Sportler: Mann gegen Frau

Sie trainieren so hart wie ihre männlichen Kollegen – und doch: Frauen spielen im Sport nur die zweite Geige. Eine Bestandsauf- nahme.

Der Fall, sagte Richterin Lauri Ann Fenlon, sei „sehr komplex“. Sie brauche Zeit, um alle Argumente abzuwägen. Nordamerikanische Skispringerinnen waren vor das Oberste Gericht der kanadischen Provinz British Columbia gezogen, um das Recht, an den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver teilnehmen zu dürfen, einzuklagen. Falls sie scheitern, wollen sie verlangen, dass auch die Männer nicht springen dürfen – gleichsam als Beispiel „negativer“ Gleichberechtigung.

Nicht vor Gericht, aber mit aller Vehemenz kämpft ein 17-jähriger Deutscher um freie Sportausübung. Der junge Mann will in eine Frauendomäne eindringen: Niklas Stoepel ist begeisterter und talentierter Synchronschwimmer. Sein Ziel heißt Olympia 2012. Doch der internationale Schwimmverband hält nichts von Männern, die mit Gelatine im Haar und Klammer auf der Nase ihre Show im Wasser abziehen. Vor den Spielen 2000 in Sydney hatte sich der US-Amerikaner Bill May sportlich qualifiziert, starten durfte er nicht. Auch das fällt unter Diskriminierung.


Gleichberechtigung? Sind die Forderungen der Skispringerinnen und jene Stoepels überzogen? Braucht der Sport Gleichberechtigung? „Es spricht nichts dagegen, alle Sportarten für beide Geschlechter zu öffnen“, sagt Otmar Weiß, Professor für Sportsoziologie an der Universität Wien, es sei vielmehr zu befürworten. Es bestehe auch keine Gefahr, dass Sport dadurch an Faszination verliere, meint Weiß. Denn in der Qualität der Ausübung würden Unterschiede bleiben: Frauen pflegten einen eher emotionalen und gesundheitsorientierten Zugang, Männern gehe es eher um Kraft und Schnelligkeit. Dass Männer reaktionsschneller seien und daher Frauen etwa in der Formel1 keine Rolle spielten, lasse sich nicht belegen. „Es gibt keine Tradition rennfahrender Frauen, deshalb ist es schwer, Talente zu entdecken“, analysiert Weiß.


Männerherrschaft. Andere Lebenskultur, andere Traditionen und ein anderes Geschlechterbild sind Gründe, warum Skandinavien im Frauensport eine starke Position innehat. Schulreform und Ganztagsbetreuung für Kinder hätten Frauen schon vor Jahren (für Sportaktivitäten) freigespielt, sagt Weiß. Eine Einschätzung, die Gunnar Prokop teilt. Mit seinen Handball-Damen von Hypo NÖ bekommt er es im Europacup regelmäßig mit starken Skandinavierinnen zu tun. Im Gegensatz zum Norden gebe es hierzulande „noch immer eine Männerherrschaft“, formuliert Prokop und sieht Österreich diesbezüglich im europäischen Durchschnitt.

Als Coach beobachtete er, dass Frauen in der Trainingsarbeit viel schwerer zu überzeugen sind. „Aber wenn diese Hürde überwunden ist, dann sind Frauen konsequenter, konzentrierter als Männer und viel eher bereit, über die Schmerzgrenze zu gehen.“ Über die Gründe rätselt er selbst: Sind es Kultur, Psyche oder der Umstand, dass nur Frauen gebären können und dabei enorme Schmerzen erdulden müssen?

Brian Whipp und Susan Ward von der University of California hatten Anfang der 1990er-Jahre die Frauen auf der Überholspur gesehen. Sie hatten die Rekordentwicklung in den fünf wichtigsten olympischen Laufbewerben von 1920 bis 1990 beobachtet und festgestellt, dass sich die Bestzeiten der Frauen bei den Sprints doppelt so schnell entwickelt hatten wie jene der Männer. Bis 2050, folgerten sie, würde der Geschlechterunterschied verschwunden sein. Neuere Studien widersprechen und sehen geschlechtsspezifische Unterschiede: Die maximale Sauerstoffaufnahme beträgt bei Männern dreieinhalb Liter, bei Frauen rund zwei Liter pro Minute. Männer verfügen über die zehnfache Menge an Testosteron, das die Bildung roter Blutkörperchen anregt. Zudem hätten Männer im Verhältnis zur Körpergröße mehr Muskeln. Der „Gender Gap“, so Stephen Seiler von der Universität Kristiansund, sei nicht zu schließen, der Vergleich der Geschlechter unfair.


