Fußball: 70 Jahre ohne Matthias Sindelar

Grab von Matthias Sindelar am Zentralfriedhof
Grab von Matthias Sindelar am Zentralfriedhof(c) Die Presse (Michaela Seidler)
  • Drucken

Am 23. Jänner 1939 wurde der "Papierene" im Alter von nur 36 Jahren tot aufgefunden. Er stand wie kein anderer für die österreichische Glanzzeit im Fußball. Sindelars genaue Todesumstände sind bis heute unklar.

Der Spitzname von Matthias Sindelar war der "Papierene". Wohl, weil er groß, schmächtig und irgendwie nicht zu greifen war, wenn er in den 1920er und 30er Jahren auf dem Fußballfeld durch die Reihen seiner Gegner tänzelte und die Massen begeisterte. Als Kapitän des "Wunderteams", das von 1931 bis 1933 in Europa für Furore sorgte, war er das Synonym für die Glanzzeit der "Wiener Fußballschule". Am 23. Jänner ist es 70 Jahre her, dass man seinen Tod entdeckte. Sindelar wurde nicht einmal 36 Jahre alt.

"Donaufußball" und Scheiberlspiel"

Dass er am 10. Februar 1903 als Sohn eines Maurers im mährischen Dorf Kozlov bei Jihlava (Iglau) geboren und erst später nach Wien übersiedelt war, passt da auch gut ins Bild. Auf den Resten der Monarchie entstand der sogenannte "Donaufußball", die Antithese zum damals noch führenden britischen "Kick and Rush". In Österreich wurde das technisch feine "Scheiberlspiel" bis zur Perfektion zelebriert.

In Wien lebte Sindelar wie Zehntausende andere zugewanderte Tschechen im Arbeiterbezirk Favoriten, wo er bei der in jener Zeit durchaus prominenten "Hertha" seine Karriere begann. 1924 wechselte er zu den "Amateuren", die zwei Jahre später in "Austria" umbenannt wurden. Dort gewann er unter anderem zweimal den "Mitropacup", die damals wichtigste Trophäe im Vereinsfußball und somit Großvater der Champions League.

43 Mal trug er das Nationaldress (Debüt 1926 bei einem 2:1 gegen die Tschechoslowakei in Prag, letztes Spiel 1937 bei einem 4:3 gegen die Schweiz in Wien), dabei erzielte er 27 Tore. Als Wunderteam-Ära gelten jene zwei Jahre, in denen das Team von 15 Länderkämpfen zwölf gewann, zweimal auswärts remisierte, und nur ein einziges Mal verlor: am 7. Dezember 1932 äußerst ehrenvoll mit 3:4 an der Londoner Stamford Bridge gegen England. Dazu kam noch das "Anschlussspiel" zwischen der "Ostmark" und dem reichsdeutschen Team im April 1938.

"Geist in den Beinen"

Zu seinen Fans zählten auch Schriftsteller wie Friedrich Torberg oder Alfred Polgar, der einmal schrieb: "Er hatte sozusagen Geist in den Beinen. Es fiel ihnen, im Laufen, eine Menge Überraschendes, Plötzliches ein, und Sindelars Schuss aufs Tor traf wie eine glänzende Pointe, von der aus der meisterliche Aufbau der Geschichte, deren Krönung sie bildete, erst recht zu verstehen und würdigen war."

Literarische Hymnen wie diese waren damals keine Seltenheit, in einer Zeit ohne Fernsehen und noch wenig Radio hatte die Sportberichterstattung mitunter einen Hang zum luftigen Feuilleton. In den 1920er-Jahren begann der Fußball erstmals breite Teile der Bevölkerung zu faszinieren. Bei einem Länderspiel gegen Italien (0:0) im April 1923 kamen 85.000 Menschen auf Hohe Warte, bei wichtigen Meisterschaftsspielen - etwa Rapid gegen die Amateure bzw. Austria - waren Zuschauerzahlen jenseits der 20.000 keine Seltenheit.

Die Faszination über die "Völkerwanderungen" zu Fußball-Spielen machte auch vor dem späteren Nobelpreisträger Elias Canetti nicht halt. Sein sozialwissenschaftlich-philosophisches Werk "Masse und Macht" wurde nicht zuletzt vom Umstand inspiriert, dass er in der Nähe der Hütteldorfer "Pfarrwiese" wohnte, wo Rapid bis in die späten 1970er-Jahre zu Hause war.

Sindelars Absage an England

Sindelars Ruhm reichte aber weit über die Grenzen Wiens hinaus. Er erhielt auch lukrative Angebote aus England, die er aber mit der Begründung ablehnte, dass "das britische Weltreich" ohnedies über genügend Klassespieler verfüge und es daher auf einen mehr oder weniger auch nicht mehr ankomme.

Auf dem Spielfeld ein ausdrucksstarker Künstler, war er laut Zeitgenossen privat eher zurückhaltend-introvertiert und auf Sicherheit bedacht. So legte er Wert auf ein zweites berufliches Standbein als Sportartikelhändler. In der Freizeit pflegte er seinen Schrebergarten.

Trotzdem verstand er es, Bekanntheitsgrad und Beliebtheit auch in bare Münze umzuwandeln. Er warb etwa für "Fru-Fru"-Sauermilch und Armbanduhren, es gab einen eigenen "Sindelar-Ball", und im Operetten-Film "Roxy und ihr Wunderteam" war er sogar abseits der "Wochenschau" im Kino zu sehen.

Vergiftung oder Verbrechen?

Die Mythenbildung um seine Person wurde auch durch die bis heute nicht völlig geklärten Umstände seines frühen Todes genährt. Am 23. Jänner 1938 wurden Sindelar und seine Freundin Camilla Castagnola in deren Wohnung in der Annagasse tot aufgefunden. Im Polizeibericht war von "Kohlenoxydvergiftung infolge eines schadhaften Ofens" die Rede. Allerdings ereiferten sich die Zeitungen in Spekulationen über ein mögliches Verbrechen. In der Bevölkerung wurde sowohl über kriminelle als auch politische Gründe gemunkelt.

Tatsächlich galt Sindelar lange Jahre als dezidierter Gegner der Nationalsozialisten. Ein Mythos, der vor allem durch das Gedicht "Auf den Tod eines Fußballspielers" ("Er war ein Kind aus Favoriten...") von Friedrich Torberg genährt worden war, das nahe legte, dass sich der "Papierene" wegen der Nazis selbst umgebracht hatte.

Kratzer bekam dieses politisch korrekte Image erst zu Sindelars 100. Geburtstag im Jahr 2003. Da veröffentlichte die jüdische Zeitschrift "NU" einen Bericht, wonach Sindelar nach dem "Anschluss" 1938 als "Profiteur" ein arisiertes Cafe in Wien-Favoriten übernommen hatte.

Sindelar (links) 1938 im Spiel Ostmark gegen Reich, rechts der deutsche Münzenberg
Sindelar (links) 1938 im Spiel Ostmark gegen Reich, rechts der deutsche Münzenberg(c) APA (Sepp Graf)
Das ''Wunderteam'' 1939, Sindelar stehend (dritter von links)
Das ''Wunderteam'' 1939, Sindelar stehend (dritter von links)(c) APA (Sepp Graf)

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.