Gas-Wettlauf: Moskau punktet gegen EU

(c) EPA (Kamal Akrayi)
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Die Türkei öffnet sich nach der Nabucco-Einigung auch für Putins Pipeline und wird Energiedrehscheibe. Ob der Durchbruch bei South Stream eine Bedrohung für das Nabucco-Projekt darstellt, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Wien (gau). Wie sich die Bilder gleichen: Erst vor dreieinhalb Wochen marschierten Kanzler und Minister aus Österreich, Ungarn, Rumänien und Bulgarien in Ankara auf. In einer feierlichen Zeremonie unterzeichneten sie mit dem türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan das Abkommen zum Bau der Nabucco-Pipeline, mit der Europa seine drückende Abhängigkeit vom russischen Erdgas lindern will.

Viel Zeit zum Putzen des roten Teppichs gab es nicht, schon wird er wieder ausgerollt. Gestern ging es in Ankara erneut ums Gas, die Zeremonie war pompös wie gewohnt, Erdogan wieder Gastgeber. Nur die Fähnchen wurden ausgetauscht: Zu Gast war diesmal ausgerechnet Russland. Regierungschef Vladimir Putin ließ sich die Genugtuung nicht nehmen, eines seiner Lieblingsprojekte selbst auf den Weg zu bringen: die Gaspipeline South Stream, das russische Konkurrenzprojekt zu der als europäische Provokation empfundenen Nabucco. Spätestens im kommenden Jahr soll mit dem Bau begonnen werden.

Als Überraschungsgast fungierte der – für Überraschungen aller Art prädestinierte – italienische Premier Silvio Berlusconi. Erst nach eineinhalb Stunden drängte er sich zu dem Gespräch der beiden Regierungschefs dazu, gerade rechtzeitig für den Fototermin bei der Unterzeichnung des Abkommens. Grund seines Erscheinens: Der italienische Energiekonzern Eni ist der Hauptpartner des russischen Gasmonopolisten Gazprom im Projekt South Stream, federführend im Know-how und bei der Finanzierung. Berlusconi bemühte sich sogar, die Einigung Russlands mit der Türkei als seinen „persönlichen Erfolg“ zu verkaufen, mit dem er die künftige „Energiesicherheit Europas“ garantiere. Als eigentliche Sieger sind aber doch eher Putin und Erdogan zu nennen.

Die Russen hatten in den Verhandlungen der letzten Wochen der Türkei die Zusage abgerungen, dass sie die unterseeischen Rohre im Schwarzen Meer durch türkische Hoheitsgewässer verlegen dürfen. Die Alternative wäre das ukrainische Hoheitsgebiet gewesen, und das hätte das Ziel des Projekts vereitelt: den Transport von russischem Gas nach Europa künftig an den unsicheren Kantonisten Ukraine und Weißrussland vorbeizuführen.

Das Ergebnis der Verhandlungen kann sich für Erdogan sehen lassen. Die Zustimmung zur Nutzung der türkischen Gewässer ließ sich seine Regierung teuer abkaufen. Die Türkei will eine geplante, staatlich unterstützte Ölpipeline von Samsun am Schwarzen Meer zum Ölhafen Ceyhan am Mittelmeer mit russischem Erdöl füllen.

Hier gab es ebenso russische Zugeständnisse wie beim geplanten ersten Atomkraftwerk der Türkei in Akkuyu. Schon im Vorjahr war ein russisches Konsortium einziger Bieter für den Bau. Aber der türkische Zuschlag blieb aus, weil man sich über den Strompreis nicht einigen konnte – bis gestern.

Die Türkei hat sich mit ihrem Abkommen-Doppelschlag als Energiedrehscheibe strategisch in Stellung gebracht. Statt sich, wie oft in der Vergangenheit, ganz den westlichen Partnern an die Brust zu werfen, hat Erdogan auch Moskau bei Laune gehalten – immerhin bezieht die Türkei zwei Drittel ihres Gasbedarfs aus Russland und ist damit der drittgrößte Kunde von Gazprom nach Deutschland und Italien.

Ob der Durchbruch bei South Stream eine Bedrohung für das Nabucco-Projekt darstellt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Noch vor einem Jahr waren sich Analysten einig, dass dank des steigenden Gasbedarfs in Europa beide Projekte ihre Existenzberechtigung haben.

Doch die ehrgeizigen CO2-Umweltziele Europas haben in den Reihen des EU-Umweltkommissars zu neuen Berechnungen geführt, die von einem sinkenden Gasbedarf bis 2020 ausgehen. Dann aber, meinen Experten, seien zwei neue Pipelines eine zu viel. OMV-Chef Wolfgang Ruttenstorfer versucht zu beruhigen: „Selbst wenn wir von einer niedrigen Nachfrage ausgehen, geht auf jeden Fall die Produktion in Europa zurück.“ Deshalb bestehe weiter Bedarf für beide Projekte, die sich „ergänzen und nicht konkurrenzieren“. Auf jeden Fall hat South Stream einen Startvorteil: Das Nabucco-Team steht erst am Beginn der Verhandlungen mit seinen potenziellen Lieferanten im Kaspischen Raum. Das russische Gas, das durch South Stream fließen soll, steht aber schon bereit – ein volles Rohr ist garantiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2009)

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