Die Angst der Eltern vor dem Nikolaus

Angst Eltern Nikolaus
Angst Eltern Nikolaus(c) Michaela Bruckberger
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Eine Koalition aus ängstlichen Eltern und übervorsichtigen Pädagogen fürchtet, dass sich Kinder vor einem Besuch des Heiligen mit dem weißen Bart fürchten könnten. Und schickt damit einen alten Brauch ins Ausgedinge.

Wer hat Angst vorm Nikolaus? Niemand, sollte man vermuten – schließlich kommt der Mann mit dem weißen Bart und dem Bischofsstab ja, um die Kinder zu beschenken. Und tatsächlich überwiegen in Kindergärten und Schulen die freudigen Blicke, wenn der Nikolaus Anfang Dezember auf Besuch vorbeikommt. Ein bisschen respektvoll, vielleicht, das schon. Aber welches Kind ist das nicht, wenn ein großer Mann in einer seltsamen Verkleidung den Raum betritt?

Vermutlich fürchten sich mehr kleine Kinder vor dem Kasperl als vor dem Nikolaus. Denn der alte Mann mit dem weißen Bart ist einer von den Guten. Das hat man so gelernt, das steht so in den Büchern, die die Geschichte des Heiligen erzählen, der in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts als griechischer Bischof von Myra mehrere Wunder vollbracht haben soll. Und doch wird der Schutzpatron der Kinder heute behandelt, als versteckte sich hinter der gütigen Figur ein Monster, das die Kinder in Angst und Schrecken versetzt. Sogar von einem Hausverbot für den Nikolaus in Kindergärten war in den letzten Jahren zu lesen.

Dabei scheinen es vor allem die Eltern und die Pädagogen zu sein, die sich vor dem alten Mann mit der Bischofsmütze fürchten. Jener Schlag von Eltern, die ihre Kinder am liebsten in einem Kokon durch die Weltgeschichte tragen würden, auf dass sie ja nie auf die Nase fallen. Und jene Kinderbetreuer, die im Windschatten der 68er darauf getrimmt wurden, nur ja keine Situation zuzulassen, in der ein Kind überfordert wirken könnte. Ein fataler Cocktail, wird doch damit die Illusion aufrechterhalten, dass das Leben ein Ponyhof ist.


Winken durchs Fenster. Zwar bemühen sich die Kindergärten krampfhaft, das Wort „Verbot“ zu relativieren, doch was bleibt letztlich von einem Nikolausbesuch übrig? Bei den Kinderfreunden etwa kommt der Nikolaus nicht mehr in die Gruppen, sondern wandert nur mehr durch den Garten – die Kinder können ihm ja durch das Fenster winken. Und natürlich, wenn sie wollen, können die Kinder ihn auch besuchen, wenn er durch die Gänge geht – „erfahrungsgemäß tun sie das jedoch nicht“, wie die Kinderfreunde in einer Stellungnahme festhalten. Was für ein Wunder! Erst den Kontakt nicht zustande kommen lassen und den Kindern damit den Eindruck vermitteln, dass es sich hier um eine Gefahrenquelle handeln könnte – und dann damit argumentieren, dass die Kinder den Nikolaus gar nicht sehen wollen.

Natürlich gibt es Dinge, die heutzutage hoffnungslos überholt sind. Das goldene Buch, in dem der Nikolaus nachschauen kann, ob man auch schön brav war, das muss wirklich nicht mehr sein. Und auch der erhobene Zeigefinger sollte längst ausgedient haben – schließlich ist der Nikolaus ja der Überbringer einer frohen Botschaft und nicht ein metaphysischer Erziehungsratgeber.

Aber hier gilt natürlich: Der Nikolaus kann nur so gut sein wie jener Mensch, der in seine Rolle schlüpft. Und allzu oft sind das eben noch diverse Onkel, Tanten oder sonstige Amateure, die mit modernen pädagogischen Konzepten nicht wirklich vertraut sind. Genau dafür gibt es deshalb schon eigene Nikoloschulen, organisiert etwa von der Jungschar, in denen die Dos und Don'ts vermittelt werden. Das reicht von der Körpersprache – mit den Kindern auf Augenebene kommunizieren, etwa durch Hinsetzen – über praktische Dinge – vor Türstöcken bücken – bis zum richtigen Essen mit Kunstbart, wenn der Nikolaus zur Jause eingeladen wird.

