Brasilien verkauften Autos sind „Flex“-Modelle, bereits 40 Prozent des Benzins wurden durch Ethanol ersetzt.

Doch Brasilien hat seinen Blick bereits auf Exportmärkte gerichtet: Europa, Japan und die USA sind auf der Suche nach Alternativen und die Biotreibstoff-Befürworter glauben in Brasilien fündig geworden zu sein. Paulo Eduardo Negraes, Direktor des Ethanolterminals „Terminal de Exportador de Álcool de Santos – TEAS“ in Santos, der wichtigsten Hafenstadt Brasiliens, führt durch das Gelände, man rüstet sich für den Exportboom. Es ist die Rede von einer mehr als 1000 Kilometer langen Ethanol-Pipeline (der ersten weltweit), die vom Bundesstaat Mato Grosso do Sul nach Santos führen soll und von einer Verdopplung der Lagerkapazität. 64.000 Kubikmeter Ethanol können dann hier gelagert und auf Tankschiffe verladen werden. Santos liefert vor allem in die USA (60 %), die restlichen 40 % gehen in die EU.

Bald ein internationaler Markt

Und auch in der „Bolsa de Mercadorias & Futuros“, der Warenterminbörse am Praça Antonio Prado im Herzen des Finanzdistrikts von São Paulo setzt man auf Export. Felix Schouchana, Leiter der Abteilung Landwirtschaftsderivate erzählt, dass Ethanol derzeit nur zehn Prozent des Handelsvolumens der Börse ausmachen. Solange Brasilien vor allem für den eigenen Markt, wo es praktisch ein Vertriebsmonopol für Ethanol gibt, produziert, gibt es wenig Bedarf für Finanzinstrumente wie Futures, wo man einen Preis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft fixieren kann.

Doch die Lage ändert sich gerade. Internationale Fonds beginnen, Ethanol ernst zu nehmen. „Bisher gibt es keinen globalen Markt für Ethanol und damit auch nicht für Ethanol-Finanzderivate“, sagt Schouchana und fügt hinzu: „Doch das wird sich ändern.“

Bauernflucht nach Amazonien

Doch ist der Bioethanol-Boom in Brasilien wirklich gut für die Umwelt? Ist Ethanol die Lösung für die Klimaprobleme? Darauf gebe es keine einfache Antwort, sagt Greenpeace-Experte Sérgio Leitão. Die Antwort lautet „Ja“ und „Nein“. „Sim. Ja, Agrarkraftstoffe sind gut, denn sie sind für das Klima besser als Erdöl“, sagt Leitão. Aber gleichzeitig: „Não. Nein, Agrarkraftstoffe sind nicht gut, da durch den gestiegenen Bedarf nach Land die Grundstückspreise enorm gestiegen sind. Als Folge ziehen viele Bauern dorthin, wo das Land noch billig ist – nach Amazonien.“

Die EU könne zu einer Verbesserung der Situation beitragen. Greenpeace würde die Produktion von Agrartreibstoff erst unterstützen, wenn die brasilianischen Zuckerrohrproduzenten kein Zuckerrohr mehr in Amazonien anbauen und wenn die Rechte der Zuckerrohr-Arbeiter geachtet werden. „Diese Kriterien sollte die EU auch anwenden, wenn sie Agrar-Kraftstoffe fördern will“, betont Leitão.

diepresse.com/reporter08

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2008)

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