Der rote Heinz Conrads

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Eine Ministertour in Oberösterreich zwischen Hightech, jugendlichen Problemen und lupenreiner SPÖ-Wahlhilfe zeigt, warum Rudolf Hundstorfer in seinem weiten Betätigungsfeld gern nervt.

Zu spät kommen, Handy, Porno, Rauchen steht auf dem selbst gefertigten Plakat „Regeln Werkhalle“. Die Botschaft richtet sich an 32 Jugendliche, die in der „Produktionsschule“ des Berufsförderungsinstituts (BFI) in Ried im Innkreis auf den Berufseinstieg vorbereitet werden sollen. Zu viel Alkohol, familiäre Probleme, mangelndes Selbstbewusstsein: Die Lebensgeschichten sind den Burschen und Mädchen zwischen 15 und 19 ins Gesicht geschrieben.

Es ist wohl deren letzte Chance, den Sprung ins geregelte Leben zu schaffen. An der Stirnwand ist zu lesen: „Senkrechtstarter“ und „Wissensdurst“. Noch sind das für die Betroffenen Traumziele. Deren Tagesablauf hat nach der Schulpflicht häufig in langem Schlafen, Nichtstun und im schlimmeren Fall Saufen oder Drogenkonsum bestanden. Hier versuchen Ausbildner, sie auf eine reguläre Lehre vorzubereiten.


„Es geht um Sinnstiftung“.
Jugendliche ohne Perspektive: Das ist eine der Schattenseiten, mit denen Sozial-, Arbeits- und Konsumentenschutzminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) konfrontiert ist. Zur Eröffnung der Produktionsschule ist er mehr als 200 Kilometer ins Innviertel gereist, um auch die Idee einer „Ausbildungspflicht“ für Jugendliche nach der Schulpflicht („Die Presse“ berichtete am 31. März) zu bewerben: „Wir können nicht sagen: Tut uns leid – das ist der Weg zum Sozialamt.“ Für den hohen Gast aus Wien ist vor der Werkshalle ein roter Teppich ausgerollt. In Oberösterreichs Vizelandeshauptmann SPÖ-Chef Josef Ackerl hat Hundstorfer einen Mitstreiter: „Es geht um Sinnstiftung im Leben.“

Die Festgäste plagt angesichts des Budgetsparkurses die Sorge, ob genug Geld für die knapp 20 Produktionsschulen in Österreich da sein wird. Die Mittel werde es weiter geben, beruhigt der Minister auf einem kleinen Podium: „Ich bin ja bekannt dafür, dass ich keine Luftblasen produziere.“

Hundstorfer ist aber nicht nur Verfechter einer gut dotierten Arbeitsmarktpolitik, sondern als Ex-Gewerkschaftschef Sozialpartner in Fleisch und Blut. Er könnte genauso gut Wirtschaftskammer-Präsident sein, wenn er von fehlenden Facharbeitern redet und zur Qualifikation im Beruf aufruft: „Ich weiß, dass ich manchen damit schon auf den Wecker gehe.“

Sicher nicht auf den Wecker geht er Betriebsräten im nahen Reichersberg. Dort steht in den geräumigen, sauberen Hallen des Flugzeugzulieferers FACC, eines Hightech-Unternehmens und Vorzeigebetriebes, keines der vielen „Problemkinder“ des Ministers. Flugzeugtragflächen werden ihm auf Computerbildschirmen gezeigt. Im Schlepptau hat er SPÖ-Landtagsmandatar Christian Makor, von dem die Einladung ausgegangen ist und der „seinen“ Star gern präsentiert.


Es wird wieder gesudert. Der Sozialminister nimmt sich Zeit für solche Betriebsbesuche und Ausflüge zu den Menschen fernab der sich stets so wichtig nehmenden Bundespolitik. Offen sudern rote Parteigenossen beim Rundgang darüber, dass sich andere SPÖ-Regierungsmitglieder halt gar so selten in der Provinz sehen lassen. Das Pensum Hundstorfers nötigt Respekt ab. Nach dem Abstecher nach Oberösterreich, der vom späten Vormittag bis nach 22 Uhr dauert, steht wenig später ein Vorarlberg-Tag auf dem Programm, tags darauf wieder ein Besuch bei einer SPÖ-Bezirksorganisation im oberösterreichischen Mühlviertel, dann Kärnten.

Wie Hundstorfer auf gute Umfrage- und Vertrauenswerte kommt, obwohl die Große Koalition bei der Bevölkerung unten durch ist? Der Mann, der heuer im September 60 wird und als Kanzleilehrling im Wiener Rathaus angefangen hat, ist eine Art Wiedergeburt des vor genau 25 Jahren verstorbenen TV-Publikumslieblings Heinz Conrads. „Guten Abend de Madln, servas de Buam“, flötete Conrads einst. 2011 klingt das bei einem geerdeten Gewerkschafter beim Händeschütteln in einer Werkshalle so: „Alles Gute – Wiedersehen – baba!“

Im „Clean Room“ müssen Besucher graue Arbeitsmäntel überziehen. „Wanns an XXL habts“, sagt Hundstorfer nicht unkokett. Denn der Grauhaarige hat im dunkelblauen Anzug zwar eine stattliche Statur, aber zur Figur einer Hitparadenstürmerin wie Beth Dito fehlt sehr viel. Dankbar ist Angestellten-Betriebsrätin Ulrike Reiter: Welche SPÖ-Gewerkschafterin im Innviertel hat schon einen leibhaftigen Minister, der knapp vor einer Betriebsratswahl rote Wahlhilfe leistet.

So ein Minister hat den Vorteil (oder ist es ein Nachteil?), dass ihm das Alltagsleben bei einem angekündigten Besuch in einer Art Picobello-Schönwetter-Version vorgeführt wird. Miravita, eine Betreuungseinrichtung für Behinderte in Waldzell ein paar Kilometer entfernt von Ried, ist so ein Fall und wurde sicher nicht zufällig vor der Landtagswahl 2009 in Betrieb genommen. Holzarchitektur im schönen modernen Vorarlberger Stil, mit 25 Menschen, von denen ein Teil jeden Nachmittag wieder nach Hause chauffiert wird. Alles überschaubar, keine fünf Minuten vom Ortszentrum und bei dieser Ministervisite auch sonnendurchflutet. Nur die quirlige Geschäftsführerin Brigitte Schneeweiß strahlt an diesem Tag noch mehr.


Problem Personalkosten.
Falcos „Out of the dark“ ist im Werkstättenraum zu hören. Für den Ostermarkt haben die Behinderten fleißig gearbeitet. Wo pflegebedürftige Menschen betreut werden, sind freilich Geldprobleme nie weit – auch im Waldzeller Idyll. „Das Problem sind die Personalkosten von 92 bis 93 Prozent“, schildert Schneeweiß. Der Sozialminister ist ein Zerrissener: Einerseits ist er froh, dass es für die Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegesektor eine Absicherung mittels Kollektivvertrags gibt. Andererseits wachsen den Sozialorganisationen nicht nur in Oberösterreich die Kosten über den Kopf, speziell wenn ihre Mitarbeiter schon älter sind und damit teurer werden.

Dafür hat auch Minister Vielseitig noch kein wirkliches Rezept.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2011)

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