Der schwarze Schatten in der Nacht

 Albträume
Albträume(c) www.BilderBox.com (www.BilderBox.com)
  • Drucken

Auch wenn Kinder noch so unter Albträumen leiden, die dunklen, beängstigenden Erlebnisse im Schlaf haben meist sogar ihr Gutes. Sie helfen den Kindern, Probleme aufzuarbeiten.

Maria M. macht sich Sorgen. Ihre siebenjährige Tochter Daniela kam gestern wieder nächtens verschwitzt und heulend ins Schlafzimmer. „Die ganze Klasse will mich prügeln“, sagte sie und weinte. Wieder hatte sie ein Albtraum geplagt – zum zweiten Mal in diesem Monat.

„Das ist noch kein Anlass zur Sorge, Albträume sind zwar nicht unbedingt angenehm, da meist das Leben, der Selbstwert oder die Existenz des Träumers bedroht ist, aber im Prinzip sind sie nichts Krankhaftes“, erklärt Brigitte Holzinger, Leiterin des Wiener Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung. Die Psychologin ist auf Albträume spezialisiert, ein selbst international noch recht unerforschtes Gebiet. „Kinder haben prinzipiell mehr Albträume als Erwachsene und wenn das ein-, zweimal im Monat vorkommt, ist das absolut kein Grund, beunruhigt zu sein.“ Im Gegenteil: Albträume sind normal, ja, sogar entwicklungsbedingte Notwendigkeit.


Im Alter seltener. Geträumt wird, nicht nur, aber vor allem in der REM-Phase des Schlafs (Rapid Eye Movement; gekennzeichnet durch schnelle Augenbewegungen; es wird vermutet, dass während dieser Schlafphase erlebte Situationen verarbeitet werden, die Träume sind meist emotional betont). „Ein Neugeborenes verbringt bis zu 80 Prozent des Schlafes in der REM-Phase“, sagt Holzinger, „ein Erwachsener nur noch etwa 20 bis 25 Prozent.“ Je kürzer der REM-Schlaf desto weniger Träume insgesamt, „auch die Zahl der Albträume nimmt in Lauf des Lebens ab. Am häufigsten kommen sie bei Fünf- bis Zehnjährigen vor, und ältere Menschen berichten signifikant seltener über Albträume als Studenten.“

Kinder lernen durch Albträume, mit den Bedingungen, die sie antreffen, fertig zu werden, Probleme aufzuarbeiten. „Zum Beispiel, wenn sie in die Schule kommen. Da müssen sie vier bis sechs Stunden ruhig sitzen, haben kaum Bewegung – damit müssen Mädchen und Buben erst einmal fertig werden.“ Mit nächtlichen Schreckbildern arbeiten auch die ganz Kleinen Probleme, die sie im Kindergarten erlebt haben, auf. Ab dem dritten Lebensjahr beginnen Kinder übrigens, Träume von Geschichten oder Fernsehfilmen zu unterscheiden.


Anlass zum Handeln. „Ob viel oder wenig geträumt wird, hängt zum Teil auch mit der Familie zusammen, ob der Vater oder die Mutter viel träumt“, meint Holzinger. Das sei aber mehr Spekulation denn erwiesene Tatsache. Erwiesen ist: Wenn Kinder drei-, viermal pro Woche und das über Monate hinweg von Albträumen desselben Inhalts geplagt werden, besteht häufig Anlass zum Handeln. Da könnten dann großer Stress in der Familie, Mobbing oder andere Probleme in der Schule, die Scheidung der Eltern dahinterstecken. Erst dann ist unter Umständen ein Besuch beim Kinderpsychologen oder -psychotherapeuten ratsam. Nicht selten stehen Albträume auch in Verbindung mit Schlafstörungen, die bei Kindern und Jugendlichen massiv zunehmen (siehe Artikel unten). Hilfreich sei es auch, sich den Traum des Kindes erzählen zu lassen, im Gespräch den Traum positiv enden zu lassen und dem Kind zu vermitteln: „Du kannst dich wehren.“

Apropos wehren: Warum – und das passiert ja auch Erwachsenen immer wieder – kommt es in Träumen so häufig vor, dass man nicht von der Stelle kommt, vor gefürchteten Gegnern nicht flüchten kann? „In REM-Phasen haben wir überhaupt keine Muskelspannung, die Muskulatur ist völlig erschlafft, wir sind quasi gelähmt, und daher kommen wir auch im Traum nicht von der Stelle“, sagt Holzinger. Warum wir gelähmt sind, ist nicht restlos geklärt, „aber vermutlich dürfte das ein Trick der Natur sein, damit der Körper Träume nicht lebhaft ausagiert, damit man im Schlaf nicht um sich schlägt.“ Die Gefahr der Selbstverletzung oder blauer Flecken beim Partner ist sonst nicht auszuschließen, man träumt ja nicht nur in Albträumen Böses.

Generell, so Holzinger, seien Träume etwas Wunderbares, seien ein Geschenk an unseren Organismus, mit dem Leben zurechtzukommen – sowohl für Kinder als auch Erwachsene. „Träume sind ein Ausdruck unserer Gefühle, unseres Körpers, und wir sollten sie wirklich ernst nehmen.“ Nicht ernst zu nehmen seien die diversen Traumbücher. „Traum ist etwas höchst Individuelles. Wenn man sich einen Traum merkt, sollte man mit jemandem darüber reden, man kann sich den Traum auch aufschreiben.“ Denn das sei eine sehr gute Möglichkeit, sich selbst besser kennenzulernen oder einen besseren Bezug zum Kind herzustellen. „Der Traum ist eine Art Parallelwelt, in der sich unsere Realitäten widerspiegeln, abbilden und mit uns kommunizieren.“
Infos: www.traum.ac.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Spielerisch schlafen lernen
Gesundheit

Spielerisch schlafen lernen

Neurologe Manfred Walzl will Kindern die Bedeutung des Schlafsnäherbringen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.