Rebecca Ferguson: Schlicht wie ein Diamant

Ihre Vorbilder waren Cher, Whitney Houston und Kylie Minogue.
Heute singt Rebecca Ferguson selbst in der ersten Liga.

TIPP

Liverpool ist ein raues Pflaster. Seit man nicht mehr so viel zu exportieren hat wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als 40 Prozent des Welthandels über den dortigen Hafen abgewickelt wurden, kennt man auch das Phänomen Arbeitslosigkeit. „Man nennt uns ‚Scousers‘“, sagt die 25-jährige Rebecca Ferguson, „wir sind stolz und ambitioniert. Magst du auch der größte Star der Welt sein, in Liverpool geht man davon aus, dass alle Menschen gleich sind.“ Scouse ist einerseits ein Pökelfleischgericht, andererseits ein silbenschluckender, lokaler Dialekt, der zauberhaft klingt, wenn er aus dem hübschen Mund Fergusons kommt. Da hat jeder Satz eine rührende Anmutung von Vorstadt. Singen tut sie hingegen in glasklarem British English. Und das seit Langem. Mit etwa drei Jahren begann sie damit, später in ihren Teenie-Jahren nahm sie Gesangsunterricht. Weil sie aber noch vor ihrem 21. Geburtstag zwei Kindern das Leben schenkte, sah sie ihre Zukunftsaussichten eher düster. „Mit zwei Kindern glaubt man rasch, das Leben wäre vorbei. Richtig ist vielmehr, dass mir die Kids die Kraft geben zu tun, was ich mir immer gewünscht habe.“ Als Alleinerzieherin ließ sie das Träumen nur kurz und bewarb sich bei der Londoner Castingshow „X Factor“ und bei P. Diddy’s „Starmaker“. Zunächst erfolglos. 2010 klappte es bei der siebten Staffel von ­„X Factor“, einer von Simon Cowell konzipierten britischen Talentshow, die seit September 2004 über die Bildschirme flimmert.

Schüchterner Soul. Gesanglich überzeugte sie schon beim Einstieg, Sam Cookes hymnischem „A Change Is Gonna Come“. Sofort merkte man den Unterschied zu ihren Konkurrenten. Obwohl mit einer markanten Stimme ausgestattet, nahm sich Ferguson in den entscheidenden Momenten zurück. Auf diese Art entstand mehr dramatische Wirkung als durch auffällige Verzierungen oder Prahlen mit dem Stimmumfang. Ihr Soul, gepaart mit einer rührenden Schüchternheit, war der Erfolgsgarant für Ferguson.

Stets betonten die Juroren, wie sehr sie nicht nur ihren Gesang, sondern ihr ganzes Wesen schätzen würden. Und fürwahr, wenn man ihr gegenübersitzt, hat man einfach ein gutes Gefühl. Ferguson trägt beim Gespräch in einem Hotel in Köln trotz warmen Wetters eine hübsche Pelzhaube. Das erinnert an die junge Aretha Franklin. Auch sie gebar zwei Kinder, bevor sie ihr 20. Lebensjahr vollendet hatte, und machte doch Weltkarriere. Wie nun auch Ferguson. „Ich möchte mir in Hinkunft noch viel mehr Freude aus der Musik holen“, sagt sie.

Vorerst hat sie mit „Heaven“ ein wahrlich celestiales Album eingespielt. Es charmiert mit elegant gebauten Liedern und ganz viel Seele. Das Gros der Kompositionen stammt von Profi Eg White, der schon Adele und Duffy Liedgut verpasste. Ferguson hat eigene musikalische Einfälle eingebracht und sämtliche Texte geschrieben. „Ich wollte unbedingt meine eigenen Lyrics singen, so konnte ich mit vollem Herzen dabei sein. Nur wenn man wirkliche Erfahrungen in die Musik einbringt, klingt sie nach etwas.“ Liebe ist das zentrale Thema dieses Debütalbums. Schon der Opener heißt „Nothing’s Real But Love“. Daran glaubt sie felsenfest. „Auf diesem Gebiet ist jeder Mensch verletzlich, es ist aber auch der Schlüssel zu einem glücklichen Leben.“ Als sie im Rahmen von „X Factor“ ihre bebende Version von Bob Dylans „Make Me Feel Your Love“ zum Besten gab, hagelte es Komplimente. Sogar Adele, Großbritanniens derzeitiger Soulstar Nummer eins, schrieb ihr, wie angetan sie von der Version sei.

Dog-Eat-Dog im Musikgeschäft. „Leider hab ich sie bislang noch nicht getroffen“, sagt Ferguson, „aber ich war gerührt, als sie schrieb, dass sie bei der Show für mich votete.“ Am Ende hat Adele dieses Lied auch selbst aufgenommen. Auf „Chimes of Freedom“, dem Amnesty-International-Charity-Album, kann man ihn hören. Im wirklichen Leben begegnete Ferguson zuletzt Stars wie Lionel Richie für ein schönes Duett. In „X Factor“ sang sie mit der stimmgewaltigen Christina Aguilera. „Wie das war? Einschüchternd. Ich erstarrte fast vor Ehrfurcht. Im Fernsehen sah es dann glücklicherweise nicht so steif aus, wie ich mich innerlich gefühlt habe“, lacht Ferguson heute. Die Show hätte ihre Persönlichkeit verändert. Wie das? „Nun, ich war wahnsinnig naiv, als ich zum ersten Mal ins Studio kam. Was mich rettete, war mein Eigensinn. Wenn mir die Fernsehleute grüne Perücken aufsetzen oder mich als Fee inszenieren wollten, habe ich mich zur Wehr gesetzt. Nur wenn man stark ist, übersteht man so eine Castingshow unbeschadet.“ Stark war sie zweifellos. Ihr sensationelles, sachte zwischen Blues, Soul und Pop segelndes Debüt erreichte innerhalb von zwei Wochen Platinstatus in Großbritannien. Die Zukunft leuchtet hell. „Der Erfolg hat mich stark gemacht“, sagt sie. Nachsatz: „Jetzt habe ich eine Ahnung von der im Musikgeschäft waltenden Dog-Eat-Dog-Mentalität. Ich war wohl viel zu nett."

„Heaven“ von Rebecca Ferguson ist bei Sony Music erschienen.

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