Mehr Kinder: Ein Job für den Staat?

German Families Minister Schroeder gives a speech during a session at the lower house of parliament Bundestag in Berlin
German Families Minister Schroeder gives a speech during a session at the lower house of parliament Bundestag in BerlinREUTERS
  • Drucken

Die deutsche Familienministerin Schröder provoziert mit der These, dass Familienpolitik gar nicht in der Lage sei, die Geburtenrate zu erhöhen.

Berlin. Kristina Schröder wirkt genervt. Die deutsche Familienministerin kann es nicht mehr hören, dass ihre Politik nichts bringe. Mit 200 Milliarden Euro jährlich unterstützt der Staat Ehen und Familien durch immer neue Förderungen, Transfers und Steuererleichterungen. Seit einigen Jahren kommt noch ein massiver Ausbau der Betreuungsplätze für Ein- bis Dreijährige dazu, ab August gibt es dafür einen einklagbaren Rechtsanspruch. Aber die Zahl der Neugeborenen bleibt deprimierend niedrig: bei 1,36 Kindern pro Frau, weit unter der magischen Grenze von 2,0, die ein langfristiges Schrumpfen der Bevölkerung ohne massive Zuwanderung verhindert. Die Situation in Österreich ist ähnlich. Es lohnt sich also hinzuhören, was die Nachbarn diskutieren.

Die junge Ministerin rettete sich jüngst bei einer Pressekonferenz mit einer kühnen These: Die Familienpolitik tauge ohnehin nicht dazu, die Menschen zu mehr Kindern zu überreden. Als gelernte Soziologin sei sie „sehr skeptisch, dass man Fertilität mit politischen Maßnahmen erhöhen kann“. Es gebe „keine seriöse Studie“, die hier „einen belastbaren Zusammenhang herstellt“. Deshalb habe sie auch „gar keinen Ehrgeiz“, die Geburtenrate zu steigern. Kinder kriegen sei „eine unendlich private Entscheidung“.

Fragt sich nur: Wieso dann so viel Geld verbraten? Es gehe um einen gerechten Ausgleich für finanzielle und berufliche Nachteile der Elternschaft, heißt es dann. Und außerdem sollen sich alle wohlfühlen. Das stellte die Journalisten nicht zufrieden, immer wieder bohrten sie bei der Geburtenrate nach. Denn woran kann man den Erfolg der Familienpolitik besser festmachen als an der Bereitschaft, Kinder zu bekommen?

Österreich bei Kinderwunsch Schlusslicht

Nimmt man Schröder ernst, könnte ihre These bedeuten: Deutsche und Österreicher wollen eben weniger Kinder als Franzosen, Skandinavier, Briten oder Amerikaner, aus welchen seltsamen kulturellen Gründen auch immer. Die österreichischen Frauen zwischen 25 und 39 Jahren wünschen sich tatsächlich im Schnitt nur 1,79 Kinder – der niedrigste Wert in der EU, zudem fast konstant über die letzten zwölf Jahre (laut Eurobarometer). Bei den Deutschen aber tut sich etwas: 2001 hatten sie noch eine ähnlich geringe Lust auf Kinder, heute halten sie mehr als zwei wieder für wünschenswert. Nur sieben Prozent der Kinderlosen unter 30 wollen explizit keinen Nachwuchs. Damit zählt Deutschland zu den Ländern, wo Ideal und Realität am weitesten auseinanderklaffen.

Hat also doch die Politik versagt, weil es ihr nicht gelingt, Hürden abzubauen? Der schnelle Schluss trügt. Vor zehn Jahren erklärten noch 47Prozent der Kinderlosen, „ein Kind wäre eine zu große finanzielle Belastung“ und 37 Prozent, es würde ihre „beruflichen Pläne“ stören. Heute stimmen beidem nur noch 22 Prozent zu – eigentlich ein gutes Zeugnis für die Familienpolitik, nur ohne Effekt. Die Deutschen wollen, könnten und tun es trotzdem nicht. Womit wir wieder bei Schröders provokantem Achselzucken wären. Freilich müssten ihr die hauseigenen Experten widersprechen – sonst wären auch deren Studien nicht „seriös“. So zeigt Martin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in einem Ländervergleich einen „hoch signifikanten“ Zusammenhang zwischen Geburtenrate und Ausgaben des Staates für Kinderbetreuung auf.

Anzeichen für deutsche Trendwende

Die steile Linie in der oberen Grafik veranschaulicht diese Korrelation. Sie beweist zwar nicht, dass viele Krippen- und Hortplätze zu mehr Kindern führen, ist aber ein starkes Indiz. Die angelsächsischen „Ausreißer“ lassen sich erklären: In den USA, Australien und Irland gibt es viele private Möglichkeiten, Kinder für wenig Geld betreuen zu lassen. Weniger klar ist, ob staatlicher Geldsegen etwas bringt. Die Linie in der unteren Grafik ist flacher, und die Ausreißer irritieren. In den USA läuft es genau umgekehrt wie bei uns: Der Staat fördert Familien kaum, aber die Amerikaner pflanzen sich dennoch munter fort. Freilich empfehlen Experten wie Bujard nicht, die Transfers massiv zu kürzen und das Geld in die Betreuung zu stecken. Die Anreize zielen auf verschiedene Gruppen: Mit Krippenplätzen nehme man die Scheu vor dem ersten Kind, mit finanzieller Unterstützung fördere man vor allem Mehrkindfamilien.

Doch der Zweifel bleibt. „Ticken“ die Deutschen einfach anders? Wollen sie als Eltern alles perfekt machen, mit dem Effekt, dass viele gar nicht Eltern werden? Fest steht: Berufstätige Mütter kleiner Kinder sind nicht so selbstverständlich akzeptiert wie in Schweden oder Frankreich. Und weil die Nazis die „Gebärpolitik“ missbrauchten, blieb sie als Thema – anders als in Frankreich – lange tabu. Erst in den letzten Jahren wächst das Bewusstsein, dass genügend Nachwuchs für die Gesellschaft unentbehrlich ist. Wünschen sich die Deutschen deshalb mehr Kinder als früher? Werden in der Folge tatsächlich mehr Babys das Licht der Welt erblicken? Das lässt sich wirklich nicht „seriös“ voraussagen, aber es ist ein Hoffnungsschimmer – der in Österreich fehlt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.