Im Herzen sind die Europäer wieder national

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EU-Bürger definieren sich zunehmend über ihre eigene Nationalität. Diese emotionale Bindung nimmt vor allem in den Krisenländern zu. Ist das Konzept der EU als Gegenmodell des Nationalismus gescheitert?

Wien. „Menschliche Gemeinschaften haben Grenzen. Dem trägt Europa nicht Rechnung“, argumentierte der französische Philosoph Alain Finkielkraut kürzlich in einem „Zeit“-Streitgespräch. Jüngste Umfragen belegen tatsächlich, dass der Wunsch nach Abgrenzung zunimmt. Die Freizügigkeit der EU-Bürger wird infrage gestellt, Parteien, die gegen das gemeinsame Europa auftreten, erleben Zulauf.

Die Bevölkerung sucht ihre emotionale Verankerung verstärkt wieder bei der eigenen Nation, das Europagefühl sinkt. Das belegt auch die letzte Eurobarometer-Umfrage, die regelmäßig in allen Mitgliedstaaten durchgeführt wird. 89 Prozent der EU-Bürger fühlen sich demnach mehr ihrer Nation verbunden als Europa. 42 Prozent bekennen sich ausschließlich zur eigenen Nation. Das sind um vier Prozent mehr als noch im Frühjahr 2013.

Für diese wachsende Gruppe bietet das gemeinsame Europa keinen Identifikationsanker mehr. Besonders stark hat sich das Nationalgefühl in den Krisenländern verstärkt. In Griechenland bekannten sich im Herbst vergangenen Jahres um 14 Prozent mehr Bürger ausschließlich zur eigenen Nation als noch ein halbes Jahr zuvor. In Irland ist das Nationalgefühl im selben Zeitraum um zehn, in Portugal um sieben Prozent gestiegen.

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Auch in Österreichs Bevölkerung steigt die Identifikation mit der Nation, jene zu Europa sinkt. Gefragt, ob sie sich eher als Österreicher oder eher als Europäer sehen, gaben 92 Prozent an, sie fühlten sich eher mit ihrem eigenen Land verbunden. Das sind um vier Prozent mehr als im Frühjahr 2013 und um zehn Prozent mehr als im Frühjahr 2012.

Das Gründungskonzept der Gemeinschaft, den Nationalismus zu überwinden, der den Kontinent mehrfach in blutige Kriege gestürzt hat, wird von einem wachsenden Teil der Bevölkerung nicht mehr mitgetragen.

„Vorurteile nehmen zu“

Erst im vergangenen Herbst warnte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy in Berlin vor wachsenden nationalistischen Strömungen. Die EU sei kein neutraler Raum, sondern müsse ihren Bürgern auch zur „Heimat“ werden, appellierte er und nahm die europäischen Regierungen in die Pflicht, dieses Gefühl zu stärken. Van Rompuy äußerte seine Befürchtung, dass sonst „Vorurteile gegenüber anderen EU-Bürgern in besorgniserregender Weise zunehmen“ könnten. Gemeinsame Errungenschaften wie die Freizügigkeit würden bereits jetzt infrage gestellt.

Die jüngste Eurobarometer-Umfrage zeigt, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen EU-Skepsis und nationalistischen Strömungen gibt. Länder, die der Gemeinschaft traditionell kritisch gegenüberstehen, wie Großbritannien, weisen auch eine höhere Identifikation mit der eigenen Nation auf.

Während das Nationalgefühl in diesen Ländern allerdings auf hohem Niveau (92% der Briten fühlen sich eher ihrer Nation verbunden) stabil bleibt, nimmt es nun auch in den europafreundlichen Ländern zu. Selbst in jenem Mitgliedstaat, in dem sich die meisten Bürger als Europäer fühlen, Luxemburg, wächst die Bindung an die eigene Nation. Nur noch 20 Prozent sehen sich eher als Europäer denn als Luxemburger. Das sind um fünf Prozent weniger als ein halbes Jahr davor.

Was die Nation ist und wie sie definiert wird, spielt in diesem Trend, der von nationalistischen Parteien wie der britischen UKIP verstärkt wird, keine Rolle. Die Finanz- und Schuldenkrise hat zu einer emotionalen Fragmentierung der Gemeinschaft beigetragen. Der deutsche Soziologe Ulrich Beck antwortete Alain Finkielkraut ebenfalls in der „Zeit“ mit Unverständnis zu dessen positiver Interpretation dieses Trends. Das Zurück zum nationalen Idyll „basiert auf einer Lebenslüge. Die Welt befindet sich in einem Übergang, der die Grenzen, in denen Sie Europa politisch denken, außer Kraft setzt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2014)

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