Sag mir, wo du badest - ich sage dir, wen du wählst

politische Freibad
politische Freibad(c) Clemens Fabry
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Auf den ersten Blick sind sie Freizeiteinrichtungen. Doch Sommerbäder sind hochpolitisch – vom Wiener Bademeister als Ordnungskraft bis zum Bad als Wahlkampfarena.

Sag mir, wo du badest, und ich sage dir, wen du wählst. Klingt nach Paul, der Krake. Aber es dürfte zumindest in Wien manchmal stimmen. Baden und Politik liegen dort historisch bedingt nahe beisammen. Unter den sozialen Errungenschaften des roten Wiens nahmen und nehmen die Bäder einen wichtigen Platz ein. Schwimmen und Sonnen muss für jedermann erschwinglich sein, Haus-am-See-Besitzer und Pool-Eigentümer dürfen kein Monopol auf Badespaß haben.

Das soll den Badegästen dieser Tage in Erinnerung gerufen werden: Im Juli und August zieht die Wiener SPÖ – beziehungsweise ihre Stadt- und Gemeinderäte – in den Freizeit-Wahlkampf, locker und ohne sperrige politische Inhalte sollen Wähler in der Badehose angesprochen werden. Ja, auch der Bürgermeister wird das machen. „Die Wiener wollen in den Ferien nicht mit politischen Auseinandersetzungen gestört werden, daher starten wir den Wahlkampf erst im September“, meint Wiens SP-General Christian Deutsch.

Daher werden jetzt rote Wasserbälle verteilt, und es wird Schmäh geführt statt programmatische Reden zu schwingen. Auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache plant eine Tour durch die Wiener Freibäder – und soll dafür sogar dreimal die Woche in einem Fitnesscenter seinen Oberkörper in Form gebracht haben. Sagte sein Pressesprecher einer Illustrierten. Die Bräune kommt aus Ibiza.

Politik im Bad gab es in Wien schon immer: Öffentliche Lesungen mit Texten von „roten“ Schriftstellern wurden etwa 1935 im Arbeiterstrandbad an der Alten Donau veranstaltet. Und auch wenn das Literarisch-Programmatische aus den Sommerbädern verschwunden ist, die Verkörperung der sozialistischen Kraft ist geblieben: der Bademeister. Er steht sowohl für Wiener Schmäh als auch Autorität. (Und er ist quasi der Wiener Bruder des Skilehrers.) Die schwarz-blaue Regierung schaffte zwar einst die Hausmeister(-pflicht) ab, nicht aber ihre Bade-Brüder. Daher kann sie Michael Häupl und seine SPÖ auch leider nicht mit großem Getöse wieder einführen.

Die „Meister“ als kommunalpolitische Ordnungskraft sind wie die vielen neuen Ordnungstruppen der Stadt Wien das Allheilmittel für Sicherheits- und Integrationsprobleme. Genau die sind in den Bädern auch zu beobachten. Wo lassen sich das Machogehabe, die trainierten Oberkörper und Muskeln so schön vorführen wie im Freibad? Jugendliche mit Migrationshintergrund sind da eher die Regel denn die Ausnahme. Eine Erfahrung, die übrigens auch die Grillwächter auf der Donauinsel machen – wieder eine Ordnungstruppe, die überwacht, ob auf den städtischen Grillplätzen auch ja nicht schwarz gegrillt wird.

Es sind aber nicht nur die Akteure, auch die Gestaltung spricht politische Bände: Das Gänsehäufel an der Alten Donau etwa, dessen Flair irgendwo zwischen dem sozialistischen Wien der 1950er Jahre und einem israelischen Kibbuz liegt, hat Wiens alten Ruf als Stadt der schönsten Volksbäder begründet. Dabei gab es bei der Gründung sogar einen Zwei-Klassen-Betrieb. Das kann und will sich heute niemand mehr vorstellen. Wobei es natürlich sehr wohl hierarchische Unterschiede gibt.

Da sind zum einen die normalen Besucher. Und zum anderen jene, die das Privileg einer dauergemieteten Kabine genießen – in Wien unter dem Begriff „Kabanen“ bekannt. 630 Euro beträgt die Miete pro Saison. Und wer einmal eine bekommen hat, der gibt sie kaum je wieder her. Interessenten müssen schon an die fünf Jahre warten, bis sie eine Chance auf eine der 290 Dauerkabinen bekommen.

Eine kleine Stadt in der Stadt, eine Art temporär-realsozialistisches Experiment. Parallel zum Schicksal der Sozialdemokratie kämpft aber auch die Kabanenkultur mit einem demografischen Problem – Überalterung. Es sind vor allem Pensionisten, die hier allsommerlich ihre Zeit mit Tarockieren oder Kleinformat auf den Campingstühlen verbringen. Das schrebergartenartige Flair scheint für das Lebensalter zwischen später Kindheit und frühem Alter nicht so attraktiv zu sein.


Ideologiefreie Nackte. Ein Schicksal, das auch die Anhänger der Freikörperkultur teilen. Wer mit dem Rad den FKK-Bereich der Donauinsel entlangfährt, sieht gebräunte Körper älteren Semesters. FKK ist zwar ein weitgehend ideologiefreies Freizeitvergnügen, sprach aber traditionell eher linke Gruppierungen an, die mittels Freikörperkultur ein bisschen Gleichheit erreichen wollten. (Zugegeben: Es gab auch rechte, die den abgehärteten germanischen Körper als Ideal verehrten. Die trifft man in den FKK-Bereichen heute aber eher selten.) Und die Enkelkinder der 68er, die bleiben angezogen.

Bleibt die Frage. Was bleibt den Bürgerlichen zum Baden? Nur das Salzkammergut? Fernreisen? Pools? Wohin soll VP-Chefin Christine Marek auf Badetour? Das Schönbrunner Bad würde sich anbieten. Das privat geführte Bad wird nicht zuletzt von Hietzingern frequentiert, die Preise sind – im Vergleich zu den öffentlichen – stolz wie die Jungen auf der langen Sonnengalerie. Hier wird auch regelmäßig abends noch gebadet, wenn es in den Städtischen Bädern schon bürokratisch-korrekt „Badeschluss“ heißt.

Ein ähnliches Publikum zieht ein Bad an, das über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist: Ja, im städtischen Krapfenwaldbad badet tatsächlich Wien Döbling, das Becken ist klein, der Blick grandios. Auf den guten Plätzen und vor dem Buffet wird Backgammon gespielt, gefeierte Unternehmer wie Immobilien-Tycoon Georg Stumpf lernten hier die richtigen Zahlen zu würfeln. Und nein, die Eintrittspreise bleiben städtisch klein. Privatisiert wird dieses Bad sicher nicht, das Defizit aller Bäder ist budgetär eingeplant.

Mit der Rentabilität ist das ohnehin so eine Sache: Ein Monat Regen, schon geht das Gerücht um, das Neuwaldegger Bad müsse zusperren. Da würden viele in den Stadtbezirken sechs, sieben und acht ebenso jammern, wie wenn FM4 oder der Falter w.o. geben würde. Deswegen würde sich auch niemand über die hohen Preise erregen. Schon eher darüber, dass im großen Holzhaus oder bei den alten Garderoben, die genau so riechen, wie man die Bäder in der Kindheit abgespeichert hat, etwas modernisiert wird. Oder wenn es zu laut würde. Also besser bei den politischen Bädertouren das Neuwaldegger Bad auslassen. Die Grün-Politiker baden hier nur privat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2010)

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