In Wien unumstritten: Valery Gergiev

(c) EPA (Daniel Hambury)
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Prokofieff pur: erdhaft-massive Klänge und pianistische Extreme an einem zwiespältigen Abend im Wiener Konzerthaus.

Der Jubel war groß, und als in der Zugabe zum breitbeinigen Stampfen des Blechs noch Montagues und Capulets aufeinandertrafen, herrschte vollends eitel Wonne im Wiener Konzerthaus. So geschehen am ersten von zwei Abenden, an denen das Mariinsky-Orchester in kaum je zu erlebender Kompaktheit alle fünf Klavierkonzerte und noch dazu drei Symphonien von Sergej Prokofieff interpretierte – selbstverständlich unter der Leitung seines Chefdirigenten Valery Gergiev.

Am St. Petersburger Mariinsky-Theater führt Gergiev schon seit 1988 das Regiment. Damals hieß die Stadt freilich noch Leningrad und das Haus Kirov-Theater, nach einem 1934 ermordeten Parteifunktionär: Stalin nützte das Attentat als Anlass für eine seiner grauenvollen „Säuberungen“.

Eitel Wonne: Das war im letzten Jahr durchaus nicht immer und überall so, wenn Gergiev am Pult stand. „Don't support Putin“, „Shame on Carnegie“, ja sogar „Gergiev out of New York“ war auf den Transparenten jener Demonstranten zu lesen, die Flugblätter verteilten, als die Münchner Philharmoniker im April in der Carnegie Hall gastierten: Damals war Gergiev, designierter Chefdirigent, für seinen erkrankten und drei Monate später verstorbenen Amtsvorgänger Lorin Maazel eingesprungen.

Opposition in New York und München

Auch in München hat sich längst eine Opposition gegen Gergiev formiert. Die Gründe: seine Nähe zu Putin, die ausdrückliche Billigung von dessen repressiver Homosexuellenpolitik (das Gesetz richte sich ja nur gegen Pädophilie, sagt er) und die Unterzeichnung eines Appells russischer Künstler zur Annexion der Krim. Statt der nötigen Distanzierungen habe Gergiev bisher nur Relativierungen seiner Ansichten geliefert. Im Mai konnte in London, wo der aus Nordossetien stammende Workaholic bis 2015 als Chef des Symphony Orchestra amtiert, ein Konzert wegen Protesten von pro-ukrainischen und Menschenrechtsaktivisten erst mit Verzögerung beginnen. Auch in diesem Fall auf dem Programm: Prokofieff, Gergievs Lieblingskomponist.

Allzu sanft geht er freilich nicht mit ihm um. Unter Gergievs vibrierenden Händen mit dem berühmten Zahnstocher als Taktstock in der Rechten und zu seinem zwischen den Zähnen hervorgestoßenen Ächzen, das viele Einsätze geräuschvoll akzentuiert, geriet die „Symphonie classique“ zu einem vielfach düsteren, im Finale sogar hektischen Protokoll einer Verstellung: Kein Charme und ironisch gefärbter Esprit, eher regierte eine Art maskenhaft erstarrter Pseudo-Frohsinn, wie ihn später Schostakowitsch so beklemmend in Töne fasste.

Passender wirkte Gergievs Zugriff auf die abschließende Siebente, auch wenn er mit dem keineswegs unfehlbaren Orchester hier wie dort viel stärker auf erdhaft-massiven Klang achtete als auf präzise Formung der Details – und zudem in seinem Hang zum Griffigen, Satten die unteren dynamischen Grade fast durchwegs anhob.

Völlig divergent schließlich gelangen die beiden Klavierkonzerte: Im Verein mit dem enttäuschenden, durchwegs hart und spröde spielenden Alexei Volodin wollten sich im ersten weder hymnische Aufschwünge noch quecksilbrige Launenhaftigkeit einstellen. Der erst 28-jährige Denis Kozhukhin hingegen behielt im zyklopischen, pianistisch unbarmherzigen zweiten Konzert auf großartige Weise den Überblick, vereinte gleißende Kraft mit klanglich differenzierter Gewandtheit – die einzige Spitzenleistung des Abends.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2014)

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