„Wir sind Neda“: Die neue Ikone des Widerstands

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Die Bilder vom Tod einer jungen Demonstrantin gehen um die Welt. Am Montag wurde eine Mahnwache gehalten.

Will man die Videos vom Tod Nedas sehen, wird man von YouTube, dem Internet-Videoportal, gewarnt vor dem, was kommt. Das erste Video, vermutlich von einer Handykamera, ist knapp 40 Sekunden lang, verwackelt und verstörend. Man sieht eine junge Frau in Jeans und schwarzem Kopftuch, die nach hinten sackt, zu ihren Füßen eine dunkle Lacke Blut. Männer beugen sich über sie, drücken auf ihren Brustkorb, einer schreit. „Neda, hab keine Angst! Neda, bleib bei mir!" Sekunden später rollen ihre Augäpfel zur Seite, dann rinnt Blut aus Mund und Nase. Am Ende, das sieht man auf einem zweiten Video, sieht ihr Gesicht mit den offenen Augen aus wie das einer Puppe, unter einem Netz aus dickem Blut.

Die „Stimme"

Offizielle Bestätigung, dass die junge Frau wirklich bei einem Protestmarsch am Samstagabend in Teheran erschossen wurde, gibt es bisher keine. Nichtsdestoweniger ist sie praktisch über Nacht zur Ikone des Widerstands geworden. Denn ihr Name, Neda, heißt „Stimme" auf Persisch. Neda ist die Stimme gegen die Brutalität des Regimes, „Ich bin Neda" der neue Slogan der Opposition.
Neda Soltani, so ihr angeblicher Name, soll 1982 geboren sein. Erst hieß es, sie sei mit ihrem Vater unterwegs gewesen. Später interviewte BBC Persia Nedas angeblichen Freund: Der sagte, der Mann, der stets neben ihr zu sehen ist, sei ihr Musikprofessor gewesen. Und Neda habe nicht an den Protesten teilgenommen. Sie sei wegen der Demonstrationen im Verkehr stecken geblieben und aus dem Auto ausgestiegen.

Details zu Nedas Tod liefert auch ein Kommentar, der sich bei den Postings immer wieder findet. Das Mädchen habe die Proteste beobachtet, als sie von einem Schuss getroffen wurde, so der anonyme Schreiber. Ein Mitglied der Basij-Milizen habe von einem Hausdach auf sie geschossen, er habe auf ihr Herz gezielt. Er selbst sei Arzt und sei hinzugeeilt, um dabei zu helfen, sie zu retten, so der Schreiber. Vergeblich: Die Kugel sei „im Brustkorb des Opfers explodiert", Neda sei in weniger als zwei Minuten tot gewesen.

Der entsetzte Arzt schickte daraufhin Bilder und Kommentar an einen Freund, einen Asylwerber in den Niederlanden: „Bitte lasst die Welt davon erfahren." Das ist gelungen: Am Samstag stellte der Freund in den Niederlanden den Clip auf YouTube. Von dort verbreitete er sich „virusartig", wie es in der Sprache der Computerwelt heißt. Dabei soll YouTube noch versucht haben, den brutalen Clip zu blockieren, doch Usergruppen stellten ihn immer wieder ins Netz. Mittlerweile reicht es, angemeldet und volljährig zu sein, um ihn auf YouTube sehen zu können, Auch CNN brachte die Bilder.

Der „Engel des Iran"

Gestern Nachmittag fand sich „Neda" auf Platz vier unter den wichtigsten Themen im Mitteilungsdienst Twitter. Tausende User änderten ihre Profil-Bilder, sogenannte Avatare, im Gedenken an die junge Frau: Statt ihrer Fotos sieht man nun etwa ein gebrochenes Herz, in Grün, der Farbe des Protests. Binnen Kurzem formierte sich eine eigene Facebook-Gruppe mit dem Namen „Angel of Iran" („Der Engel des Iran"), um über Gottesdienste und Gedenktage zu informieren. Eine eigene Webseite („Neda's Voice" - „Nedas Stimme") ist ihrem Andenken gewidmet, und auf Twitter bekundeten Menschen aus aller Welt ihr Mitgefühl. Da ist von einer Jeanne d'Arc die Rede, eine Kalifornierin sucht Gleichgesinnte, um „Neda"-T-Shirts zu basteln, und ein Gitarrist aus Tennessee versichert: „Die Welt weint, während sie zusieht, wie du deinen letzten Atemzug tust. Du bist nicht umsonst gestorben."s

Trauerfeier verboten

Doch Neda ist nicht nur im Netz zur Märtyrerin geworden. Gestern Nachmittag organisierten die Demonstranten eine öffentliche Trauerfeier auf dem Teheraner Haft-e-Tir-Platz. Mit schwarzen Kerzen und grünen Bändern wurde Neda und der anderen Toten in Stille gedacht. Nedas Familie wurde diese Möglichkeit bisher verwehrt: Eine Feier in der Niloofar-Moschee im Teheraner Abbas-Abad-Viertel wurde von den Behörden verboten - offenbar aus Angst, der Tod der jungen Frau könnte sie zum mächtigen Symbol werden lassen, doch das war ohnehin längst geschehen.

Berichten zufolge war Nedas Familie gestern auf der verzweifelten Suche nach einer Moschee. Auch allen anderen Gotteshäusern soll es verboten worden sein, für eine Trauerfeier zur Verfügung zu stehen. Nedas Freund sagte BBC, ihr Leichnam sei bereits bestattet worden - am Friedhof Behesht Zahra, in Grab Nummer 32 41 257.

 

Melody Moezzi ist eine amerikanische Publizistin und Anwältin mit iranischen Eltern. Mit ihrem Buch War on Error: Real Stories of American Muslims und ihren Kolumnen im Muslim Girl Magazine versucht sie, den USA die muslimische Welt näher zu bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2009)


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