Somalia: Piraten streiten um erbeutete Panzer

(c) EPA (Thomas Mukoya)
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Brisantes Detail im Fall des gekaperten Frachters: Laut USA sind die Waffen nicht für Kenia, sondern für den Südsudan bestimmt – in Verletzung eines Friedensabkommens.

Mogadischu (ag., hd). Was tun mit 33 erbeuteten Panzern? Darüber waren sich offenbar die rund 50 Piraten nicht einig, die den ukrainischen Frachter „Faina“ mit seiner brisanten Ladung vergangenen Donnerstag auf dem Weg nach Kenia vor der somalischen Küste gekapert hatten: Im Streit über das weitere Vorgehen wurden drei der Piraten von ihren Kollegen erschossen, berichtete eine regionale Seefahrervereinigung.

Das East African Seafarers Assistance Programme bezieht seine Informationen von Verwandten der Besatzung sowie der Entführer. Die Moderaten unter den Piraten hätten es wegen der Präsenz amerikanischer Kriegsschiffe, die seit Tagen in der Nähe der Faina kreuzen, mit der Angst zu tun bekommen, hieß es. Sie wollten die Aktion abbrechen. Ihnen steht offenbar eine Gruppe von Hardlinern gegenüber, die an der Forderung von 20 Millionen Dollar Lösegeld festhalten will.

„Kampf bis zum letzten Mann“

Der Streit legt nahe, dass die Piraten ursprünglich gar nicht wussten, was sich an Bord der Faina befindet. Gegenüber der BBC warnten sie vor einer militärischen Befreiungsaktion: „Wenn man uns angreift, werden wir uns bis zum letzten Mann verteidigen.“

Unbewusst haben die Entführer mit ihrer Tat möglicherweise eine verbotene Waffenlieferung aufgedeckt: Nach ukrainischen und kenianischen Angaben waren die 33 Panzer des Typs T-72 sowie die ebenfalls an Bord befindlichen Granatwerfer samt Munition für Kenias Armee gedacht. Dem widersprechen aber nun die USA: „Wir gehen davon aus, dass die Fracht in den Sudan gebracht werden sollte“, sagte ein Sprecher der Fünften US-Flotte, die mit einigen Schiffen die Faina verfolgt. Ihre Zerstörer und Kreuzer befinden sich in einem Umkreis von 18 km um den entführten Frachter, der unter der Flagge von Belize unterwegs ist.

Warum das Schiff nicht den direkten Weg in den Sudan wählt, ist leicht erklärt: Die Waffenlieferung würde nämlich einen Friedensvertrag verletzen, der 2005 zwischen Khartum und den südsudanesischen Rebellen geschlossen wurde. Kenia käme in arge Erklärungsnöte, wenn sich herausstellte, dass Nairobi die Waffen in das sudanesische Konfliktgebiet, in diesem Fall wohl an die Regierung des Südsudan, durchgereicht hätte.

Die Kaperung der Faina ist nur der bisherige Höhepunkt einer langen Serie von Piratenüberfällen vor Somalias Küste. Mehr als 50 derartige Angriffe wurden heuer bereits in somalischen Gewässern registriert, in über 20 Fällen waren die Piraten erfolgreich, wie aus Zahlen des IBM Piracy Reporting Centre hervorgeht. Alleine zum jetzigen Zeitpunkt werden am Horn von Afrika etwa ein Dutzend Schiffe mit zusammen mehr als 200 Crewmitgliedern gefangen gehalten.

Islamisten dämmten Piraten ein

Warum gerade diese Region für Piraten so attraktiv ist, ist leicht erklärt: Seit 1991 existieren in Somalia keine staatlichen Strukturen mehr, also auch niemand, der die Küste effektiv kontrollieren kann. Nur der islamistischen Union der Scharia-Gerichte gelang es nach ihrer Machtübernahme im Frühjahr 2006, „die Piraterie vollständig einzudämmen“, heißt es in einer dem Thema gewidmeten Studie der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik. Mit dem Einmarsch der Äthiopier, die quasi als bewaffneter Arm der somalischen Übergangsregierung die Islamisten vertreiben sollten, hätten die Angriffe wieder zugenommen. Ohne eine von Europa und den USA unterstützte Klärung der Machtfrage in Somalia werde das Piraterieproblem nicht zu lösen sein, meinen die Autoren.

Die EU-Verteidigungsminister wollen unterdessen am Mittwoch und Donnerstag bei ihrem Treffen im französischen Deauville eine EU-eigene ständige Marineoperation vor der Küste Somalias vorantreiben. Frankreich und Spanien, die bereits Schiffe in der Region im Einsatz haben, drängen auf einen schnellstmöglichen Start.

AUF EINEN BLICK

Das Horn von Afrika ist eine Hochburg der Piraterie. Allein im September wurden vor Somalias Küste sechs Schiffe entführt, seit Jahresbeginn mehr als 50. Über 340 Seeleute gerieten dabei in Gefangenschaft. Da Somalia seine Hoheitsgewässer nicht schützen kann, hat der UN-Sicherheitsrat im Juli internationalen Marineverbänden erlaubt, Piraten in diesem Gebiet zu verfolgen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2008)

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