Wichtig ist aber auch die Frage, was passiert, wenn man erkannt wird? Dann sollte man das locker nehmen und darf sich ruhig outen. Und im absoluten Notfall, wenn sich tatsächlich Furcht breitmachen sollte – dann spricht auch nichts dagegen, den Bart abzunehmen. Denn noch einmal: Der Schutzpatron der Kinder soll eine Frohbotschaft überbringen und keine Furcht einflößen.

Womit wir bei einem Punkt wären, der für Kinder wirklich problematisch sein kann: beim Krampus. Der ist von seiner Natur her böse. Und dementsprechend hat es tatsächlich wenig Sinn, ihn in Kindergärten zu lassen – es sei denn, man wäre Anhänger einer Struwwelpeter-Pädagogik. Wobei, rein von der Maskierung her ist ein Krampus gar nicht um so viel furchteinflößender als so manche Figur aus Kinderserien und Zeichentrickfilmen. Doch in direkter Konfrontation kann er trotzdem unangenehm werden.

Wobei auch das wieder vor allem an jenen Menschen liegt, die in das jeweilige Kostüm schlüpfen. Und das scheint vor allem eine ansonsten gelangweilte Landjugend zu sein, die hier endlich eine Gelegenheit bekommt, im Schutze der Anonymität die Sau rauszulassen. Nur so ist es zu erklären, dass bei diversen Perchtenläufen immer wieder Zuseher tatsächlich bedrängt und sogar verletzt werden.

In der Tiroler Marktgemeinde Telfs führte das zuletzt sogar dazu, dass die Figuren mittels klarer Regeln in die Schranken gewiesen werden. So dürfen die Masken nur von 3. bis 5. Dezember getragen werden – und dann auch nur zwischen 17 und 22 Uhr. Danach müssen sie abgenommen werden. Und um die Anonymität der Krampusse aufzuheben, müssen sie am Fell Kennnummern tragen, damit sie nach etwaigen Vorfällen identifiziert werden können.


Rücksicht auf Muslime. Gerne wird bei abgesagten oder eingeschränkten Nikolausfeiern auch das Argument bemüht, dass der Brauch wegen Rücksicht auf andere Kulturen nicht durchgeführt werden soll – ein vorauseilender Gehorsam gegenüber nichtchristlichen Kindern und Mitschülern, der absolut nicht angebracht ist. Schließlich spricht auch für muslimische Kinder nichts dagegen, bei einer Nikolausfeier mitzumachen. Ja, selbst bei Weihnachtsliedern darf mitgesungen werden. Die Rücksichtnahme beschränkt sich lediglich darauf, dass Kinder mit islamischem Religionsbekenntnis bei Stellen, in denen Jesus als Gottes Sohn bezeichnet wird, eben nicht mitsingen. Das war es auch schon.

Die Befürchtung, dass vor lauter Rücksichtnahme sämtlichen alte Bräuche untergehen, ist jedenfalls nicht notwendig. Man muss nur darauf achten, dass sich diese Bräuche einigermaßen zeitgemäß präsentieren. Aber auch, dass sie nicht einem falschen Verständnis von Rücksichtnahme geopfert werden, die ohnehin keiner will. Weder muslimische noch andersgläubige Kinder. Denn die fürchten sich vor einer Nikolausfeier am allerwenigsten. Auch dann nicht, wenn der Nikolaus höchstpersönlich in die Kindergartengruppe kommt.

Der Nikolo
Die Figur geht auf Nikolaus von Myra zurück, der in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts Bischof von Myra in Kleinasien (heutige Türkei) war. Er gilt als Schutzpatron der Kinder, aber auch der Seefahrer, reisenden Händler und Ministranten und als einer der populärsten katholischen Heiligen.

Brauchtum
Am 6. Dezember wird der Tag des Heiligen Nikolaus gefeiert – mit regional durchaus unterschiedlichen Bräuchen. Kern dabei sind kleine Geschenke für die Kinder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2010)

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