Stress durch Hitze, Dürre, Feuchte: „In der Pflanze ist die Hölle los“

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Wie Pflanzen mit Stress umgehen, wird von einem Protein reguliert, das in ähnlicher Form auch beim Menschen vorkommt, haben Forscher am GMI gefunden.

Der Großteil der österreichischen Bevölkerung lehnt gentechnisch veränderte Pflanzen aus Prinzip ab. Unter anderem deshalb, weil man die Langzeitauswirkungen auf Umwelt und Gesundheit nur schwer abschätzen kann. Dass es aber traditionelle Formen gibt, wie man gewünschte Eigenschaften bei Pflanzen herauskristallisiert – nämlich die klassische Züchtung –, versteht jeder. So lassen Genetiker der heutigen Zeit ihre Erkenntnisse eben in die konventionelle Züchtung einfließen: Sie entschlüsseln molekulare Marker, die man in Pflanzenkeimlingen bestimmen kann. Somit kann man Pflanzen mit genau den gewünschten Genen wachsen lassen – ohne am Genom selbst „herumgeschnipselt“ zu haben.

Im Wiener Gregor Mendel Institut (GMI) der österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) werden molekulare Marker gesucht, die zeigen, ob eine Pflanze stressresistent ist oder nicht. Leben wir in so einer hektischen Welt, dass sogar die Pflanzen Stress haben? Nein, die Pflanzen hatten immer schon Stress. Denn sie sind im Boden verwurzelt und müssen mit allen Einflüssen der Umgebung und der Bedrohung aus der Tierwelt zurechtkommen, ohne davonlaufen zu können. Ist es einem Tier zu warm, zu trocken oder zu windig, kann es sich ein besseres Platzerl suchen.

Nicht so die Pflanze. „Während jedem Gärtner der Stress von Pflanzen bewusst ist, wenn sie von Viren und Bakterien befallen werden, können sich nur wenige vorstellen, wie sich Stress aus der unbelebten Natur auf Pflanzen auswirkt“, erzählt Claudia Jonak, Gruppenleiterin am GMI. Die unbelebte Natur – das sind Umweltbedingungen wie Temperaturschwankungen, Wasserverfügbarkeit oder Schadstoffbelastung. Gegen Stress, der Pflanzen aus der „belebten Natur“ droht, helfen sie sich zum Teil mit Abwehrmechanismen (siehe Artikel rechts), in der Landwirtschaft wird beispielsweise mit Schädlingsbekämpfung vorgegangen.

Zu heiß, zu kalt, zu trocken, zu feucht

„Der ärgere Stress kommt aber aus der unbelebten Natur. Zu heiß, zu kalt, zu trocken, zu feucht und so weiter. Solche Umstände sind für große Ernteverluste verantwortlich“, so Jonak. Gegen all diese Belastungen haben Pflanzen Gegenstrategien entwickelt, die sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können. Permanente Anpassungen gegen Trockenheit und UV-Strahlung sind etwa beim Edelweiß die schützenden Härchen oder beim Kaktus das Verzichten auf Blätter. Also Dinge, die man mit freiem Auge sieht.

Doch auch innerhalb der Pflanze spielen sich viele Anpassungen ab, die dynamisch auf Belastungen reagieren. „In der Pflanze ist die Hölle los“, formuliert es Jonak. Auf jede Änderung der äußeren Bedingungen muss die Pflanze eine Antwort finden. Dazu ist viel Kommunikation innerhalb und zwischen den einzelnen Zellen der Pflanze notwendig: Ein komplexes Netzwerk an Regulatoren und Modulationssignalen, die Informationen übertragen, modulieren und interpretieren, bestimmt über Leben und Tod der Pflanze.

Reaktion auf Stress wird reguliert

„Dazu kommt noch der Zeitfaktor – es muss alles schnell geschehen.“ Wenn man zwar das Richtige tut, aber zu langsam, dann hat man auch verloren. Hauptspieler bei dem Stress, der sich in Pflanzenzellen abspielt, wenn von außen Stress auf die Pflanze einwirkt, sind sogenannte „Master Regulators“: Wenn diese nicht arbeiten, dann geht gar nichts.