Revolutionäres, faires Duell. Allerdings: In Disziplinen, die nach Gewichtsklassen geregelt sind, wie Ringen und Judo, oder beim Klettern und Skispringen – Sportarten, in denen der Body-Mass-Index relevant ist – wäre ein gerechter Kampf der Geschlechter denkbar, wenn das Gewicht und der durch Training steuerbare Körperfettanteil der Kontrahenten gleich sind. Ein Gedanke, der Wettkämpfe revolutionieren könnte.

Tatsächlich gibt es – abgesehen von Mixed-Bewerben – eine einzige olympische Sportart, in der Frauen und Männer gegeneinander antreten: Reiten. Andere direkte Duelle sind rar. Eines der wenigen Beispiele ist die Kärntner Billardspielerin Jasmin Ouschan, die 2008 bei der Herren-WM als erste Frau überhaupt eine Medaille gewann.

Der Unterschied zwischen den Geschlechtern zeigt sich nicht nur im Spitzensport, wo Männer rund 70 Prozent der Fördermittel kassieren und weibliche Trainerinnen die Ausnahme sind. Weit offen ist die Schere auch im Breitensport. In Österreich sind rund drei Millionen Menschen in Sportvereinen gemeldet, 41 Prozent davon sind weiblich. Auf der Funktionärsebene liegt der Frauenanteil bei nur knapp 30 Prozent. „Frauen sind Kassierin oder Schriftführerin. Vereinschefinnen gibt es wenige“, sagt Herta Mikesch, Vorsitzende der Kommission „Frauen im Sport“ der Bundessportorganisation BSO. An der Spitze der Dachverbände Asvö, Askö oder Union ist das Verhältnis mit einer Frauenquote von unter 15 Prozent noch krasser. Und nur drei der 59 Fachverbände werden von Frauen geführt: Reiten, Eiskunstlauf und Bogenschießen. Ab 2010 soll der frauenfreundlichste Verein gekürt werden. Ob das die Lage ändert, bleibt abzuwarten.


Familienmanagement. Gründe für die Schieflage sieht die BSO darin, dass Frauen, die Beruf, Kinder und Haushalt unter einen Hut bringen müssen, keine Zeit für eine Funktionärsaufgabe haben. Solange das Familienmanagement an den Frauen hängt, werde sich die Lage nicht ändern. Die Frauen aber sind aktiver, als es die Zahlen ausdrücken: „Mütter spielen Taxi für die Kinder, um sie zum Training zu fahren. Sie waschen die Dressen oder betreuen das Sportplatzbuffet“, sagt BSO-Generalsekretärin Barbara Spindler.

Erschwerter Zugang für Frauen zum Sport ist ein Problem, die geringere Beliebtheit von sportelnden Frauen bei den Fans ein anderes. Was als attraktiv wahrgenommen werde, sagt Sportsoziologe Weiß, werde durch Eltern, Schule, Gleichaltrige und Medien geprägt. Frauensport kommt im Fernsehen seltener vor, die männliche Art der Sportausübung werde daher zum Idealbild. Die Selektion, was gesendet wird, liegt dabei – kaum überraschend – in der Hand der Männer: 85 bis 90 Prozent aller in den Sportredaktionen des Landes Beschäftigten sind männlich.


Mehr Quote, mehr Geld. Weil sich in den Köpfen unterbewusst festgesetzt habe, dass Männersport attraktiver wäre, sei es auch einfacher, Herrenbewerbe zu organisieren, sagt Herwig Straka von e?motion, Veranstalter des Austrian GolfOpen oder des Stuttgarter Tennisturniers. Das bedeutet mehr Zuschauer, mehr Sponsoren und letztlich deutlich höhere Preisgelder für Männer. Dabei räumt er ein, dass gerade im Tenniszirkus die Damen technisch attraktives, schnelles Spiel zeigen würden. Daher habe er auch keine Freude mit der aktuellen Kampagne des Tennis-Weltverbandes WTA, die primär auf den sexy Auftritt der Spielerinnen als auf deren hochklassiges Spiel setzt.

„Schönheit, Ästhetik sind ebenso wichtige Bestandteile des Sports wie Dynamik, Kraft und Gewalt“, sagt Weiß. mit der Erotik solle man es jedenfalls nicht übertreiben. Auch wenn sie kurzfristig für Quote sorgt, das patente Rezept, um die Attraktivität des Frauensports langfristig zu heben und Gleichberechtigung zu erreichen, muss anders aussehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.