"Dreileben" im TV: Drei Regisseure, drei Filme, ein Krimi

(c) Filmfestival Locarno
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Das TV-Projekt "Dreileben" (ARD) ist ein Experiment: Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler beleuchten einen Kriminalfall aus drei Blickwinkeln und schaffen mehr als den üblichen Episodenfilm.

Der Hintergrund eines der ungewöhnlichsten TV-Projekte dieses Jahres sind eine E-Mail-Korrespondenz aus dem Jahre 2006 und eine falsche Erinnerung: „Dreileben“ ist der Überbegriff des Trios von Filmen, die am Montag, dem 29. August, ab 20.15 Uhr, im ARD-Programm ausgestrahlt werden. Alle drei spielen in der (fiktiven) Stadt Dreileben im Thüringer Wald, während die Polizei einen flüchtigen Frauenmörder jagt. Jeden der drei Filme hat ein anderer Regisseur entwickelt und mit seinem Team im eigenen Stil inszeniert: Christian Petzold und Christoph Hochhäusler, zwei Schlüsselfiguren der „Berliner Schule“, die in der letzten Dekade frischen Wind ins deutsche Kino brachten, sowie Dominik Graf, der Meister des deutschen Krimis, der zuletzt mit der Miniserie „Im Angesicht des Verbrechens“ reüssierte.
Im E-Mail-Wechsel, den die deutsche Filmzeitschrift „Revolver“ veröffentlichte, hatte sich Veteran Graf mit den zwei jüngeren Kollegen über die Einsamkeit des Filmemachens in Deutschland zwischen Kommerz- und Festivalkino ausgetauscht. Graf, Genre-Autorenfilmer der Nation, kennt diese Einsamkeit zur Genüge: „Die Katze“, sein brillanter Bankräuberfilm mit Götz George von 1989, war der definitive deutsche Kinokrimi, bevor das Genre dem Fernsehen überantwortet wurde. Dort fand Graf notgedrungen eine zweite Heimat und schmuggelte Thriller mit eigener Handschrift in die Sendereihen – erst letzten Sonntag lief seine packende „Polizeiruf 110“-Folge „Cassandras Warnung“.

„Schneewittchenfilme“ im Kino. Während sich Graf eine persönliche Nische erkämpfte, um dem nichtssagenden deutschen Mainstream zu trotzen, versuchten die Nachwuchsgenerationen der „Berliner Schule“ den Neuanfang durch ein Kino der kühlen, präzisen Alltagsbeobachtung. Dieser ausgeprägte Stilwille hätte zu „Schneewittchenfilmen“ geführt, beklagte sich Graf in der Korrespondenz: Er vermisse darin Kommunikation, Humor, Sinnlichkeit.
Die freundschaftliche Kontroverse führte zur Probe aufs Exempel: Das gemeinsame Ziel von „Filmen, die sich nicht schämen, in Deutschland zu spielen“ wollte man zusammen im „Dreileben“-Projekt als Mix aus Genre- und Autorenkino umsetzen. Petzold schlug die Geschichte eines Mannes vor, der erst zum Mörder wird, weil man ihn als solchen jagt – wie in Schillers Erzählung „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“. Bei der Schiller-Relektüre zeigte sich zwar, dass Petzolds Erinnerung trog – aber die Idee gefiel. Dass erst der letzte Film des Trios, Hochhäuslers „Eine Minute Dunkel“, von der Mörderhatz handelt, gibt eine Idee von den Ambitionen des „Dreileben“-Projekts: Drei Geschichten zu etwas zusammenfügen, das mehr ist als die Summe seiner Teile.
So steht am Anfang mit Petzolds „Etwas Besseres als den Tod“ eine Liebesgeschichte: Zivildiener Johannes (Jacob Matschenz) arbeitet in einer Klinik am Ortsrand, wo der Straftäter eingangs entkommt. Vor dem Hintergrund der polizeilichen Suchaktion – Sirenen, bellende Hunde, Hubschrauber in der Ferne – begegnet Johannes einer Immigrantin aus Sarajewo: Ana (Luna Mijović) arbeitet in einem nahen Hotel als Zimmermädchen.

Leise Anleihen am Horrorfilm. Julie Londons „Cry Me a River“ wird zum Liebeslied einer knospenden, introvertierten Romanze, an deren Rändern unsichtbare Gefahr lauert. Mit leisen Horroranleihen beschwört Petzold die Bedrohung durch den gesuchten Verbrecher, die erotische Spannung wird aber von der sozioökonomischen überschattet: Geld- und Klassenfragen erwiesen sich als viel gefährlicher für eine Liebesgeschichte, die – wie Petzolds Kinofilme „Yella“ und „Jerichow“ – eine Art Geisterfilm unter den lebenden Toten der kapitalistischen Gegenwart ist.
Fügt sich Petzolds Beitrag nahtlos in dessen Werk, so überrascht dann Grafs „Komm mir nicht nach“ mit einer tragikomischen Beziehungsstudie: Polizeipsychologin Johanna wird zu den Ermittlungen nach Dreileben geholt, zieht bei ihrer alten Freundin Vera (Susanne Wolff) und deren Bestsellerautor-Gatten (Mišel Matičević) ein. Während die Suche nach dem Verbrecher weiterläuft, durchsuchen die beiden Frauen bei rotweinfreudigen Gesprächen die gemeinsame Vergangenheit: Beides zeitigt unerwartete Resultate.

Abgründe des Lebens. Obwohl sich Grafs Film am lustvollsten in die Atmosphäre der deutschen Provinz versenkt, wird man ihn einst wohl als Meisterwerk ganz anderer Art wiederentdecken: Als Tribut an den verehrten japanischen Regieklassiker Yasujiro Ozu und dessen zärtliche Filme über die Abgründe des Lebens – der Stil ist ganz anders, die Themen sind dieselben.
Der Schluss von Hochhäuslers „Eine Minute Dunkel“ löst zuletzt einen zentralen Handlungsstrang auf, doch öffnet sich zuvor eine ganz andere Welt: Die Flucht von Häftling Molesch (Stefan Kurt) durch den Thüringer Wald hat eine märchenhafte Dunkelheit, indes arbeitet ein Polizist (Eberhard Kirchberg) dessen Fall neu auf. Im entscheidenden Beweismaterial von damals fehlt etwas: Für eine Minute fiel die Überwachungskamera aus.
Diese Lücke ist emblematisch für das Projekt: Die Filme funktionieren auch für sich, bereichern einander aber durch Auslassungen und Unschärfen der einzelnen Teile in Bezug aufeinander. Wo die sich kreuzenden Geschichten allwissender Episodenfilme wie „Babel“ dem Zuseher geradezu diagrammartig vorgeben, was er zu denken hat, eröffnen die subjektiven Zugänge der „Dreileben“-Filme tatsächlich eine Vielfalt der Möglichkeiten.

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