Keine Ruhe nach dem Sturm – der Tod lauert im Wald

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Wald-wissenschaft. Bei Aufräumarbeiten nach Stürmen kommen regelmäßig Menschen ums Leben. Muss das sein?

Wien. Waldaufräumarbeiten, die sind wie eine Mischung aus Mikado und russischem Roulette. Ähnlich wie beim Spiel mit den Stäbchen liegen auch gefallene Bäume nach Stürmen ungeordnet durcheinander. Und genau wie beim russischen Roulette kann eine Fehlentscheidung schwerwiegende Folgen haben – bis hin zum Tod. Auch wenn man darüber selten in Zeitungen liest. Vier Todesopfer forderte Orkan Emma Ende Februar 2008 in Österreich, das wurde berichtet. Die Opfer, die danach bei Aufräumarbeiten in den Wäldern ums Leben kamen, wurden verschwiegen. „Die Sozialversicherungsanstalt der Bauern aus Kärnten und Steiermark berichtete mir von sechs Opfern, die allein beim Aufarbeiten von Windwurf nach dem 29.Jänner2008 zu Tode kamen“, erzählt Karl Stampfer, Leiter des Departments für Wald- und Bodenwissenschaften an der BOKU.

Viele Opfer bei kleinen Flächen

Dazu kommt ein Toter unter den Professionisten der Forstwirtschaft aus der Statistik der AUVA. „Vergleicht man dies mit Zahlen aus 2007, wo insgesamt 26 Menschen in ganz Österreich bei Forstarbeiten getötet wurden, sind sieben Tote in zwei Bundesländern in nur eineinhalb Monaten nach Paula und Emma sehr viel“, so Stampfer.

Die hohe Zahl der Opfer unter Kleinwaldbesitzern (mit max. 200ha Wald) fällt dabei besonders auf: „Wenn jemand 30 bis 40 Hektar besitzt, kann der Sturm die gesamte Fläche zerstören. Da kann man sich vorstellen, mit welchem psychischen Druck Einzelne an die Waldarbeit schreiten“, meint der Forscher. Dies und vieles andere wirkt sich negativ auf die Arbeitssicherheit aus. Österreichs Bauern und Waldbesitzer werden stets davor gewarnt, Windwurf selbst aufzuarbeiten, zu hoch sind die Risiken, die nicht einmal Experten 100-prozentig abschätzen können.

Druck- oder Zugseite?

Was ist das Besondere an der Arbeit nach Stürmen und Orkanen? „Die Spannung der Stämme ist schwer einschätzbar, da zusätzlich Seitenspannung auftritt.“ Sehr gefährlich sind auch Wurzelteller, die nach dem Abtrennen des Baumstockes umfallen. Eine weitere Gefahr ist die schlechte Begehbarkeit des Geländes. Die Aufräumarbeiten darf man daher nie alleine angehen und nur gut ausgebildete Fachkräfte sollten eingesetzt werden. „Die Ausbildung erfolgt in Trainingscentern. Dort haben wir Simulatoren, an denen das Schneiden von Holz unter hoher Spannung geprobt wird.“

Denn wer vor einem gekippten Baum steht, muss schnell und zuverlässig entscheiden können, welche die Druck- und welche die Zugseite ist. Der Entlastungsschnitt mit der Motorsäge darf nur an der Druckseite erfolgen. Der Arbeitseinsatz sollte außerdem so weit wie möglich mechanisiert werden: Forstspezialschlepper oder Traktoren mit einer Seilwinde dienen als Unterstützung, große Geräte wie Harvester können die Arbeit über weite Strecken sicher abwickeln.

Die acht bis 30 Tonnen schweren Harvester, wie die halbautomatischen Holzvollernter genannt werden, übernehmen neben Fällung, Entastung und Sortimentierung auch die Sicherungen für die Forstarbeiter. „Hält der Harvester den Stamm, kann die Spannung aus dem Holz genommen werden und der Motorsägenführer den Stamm sicher abschneiden.“

Die brenzligsten Situationen treten beim Abstocken der umgeworfenen Bäume auf, also wenn Wurzelteller und Stock vom Stamm getrennt werden müssen. Die Gefahr, dass der Wurzelteller nachrückt und den, der das Abstocken manuell ausführt, erschlägt, ist sehr hoch. Am sichersten wäre es, diesen Schnitt vom Gerät erledigen zu lassen. Das ist aber wegen der Erde und des Schmutzes im Bereich des Wurzeltellers nicht möglich – die scharfen Ketten des Harvesters verdrecken und werden stumpf. „Am wichtigsten ist, dass der Motorsägenführer und der Harvesterfahrer im ständigen Funkkontakt sind. Nur so ist Sicherheit gewährt.“

Hightech hilft

Rund 200 Harvester sind in ganz Österreich im Einsatz. Zusätzlich stehen etwa zehn Highlander bereit. Dieser Hightech-Harvester kommt durch eine Bewegungskombination aus Rollen und Schreiten auch in unwegsamem Gelände voran und rentiert sich laut Stampfer vor allem bei der Windwurfaufarbeitung von Kleinmengen. Durch die integrierte Klemmbank kann der Highlander die Stämme nicht nur umschneiden, sondern auch an die Forststraße rücken. Der Vorteil dabei ist, dass am Ende jedes Arbeitstages sämtliches Holz an der Forststraße zur Abfuhr bereitliegt.

Nicht viele Menschen kennen solch moderne Holzernte-Maschinen. Darum ist nachvollziehbar, dass Windwurfflächen an sich und die Forstarbeiten daran im Speziellen immer wieder Schaulustige anlocken. Leider ist diesen Personen selten bewusst, dass man sich bei näherer Betrachtung des Geschehens in Lebensgefahr begibt. „Eine typische Prüfungsfrage im Trainingscenter ist, wie viele Warntafeln man bei Waldarbeiten aufstellen muss. Die Antwort ist nicht ein, zwei oder drei, sondern so viele, wie notwendig sind. Schlimm ist es, wenn sich die Leute nicht an die Warntafeln halten“, so der Waldwissenschaftler.

STÜRME EMMA UND PAULA

Als Orkan werden Winde mit Geschwindigkeiten von mindestens 117,7 km/h bezeichnet.Auf der Beaufort-Skala werden Orkane mit der Stärke 12 klassifiziert.

Von 26. bis 27.Jänner2008 fegte Sturmtief Paula mit Windspitzen über 150 km/h übers Land. Am stärksten betroffen war die Steiermark. Der Orkan produzierte sechs Millionen Erntefestmeter (Efm – ein Kubikmeter geerntetes Holz ohne Rinde) Sturmholz.

Von 29.Februar bis 2.Märzwütete Orkan Emma in Österreich. Diesmal war Oberösterreich am stärksten betroffen. Weitere 1,9 Millionen Erntefestmeter Holz wurden in Österreichs Wäldern geworfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2008)

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