"Der Fall Collini": Schirachs Familienfall

Schirachs Familienfall
Schirachs Familienfall(c) Piper
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Der deutsche Strafverteidiger Ferdinand von Schirach hat seinen ersten Roman geschrieben, der doch wieder nur eine Kurzgeschichte ist. Leider nicht seine beste.

Das Thema hätte Potenzial, so viel steht fest: Der Endsechziger Fabrizio Collini ermordet kaltblütig den 85-jährigen Industriellen Hans Meyer, gesteht die Tat und schweigt eisern. Der Anwaltsfrischling Caspar Leinen nimmt die Pflichtverteidigung für den mutmaßlichen Täter an und kommt erst nach langer Recherche hinter dessen Tatmotiv: Meyer war während des Zweiten Weltkriegs in Collinis Heimat in Oberitalien als SS-Offizier tätig und für den Mord an seinem Vater und seiner gesamten Familie verantwortlich. Die Sache ist auch deshalb so speziell, weil der Verteidiger Leinen als Jugendlicher in Meyers parkähnlichem Anwesen aus und ein ging, eng mit seinem Enkel befreundet und in seine Enkelin verliebt war.

Es liegt auf der Hand, dass der Berliner Strafverteidiger Ferdinand von Schirach, der mit zwei passablen Kurzgeschichtenbänden literarisch auf sich aufmerksam machte, seine eigene Geschichte abarbeiten wollte: Sein Großvater war Baldur von Schirach, der als Reichsstatthalter von Wien für die Deportation der Wiener Juden zuständig war. Doch der Enkel Schirach scheitert. Sein Debütroman ist bloß eine weitere, mit Gewalt auf 190 Seiten gedehnte Kurzgeschichte. Die Figuren bleiben ohne Konturen, charakterlos, der Nazi-Großvater wird nur ganz schemenhaft gezeichnet, dafür baut der Autor unnötige Figuren wie einen Bäcker oder eine Bedienung („eine hübsche Türkin, über die es viele Geschichten gab“) ein, die keine weitere Bedeutung für die Handlung haben. Das ist so ärgerlich wie Schirachs sprachliche Flapsigkeit. awa

Ferdinand von Schirach: „Der Fall Collini“, Piper, 195 S., 17,50 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2011)

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