Wirtschaftskrise: Fallen lernen von den Finnen

(c) EPA (Seppo Sirkka)
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PISA-Sieger und EU-Musterschüler Finnland steckt in der Krise. Doch selbst jetzt dient das Land noch als Reform-Blaupause. Probleme werden nicht weggeredet, sondern gelöst.

Knapp nach der Jahrtausendwende waren alle plötzlich Finnen-Fans. Das skandinavische Land räumte als PISA-Überraschungssieger weltweit Lorbeeren ab und avancierte auch wirtschaftlich zum Musterschüler. Die Krise der Neunzigerjahre, als Finnland ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung verloren hatte, war überwunden, keine andere Nation in der EU hielt sich so penibel an alle geltenden Haushaltsziele. Noch heute hat es als einer von wenigen Staaten eine lupenreine Weste bei den großen Ratingagenturen. Finnland, wurde zur Blaupause für alle Reformhungrigen weltweit. Auch in Österreich schwangen Politiker hüben wie drüben schöne Reden über ihr Idol im Norden.

Doch seit einiger Zeit ist es damit vorbei. Das einstige EU-Vorzeigeland, das eben noch südlichen Krisenstaaten aus der Patsche geholfen hat, steht nun selbst am Pranger: Just der finnische Wirtschaftskommissar Olli Rehn musste sein Heimatland kürzlich zusammen mit Italien und Spanien wegen stark wachsender Staatsschulden tadeln. In zwei Jahren werden die Staatsschulden der Finnen auf 61,8 Prozent der Wirtschaftsleistung anschwellen. Erstmals wird das Land damit das erlaubte Defizitlimit von 60 Prozent des BIPs verletzen. Zu Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 lag Finnlands Schuldenquote noch bei knapp 34 Prozent.


Finnlands Double Dip. Ja, das ewige Vorbild Finnland hat Probleme: Zwei Rezessionen und fünf Jahre mit Budgetdefiziten konnte das Land nicht verkraften. Schwache Exporte und sinkender Inlandskonsum werden das BIP heuer um fast ein Prozent senken. Der Niedergang von Nokia hat dem Land eine zusätzliche Breitseite verpasst. Und auch strukturell ist längst nicht alles in Ordnung: Die Jugendarbeitslosigkeit ist enorm hoch und jene Finnen, die noch Arbeit haben, sind für das, was sie leisten, zu teuer.

Verglichen mit Deutschland oder Schweden liegt der „Aufpreis“, den Unternehmen für finnische Mitarbeiter bezahlen müssen, bei 15 bis 20 Prozent, errechnete das „Research Institute of the Finnish Economy ETLA“ über einen Zeitraum von 30 Jahren. Das konnten sich die Finnen nur deshalb so lange leisten, weil sie eine niedrige Staatsverschuldung hatten. Doch auch die ist nun in Gefahr.


Gesunde Selbstwahrnehmung. Ist es also Zeit, sich nach neuen Vorbildern umzusehen? Nicht unbedingt. Denn selbst wenn Finnen einmal fallen, kann man noch viel von ihnen lernen – wenn man will. Entscheidend dafür ist eine gesunde Selbstwahrnehmung. Denn während hierzulande Politiker oft damit beschäftigt sind, erst den Standort schön- und dann das Budgetloch wegzureden, findet man im hohen Norden kaum Gefallen an permanenter Realitätsverweigerung. Und das über alle Parteigrenzen hinweg.

Wäre es hierzulande vorstellbar, dass eine Finanzministerin auf den Tadel aus Brüssel mit Verständnis reagiert und Reformen einfordert? Genau das hat aber Jutta Urpilainen, Finanzministerin und Chefin der sozialdemokratischen Partei in Finnland. „Wir wissen, dass es nicht möglich ist, diesen Wohlfahrtsstaat aufrechtzuerhalten“, sagte sie. Die Einschätzung Brüssels sei korrekt, die Probleme des Landes so groß, dass eine Kur allein nicht reiche. Von der bisherigen Medizin, Steuererhöhungen, könne Finnland seinen Bürgern bei einer Steuerquote von 44,1 Prozent nicht noch mehr zumuten.

Wie sich diese Szene in Österreich abgespielt hätte, kann man sich nach den vergangenen Wochen gut vorstellen: So schnell wie aus einem „Budgetloch“ ein „Erwartungsloch“ und daraus letztlich die erlösende Nachricht „kein Budgetloch“ wurde, hätten die Koalitionspolitiker wohl auch auf die Schelte aus Brüssel rasch eine blumigere Version der Wahrheit als Antwort gefunden. Oder nicht einmal das. Denn während Finnland Alarm schlägt, wenn der Schuldenstand auf knapp über 60 Prozent steigt, lockt das hierzulande nun wirklich niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Die Zielmarke haben wir längst hinter uns. Wir steuern stattdessen unbeirrt auf 80 Prozent zu. Grund, ernsthaft an Reformen zu arbeiten, ist das anscheinend nicht.

Ganz anders in Helsinki: Dort hat sich die Sechsparteien-Koalition am Freitag auf die Eckpfeiler eine Strukturreform geeinigt, die Finnlands Zukunft sichern soll. Dabei dreht die Koalition an Schrauben, die in Österreich niemand zu lockern wagt. Es kommt eine Kommunalreform, eine Reform der Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen und die Erhöhung des Pensionsalters. Die Sozialpartner unterstützten das Paket mit moderaten Lohnerhöhungen über mehrere Jahre. Studenten bekommen weniger Beihilfe, damit sie früher einen Job suchen, Frauen sollen nach der Geburt kürzer bei den Kindern bleiben, Ältere länger arbeiten. Das tatsächliche Pensionantrittsalter soll um anderthalb Jahre auf über 62 Jahre steigen. Man müsse glaubhaft bleiben, sagte Finnlands Premierminister, Jyrki Katainen. Andernfalls könne man sich die Reformen gleich sparen.


Erst fallen, dann aufstehen. Keine gute Botschaft für Österreich. Denn mit der Glaubwürdigkeit ist es hier nicht weit her. Anders als die Finnen nutzt die große Koalition ihren (nicht mehr ganz so) breiten Rückhalt aus der Bevölkerung nämlich vor allem dazu, möglichst wenig zu tun – und im richtigen Moment die Augen zu schließen. Wie ist es sonst zu erklären, dass Kanzler Werner Faymann immer noch behauptet, 2016 ein Nulldefizit zu erreichen? Dafür sei „kein neues Sparpaket notwendig, jedenfalls keines, das die Bürger spüren“.

Finnland hingegen will mit dem Reformpaket neun Milliarden Euro bis 2017 einsparen, damit die öffentlichen Finanzen nicht aus dem Ruder laufen. Zur Erinnerung: So viel werden die heimischen Steuerzahler allein für die Kärntner Hypo Alpe Adria bezahlen müssen. Und wenn Finnlands Senioren künftig in Pension gehen werden, haben gleich alte Österreicher schon fünf Jahre Ruhestand hinter sich.

Doch es ist müßig, sich Gedanken zu machen, welche Schritte Österreich vom finnischen Programm kopieren könnte, wenn Politiker wie Sozialminister Rudolf Hundstorfer in Sachen Pensionen verkünden: „Ihr könnt sicher sein, dass es keine weiteren Einschnitte geben wird.“

Solange das so bleibt, können sich Politiker ihre Studienreisen nach Finnland sparen. Erst wenn wir lernen, uns einzugestehen, dass wir gefallen sind, können wir damit beginnen, wieder aufzustehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2013)

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