An solchen Hauptspielern können Molekularbiologen „basteln“, um Pflanzen mehr oder weniger empfindlich für Stresssituationen zu machen. Jonaks Gruppe forscht am „Haustier“ der botanischen Genforschung: der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana.Diese kleinen Pflänzchen werden weltweit so gut untersucht, dass man viele ihrer Hauptspieler im Netzwerk der regulierenden Proteine bereits kennt. In der Wiener Dr.-Bohr-Gasse konzentriert sich das „Basteln“ auf ein regulierendes Protein, das nur dann aktiv ist, wenn die Pflanze unter Salzstress steht, also wenn zu viel Salz im Boden ist. Das ist nicht nur dort so, wo Streusalz auf vereisten Wegen zum Einsatz kommt. Vielmehr sind salzige Böden ein großes Problem in der Landwirtschaft. Weltweit weisen zirka 20 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen einen zu hohen Salzgehalt auf. „Seit die Menschen sesshaft sind und teilweise falsche Bewässerungsmethoden anwenden, und zudem seit viel gedüngt wird, versalzen Böden“, beschreibt Jonak.

Doch gerade die landwirtschaftlich genutzten Pflanzen sind wenig tolerant gegenüber solchem Salzstress. „Einerseits wird den Pflanzen das Wasser aus den Wurzeln gesaugt, andererseits wirken die Salz-Ionen als Gift für die Zellen.“ Das klingt wohl nach Stress. Und der molekulare Bestandteil, den sich Jonak und ihre Mitarbeiter genauer angesehen haben, wird genau in solchen Stresssituationen aktiv: Das Regulator-Protein arbeitet bei Salzstress, um Stärke, die in Pflanzen gelagert ist, in Energie umzuwandeln, die benötigt wird, um Schutzmechanismen gegen die Salzattacke einzuleiten. Stärke, die in den Blättern vorkommt, dient den Pflanzen als Energiespeicher für die Zeit, in der sie keine Fotosynthese betreiben können – also für die Nacht.

Gleiche Proteine beim Menschen

Fügt man im Labor den Pflanzen mehr von dem Regulator hinzu, schaffen sie es, aus der Stärke so viel Energie zu bekommen, dass in der Nacht alle Zellvorgänge funktionieren und zusätzlich auch der Schutz gegen das aggressive Salz aufgebaut werden kann. Das Spannende an der Geschichte ist, dass ein Protein dieser Zellvorgänge den Molekularbiologen gar nicht aus der Pflanzenwelt, sondern vom Menschen bekannt war. „Der Regulator, der auf der Stärke sitzt, ist dem ähnlich, der im Menschen den Speicherzucker Glykogen in Energie umwandelt“, berichtet Jonak. Fühlen Sie sich also nicht gepflanzt, wenn man sagt, Mensch und Pflanze wären sich ähnlich: Auf molekularem Niveau arbeiten jedenfalls verwandte Moleküle für die Energiegewinnung.

AUF EINEN BLICK

Auch Pflanzen kennen Stress. Auslöser sind zum einen andere Lebewesen, etwa Viren oder Fressfeinde. Der ärgste Stress kommt aber aus der unbelebten Natur, wenn es den Pflanzen zu feucht, zu trocken, zu heiß, zu kühl, zu salzig etc. ist.

Forscher am Gregor Mendel Institut untersuchen, wie Pflanzen mit zu salzigen Böden umgehen. Sie haben herausgefunden, dass ein bestimmtes Protein bei Stress dafür sorgt, dass Energie mobilisiert wird, die für Schutzmechanismen notwendig ist.

Diesen Mechanismus kennen die Forscher bereits – und zwar vom Energiehaushalt des Menschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2008)

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