UNO: Europas Werte auf dem Abstellgleis

(c) AP (Kevin Frayer)
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Früher gab die EU bei Menschenrechten den Ton an. Heute dominieren ihre Gegner.

Wien. Vorbei ist sie, die gute alte Zeit: Vor zehn Jahren noch waren europäische Werte das Maß aller Dinge in Menschenrechtsfragen – und das weltweit. Was die EU vor den Vereinten Nationen propagierte, das ging durch, in der Vollversammlung wie im Sicherheitsrat. Mit der USA sprach man die gleiche Sprache, die einer geeinten westlichen Welt. Ihr konnten sich nur wenige entziehen: 72 Prozent aller UNO-Mitglieder stimmten im Zeitraum 1997-98 mit Europa, wenn es um Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat ging.

Dieses Bild hat sich langsam, aber dramatisch gewandelt. In der Periode 2006/07 teilten nur noch 48 Prozent der UNO-Mitglieder die Positionen der EU, dafür aber 74 Prozent die von China. Europa hat seine Meinungsführerschaft eingebüßt. Das ist das Fazit einer aktuellen Studie des „Europäischen Rats für Auslandsbeziehungen“ (ECFR). Sie durchleuchtet auch die Hintergründe. Die EU fühlt sich für den weltweiten Schutz von Menschenrechten verantwortlich und will sich mit Sanktionen einmischen, wo immer sie verletzt werden.

41 Staaten wechselten die Seite

Dieses Prinzip findet immer weniger Anhänger. Die Bush-Regierung setzt auf Unilateralismus und führt einen oft skrupellosen Kampf gegen den Terror. Doch auch 41 Staaten, die früher regelmäßig mit der Union stimmten, sind abgesprungen. Neue Allianzen haben sich gebildet. Der Kampf der Kulturen hat die muslimischen Länder auf die Seite von Hardlinern wie den Iran getrieben, nur noch die Türkei und Afghanistan halten Europa die Treue. Die neuen Großmächte Russland und China werben erfolgreich für ein konkurrierendes Prinzip: Die Souveränität eines Staates ist für sie auch dann unantastbar, wenn sich seine Machthaber des Völkermords und blutiger Unterdrückung schuldig machen. Die Folge: Die EU blitzt mit ihren Initiativen ab, egal, ob es um Darfur oder den Kosovo, um Burma oder Simbabwe geht.

Moskau und Peking blockieren durch ihr Veto auch im Sicherheitsrat, in dem die EU und ihre Freunde die Hälfte der Mitglieder stellen. Den Menschenrechtsrat lehnten die USA schon bei seiner Gründung 2006 ab. Die dortigen EU-Diplomaten ließen sich von einer Neuaufteilung der Sitze überraschen und verloren so ihre Mehrheit. Im Vorjahr versuchten Russland und China sogar, die Institution ganz zu entmachten. Um das zu vermeiden, musste die EU mit ihrem Ausstieg drohen – und auf eine Beobachtung von Weißrussland und Kuba verzichten.

Nur beim Zahlen bleibt EU vorn

Obwohl es in der ECFR-Studie nur um das Abstimmungsverhalten bei Menschenrechts-Themen geht, legt sie den Schluss nahe, dass die Stimme der EU auch in anderen globalen Fragen, wie Klimaschutz und Sicherheit, schwächer geworden ist. Besonders bitter dabei: Europa kommt seine heutige Ohnmacht ebenso teuer zu stehen wie seine frühere Macht. Die EU-Staaten liefern weiterhin mit 38 Prozent den größten Einzelbeitrag für das UNO-Budget.

Schuld an der Misere sind nicht nur geopolitische Verwerfungen, sondern auch die EU-Diplomaten selbst. Paradoxerweise hat das mit einem an sich erfreulichen Faktum zu tun: Noch nie ist die EU so geeint vor der UNO aufgetreten wie heute. Doch diese Einheit hat ihren Preis: Über 1000 Mal treffen sich die europäischen Delegierten jedes Jahr allein in New York, um ihre gemeinsame Linie abzustimmen. Wer so mit sich selbst beschäftigt ist, hat wenig Zeit, sich um externe Verbündete zu kümmern. Diese Schwäche nutzen die neuen mächtigen Player, um Staaten wie Indien, Südafrika oder Indonesien auf ihre Seite zu bringen.

Damit ist aber auch ein Weg skizziert, wie Europa seine Macht zurückgewinnen kann. Es muss, unter Wahrung seiner Prinzipien, die traditionell starren Blöcke durchbrechen, also den Gegner mit seinen eigenen Waffen schlagen. Und tatsächlich können EU-Diplomaten ja nicht besser als eben dies: verhandeln, pokern und neue Koalitionen schmieden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2008)

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