Britischer Minister: Nabucco ja, aber keine Projekte im Iran

Malcolm Wicks
Malcolm Wicks(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der britische Energieminister Wicks forciert die Atomkraft, sucht aber noch „ein Loch“ für den Atommüll.

Die Presse: Großbritannien hat ja ein ehrgeiziges Programm zum Ausbau der Atomenergie. Die Österreicher sind hingegen sehr skeptisch, was Atomenergie angeht. Hierzulande denkt man dabei meist sofort an den Unfall in Tschernobyl. Was ist Ihr erster Gedanke beim Thema Atomkraft?

Malcolm Wicks: Lassen Sie mich unseren Zugang zum Thema Atomkraft erklären. Es gibt für uns zwei Gründe, die Atomkraft zu forcieren. Einerseits ist dies die globale Erwärmung aufgrund der Kohlendioxid-Emissionen. Das ist unserer Meinung nach die größte Herausforderung für unseren Planeten in diesem Jahrhundert. Bis zum Jahr 2050 wollen wir in Großbritannien unsere CO2-Emissionen um 60 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 senken. Andererseits geht es auch um eine sichere Energieversorgung. Länder wie China und Indien haben einen rasant steigenden Energieverbrauch. Die globale Nachfrage wird das Angebot bald übertreffen. Und daher müssen alle Nationen sicherstellen, dass sie ihre Energieversorgung auf so viele unterschiedliche Beine wie möglich stellen. Und Atomkraft ist sicherlich ein Teil davon – ebenso natürlich auch erneuerbare Energiequellen.

Mit andern Worten: Sie werden neue Kraftwerke bauen.

Wicks: Wir nutzen die Atomkraft seit dem Zweiten Weltkrieg und haben seither auch Atomkraftwerke. Den letzten neuen Reaktor bauten wir 1995. Rund ein Fünftel der Energie kommt von Atomkraftwerken. Die öffentliche Meinung ist in Großbritannien zwar auch skeptisch. Aber wir müssen der Atomkraft erlauben, ein Teil der künftigen Energieversorgung zu sein. Wir sind nicht mehr in den 50er-Jahren. Damals hat die Regierung entschieden, wann und wo Kraftwerke gebaut werden. Nun schaffen wir die Voraussetzungen für Unternehmen, Atomkraftwerke zu bauen. Das erste könnte rund um 2020 fertig sein. Und Sicherheit ist dabei eines der Hauptkriterien.

Sie sagten vorhin, dass es bei der Energiepolitik um die Diversifizierung der Versorgung geht. In Kontinentaleuropa beziehen wir zur Zeit den Großteil unseres Gases aus Russland. Nun gibt es das Nabucco-Projekt, mit dem Gas schlussendlich auch aus dem Iran importiert werden soll. Projekte mit dem Iran werden vor allem von den USA stark kritisiert. Was ist Ihre Meinung dazu?

Wicks: Es ist für Europa wichtig, die Quellen für fossile Energie zu diversifizieren. Nabucco öffnet dabei einen südlichen Korridor und ist sehr wichtig. An diesen Projekten sollte auch mit Nachdruck gearbeitet werden. Die Situation mit dem Iran ist aber schwierig. Der Iran hat natürlich das Recht zur zivilen Nutzung von atomarer Energie, er darf aber keine Atomwaffen erhalten. Derzeit gibt es vom Iran in dieser Frage keine Kooperation. Daher sollten der Druck auf den Iran aufrechtbleiben und zur Zeit keine direkten Projekte – wie die Entwicklung von Gas- oder Ölfeldern – im Iran stattfinden.

Zurück zur britischen Atomkraft: Wie wollen Sie ein anderes Problem lösen – die Endlagerung des atomaren Abfalls?

Wicks: Keine Frage, es gibt große Bedenken rund um die Atomkraft. Und ich bin nicht jemand, der diese leichtfertig vom Tisch wischt. Der radioaktive Abfall ist eine sehr wichtige Frage. Allerdings ist es eine, die uns unabhängig vom weiteren Ausbau betrifft. Denn wir haben bereits eine Menge nuklearen Abfall. Wir geben derzeit rund 2,5 Mrd. Euro pro Jahr für die Beseitigung des Abfalls aus. Langfristig ist laut unseren Experten „Deep-Geological-Disposal“ am sichersten. Das heißt, man lagert das Ganze in einem tiefen Loch im Boden. Derzeit arbeiten wir daran, wo dieses sein soll.

Welches maximale Potenzial sehen Sie in der Atomkraft und erneuerbaren Energiequellen?

Wicks: Es ist zwar unklug, über konkrete Werte zu spekulieren. Aber ich tue das trotzdem. Meiner Meinung nach könnte im Jahr 2030 oder 2040 ein Drittel unserer Energie aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Die Atomkraft könnte für weitere 20 bis 30 Prozent sorgen.

An welche erneuerbaren Energiequellen denken Sie dabei vor allem?

Wicks: Wir haben keine Wasserkraft, wie es sie beispielsweise in Österreich gibt. Derzeit stammen daher auch nur 1,9 Prozent unserer Energie aus erneuerbaren Energiequellen. Für uns ist natürlich die Windkraft interessant. Großbritannien ist ein ziemlich windiger Ort. Heuer werden wir Dänemark als globale Führungsnation bei Offshore-Windparks ablösen. Noch aufregender finde ich aber „Marine-Power“, also die Nutzung der Gezeiten und Meeresströmungen. Da gibt es viele neue Ideen. Allerdings werden diese Technologien erst Mitte des Jahrhunderts großflächig einsatzbereit sein.

Ein Problem solcher Großprojekte – wie es Gezeitenkraftwerke ja sind – ist, dass dadurch oft die lokale Umwelt stark beeinträchtigt wird. Was ist besser: Rücksicht auf die lokale, oder auf die globale Umwelt?

Wicks: Es ist notwendig zu verstehen, dass, wenn wir die globale Erwärmung nicht in den Griff kriegen, Nationen wie Bangladesch überflutet werden. Dann wird es Massen-migration geben. Das heißt nicht, dass jede Windfarm und jedes Gezeitenkraftwerk sinnvoll ist. Es gibt jedoch auch Gruppen in der Bevölkerung, die immer und zu allem Nein sagen. Aber wenn man immer Nein sagt, dann geht uns irgendwann das Licht aus.

Zur Person

Malcolm Wicks ist seit Sommer 2007 der britische Energieminister – eine Position, die er schon zwischen Sommer 2005 und Herbst 2006 innehatte. Der 61-jährige Labour-Politiker ist in dieser Funktion auch für die Atom-Ausbaupläne des Landes zuständig.

Großbritannien will bei der Energieversorgung künftig auch auf Atomkraft und erneuerbare Energien setzen, um die Unabhängigkeit zu bewahren. Bislang produziert das Land den Strom vorwiegend aus eigenem Nordsee-Gas.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2008)

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