Bohren nach Hitlers geheimen Stollen

STOLLENSYSTEM AUS DEM II.WELTKRIEG
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Im oberösterreichischen St. Georgen an der Gusen wird in den nächsten Tagen wieder gebohrt: Unter dem bekannten Stollensystem könnten sich noch weitere geheime Stollen befinden.

Es kommt nicht oft vor, dass sich große internationale Medien für eine kleine oberösterreichische Gemeinde interessieren. Doch seit einiger Zeit steht St. Georgen an der Gusen, etwa 15 Kilometer östlich von Linz, im Mittelpunkt vieler Berichte. In diesem Ort, besser gesagt in einem verschütteten Stollensystem, soll es in der Zeit der NS-Diktatur ein bisher geheim gehaltenes groß angelegtes Forschungsprogramm für eine Atombombe gegeben haben. „Hitlers Bombe“ soll dort entwickelt worden sein, heißt es in medialen Spekulationen.

Kurz vor Weihnachten wurde an der vermuteten Stelle eine Bohrung durchgeführt, 80 Meter tief. Ergebnis laut den Landesgeologen: null. Nur Steine, Sedimente und Grundwasser. Keine geheimen, unentdeckten Tunnel. Aber es wird in den nächsten Tagen, voraussichtlich Montag oder Dienstag, eine weitere Bohrung geben, ein paar Meter daneben. Derzeit steckt die Bohrmaschine im weichen Boden, der Bohrmeister wartet auf bessere Bedingungen, auf festen, gefrorenen Boden.

Doch was, wenn die Bohrung keine neuen Erkenntnisse bringt? Der Bürgermeister der Gemeinde, Erich Wahl (SP), meint zur „Presse“: „Solange ein Verdacht besteht, dass da etwas sein könnte, soll untersucht werden.“ Denn wenn es tatsächlich noch ein Bauwerk tief unten gebe, so müsse dies zur Sicherheit der Bürger aufgeklärt werden.


Grabung forderte 30.000 Leben. Die Geschichte der St. Georgener Stollen ist mit diesen Bohrungen um eine Facette reicher. Denn das Stollensystem mit dem Codenamen „Bergkristall“ ist ein besonders tragisches Kapitel der Nazi-Diktatur. Die unterirdischen Tunnel waren ab 1943 von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen aus dem nahe gelegenen KZ-Lager Mauthausen und dem Lager Gusen errichtet worden. Bis zu 60.000 Menschen wurden gezwungen, hier händisch zu graben, mindestens die Hälfte kam ums Leben – entweder durch die katastrophalen Arbeitsbedingungen oder die Brutalität der Nazi-Aufpasser. „Bergkristall“ wurde jedenfalls zu einer Zentrale der Rüstungsproduktion für Hitlers Armee, in den bombensicheren Stollen wurden Teile der Messerschmidt-Jagdflugzeuge und andere Kriegswaffen produziert. Nach dem Krieg wurden die Stolleneingänge teilweise gesprengt, später darüber sogar Wohnhäuser errichtet. Wegen Einsturzgefahr begann die für die Stollen zuständige BIG, die Bundesimmobiliengesellschaft, ab 2002 die Stollen mit Beton zu verfüllen: ein Riesenprojekt, das mehrere Jahre dauerte und rund 14 Mio. Euro verschlang.


Tunnel unter dem Tunnelsystem. Doch damit war die Sache nicht erledigt. Denn vor knapp zwei Jahren hat der Filmemacher Andreas Sulzer neue Spekulationen angeheizt: Unter den bereits bekannten und zubetonierten Tunneln befinde sich ein weiteres bisher nicht entdecktes Tunnelsystem und dort sei in den letzten Kriegsjahren Atomforschung betrieben worden. „Das ist belegt. Dafür habe ich Beweise und Unterlagen in deutschen, russischen und amerikanischen Archiven gefunden“, sagt Sulzer zur „Presse“. Ein entsprechender Dokumentarfilm sei derzeit in Produktion. Und bei Messungen habe er erhöhte radioaktive Strahlung entdeckt.

Die BIG startete darauf eigene Messungen, Experten der Boku wurden mit der Analyse beauftragt. Fazit: nichts Ungewöhnliches, lediglich natürliche Strahlung, wie sie in Boden und Gestein dieser Region natürlich vorkomme. Da aber die Gerüchte nicht verstummen wollten, entschlossen sich Bund und Land Oberösterreich zu neuerlichen Bohrungen. Jetzt wartet man, wie erwähnt, auf das frostigere Wetter, um wieder Dutzende Meter vorzustoßen.

Dann wird aber voraussichtlich Schluss sein, zumindest von offizieller Seite. BIG-Sprecher Ernst Eichinger: Die BIG habe sich an den derzeitigen Bohrungen beteiligt, um ausschließen zu können, dass es ein weiteres unentdecktes Stollensystem gebe. „Aber sollten auch diese Bohrungen ergebnislos sein, wird sich die BIG nicht an weiteren beteiligen.“ Und auch Harald Wimmer, oberster Landesgeologe in Linz, sagt: „Wenn wir nicht fündig werden und es keine neuen Anhaltspunkte gibt, werden wir sicher nicht ein Loch nach dem anderen machen.“

Etwas anders sieht dies Filmemacher Sulzer: Er glaubt, dass man schon bei der ersten Bohrung vor Weihnachten einen geheimen Stollen ganz am Rande angebohrt habe. Und man nur weiterbohren müsse, um fündig zu werden. Denn er habe in seinen Unterlagen auch die Original Bauakten vom Stollensystem „Bergkristall“. Daraus gehe hervor, dass der Komplex weit größer gewesen sei, als die zubetonierten Tunnel. Die Spekulationen um die Entwicklung von Hitlers Wunderwaffen in OÖ werden also sicher weitergehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2014)

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