Wir tanken Fett und Zucker

(c) AP (Matthias Rietschel)
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Molekularbiologie. Im Wiener IMBA wurde ein Dogma der Diabetes- und Fettleibigkeits-Forschung umgestoßen.

Endlich Ferien: Zeit, um Energie zu tanken! Wie tankt der menschliche Körper eigentlich Energie? Uns stehen zwei Stoffklassen als Treibstoff zur Verfügung – und an beiden wird es den meisten von uns an den Feiertagen nicht mangeln: Fett und Zucker. „Der Unterschied zwischen dem Haupttreibstoff Zucker und dem zweiten Treibstoff Fett ist, dass Fett für lange Zeit im Körper gelagert werden kann. Zucker steht immer nur für sehr kurze Zeit zur Verfügung“, erklärt Andrew Pospisilik, der vor fünf Jahren von Vancouver in Kanada nach Österreich zog, um am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der ÖAW die Grundlagen von Diabetes und krankhafter Fettleibigkeit (Adipositas) zu erforschen.

„Die Krankheiten Diabetes und Adipositas überlappen in vielen genetischen Grundlagen. 50 Prozent der Menschen mit Adipositas bekommen auch Diabetes“, weiß er um die Zusammenhänge der Zivilisationskrankheiten. Weltweit leiden rund 300 Millionen Menschen an Adipositas und fast so viele an Diabetes. Tendenz stark steigend. Klar, dass Forscher daher den genetischen Grundlagen auf der Spur sind, um irgendwann diese Krankheiten heilen zu können. Aktuell sind weder Adipositas noch Diabetes heilbar – jedoch gut behandelbar.

Ein Detail der Genexpression, das seit vielen Jahren bekannt ist, beschreibt, dass Mitochondrien von adipösen und diabetischen Patienten nicht sehr effizient arbeiten. Die Mitochondrien, das sind die Energiekraftwerke der Zellen. Sie „tanken“ Zucker – bzw., wenn der aufgebraucht ist, auch Fett –, um Energie in Form von ATP zu produzieren. Nachdem Wissenschaftler in tausenden Patienten ineffiziente Mitochondrien gefunden hatten, stand das Dogma fest: Diabetes und Adipositas kommt dann zustande, wenn Mitochondrien zu wenig Treibstoff verbrennen und somit zu viel Zucker und Fett im Körper übrig bleiben.

Mager – trotz „Fast Food“

„Wir wollten die molekularen Grundlagen dessen erforschen. Da war viel Glück im Spiel, dass eines der Gene, die wir bei den Labormäusen ausgeschaltet haben, haargenau zu solchen ineffizienten Mitochondrien geführt hat, wie sie bei Adipositas und Diabetes vorliegen“, sagt Pospisilik. Und dann kam die Überraschung: Die Mäuse, die gezüchtet worden waren, um Diabetes und Adipositas zu erforschen, waren immun gegen diese beiden Krankheiten. Sie waren ganz mager, nahmen nicht einmal unter der „Fast-Food-Diät“ zu und konnten Zucker extrem gut verwerten. „So wie magere Typen, die jeder kennt, die essen und essen und doch nie zunehmen“, sagt Pospisilik. Schwache Mitochondrien führen also nicht zu Diabetes und Fettleibigkeit.

Die Mäuse waren deshalb so dünn, weil die schwachen „Kraftwerke“ nun umso mehr Fett und Zucker verbrennen mussten, um auf ein normales Energieniveau zu kommen. Mit dieser Erkenntnis schafften es die IMBA-Forscher sogar auf das Titelblatt des renommierten Journals „Cell“. Die Erklärung, warum dann diese Ineffizienz bei so vielen Diabetes-Patienten gefunden wurde, könnte eine Kompensationsmaßnahme sein: Wo viel Fett und Zucker im Blut ist, nehmen die Mitochondrien eben sehr viel Treibstoff auf. Um trotzdem ein normales Energielevel herauszubekommen, schrauben die Kraftwerke ihre Effizienz herunter.

„Das ist die eine Seite der Medaille“, sagt Pospisilik. In Experimenten haben sich die Forscher viele Gewebetypen angesehen, die Zucker und/oder Fett verbrennen. „Das einzige Organ, das Zucker aufnehmen kann, diesen speichert und dann als Treibstoff wieder zur Verfügung stellt, ist die Leber“, erklärt er. Also quasi die Tankstelle unseres Körpers. Muskelzellen hingegen speichern zwar Zucker, aber nur für ihren eigenen Verbrauch – sozusagen der „Benzinkanister“ einer Zelle. Die Aufnahme und Abgabe von Zucker in bzw. aus Zellen steuert bekannterweise das Hormon Insulin. „Und es gibt nur einen Zelltyp im Körper, der Insulin produziert: Die Betazellen der Langerhans'schen Inseln in der Bauchspeicheldrüse.“ Die Forscher sahen sich also diese Produktionsorte des Treibstoffregulierers Insulin an und fanden, dass schwache Mitochondrien für die Betazellen gar nicht vorteilhaft sind.

„Bei den Vorstufen zur Diabetes erkennen die Betazellen, dass zu viel Zucker im Blut ist, und verstärken die Produktion von Insulin auf das bis zu Zehnfache“, so Pospisilik. Jedoch verfängt sich der Körper damit in einem Teufelskreis: Wenn zu viel Insulin produziert wird, werden die Zellen, an denen Insulin als Signal zur Treibstoffaufnahme andocken soll, gegen Insulin resistent – wodurch der Blutzucker noch weiter steigt. So weit, so wenig dramatisch.

Viele Menschen gegen Insulin resistent

„Viele von uns sind gegen Insulin resistent. Man weiß es nur nicht“, erzählt Pospisilik: „Ob man im Weiteren tatsächlich Diabetes bekommt oder nicht, scheint eine Entscheidung der Betazellen zu sein.“ Sie müssen laufen „wie geschmiert“, damit auch bei Insulin-Hyperproduktion die Zuckeraufnahme korrekt geregelt wird. Und dazu brauchen die Betazellen gesunde Mitochondrien. Derzeit forscht Pospisilik daran, ob man die Effizienz von Mitochondrien vielleicht künstlich herunterdrehen kann, um bei Diabetes-Vorstufen eine stärkere Verbrennung der Treibstoffe Fett und Zucker zu erwirken. Würden dabei die einzigen Produzenten von Insulin, die Betazellen, aussetzen und das ganze System in sich zusammenklappen? Die Zusammenhänge sind kompliziert. Darum greift Pospisilik in seinen Studien nun zu noch einfacheren Organismen, als Mäuse es sind: Gemeinsam mit Harald Esterbauer von der Med-Uni Wien sucht er (gefördert vom WWTF) jetzt in der Fruchtfliege Drosophila nach neuen Kandidatengenen, die als Regulatoren des Zucker- und Fetthaushaltes infrage kommen, aber bis dato unerkannt waren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2008)

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