Malediven: Ohne Schuhe in den Himmel

(c) Stefanie Bisping
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In sieben Tagen zum Inselglück: Was macht man eine Woche lang auf einer Malediven-Insel, die kaum größer ist als ein Fußballfeld? Die Antwort ist einfach: Man ist glücklich. Diese Anleitung zeigt, wie.

Der erste Tag: Schuhe aus

Die Motoren des kleinen Wasserflugzeugs dröhnen. Unten leuchten helle Kreise und winzige Inseln im tiefblauen Wasser. Einige sind üppig grün bewachsen und von weißem Sand gesäumt, andere kaum mehr als schmale Sandbänke im Meer. Barfuß und in Shorts steuern Pilot und Kopilot die Maschine. Hinter ihnen sitzen die Gäste: blasse, müde Ankömmlinge aus Europa in zu warmer Kleidung und zu schweren Schuhen.

Sanft setzt das Flugzeug auf dem Wasser auf. Wir stolpern hinaus aufs Landungsfloß und weiter ins traditionelle Dhoni-Boot. Freundliche Menschen reichen kalte Tücher, aus denen der Duft von Zitronengras steigt. Minuten später erreichen wir den Landungssteg von Dhuni Kolhu, einer halbmondförmigen Insel im Baa-Atoll. Zur Begrüßung spielt eine Combo. Ein Pfad aus weißem Sand führt durch den Dschungel des Inselinneren zu unserem Häuschen, das zwischen tropischen Büschen und Kokospalmen am Strand liegt.

Es besitzt keinen Fernseher und keine Musikanlage. Dafür befindet sich das ummauerte Bad unter freiem Himmel. Es ist der perfekte Rahmen für die Flucht aus der Welt. Wir streifen die Schuhe ab und werfen sie in den Schrank. Eine Woche lang werden wir sie nicht mehr brauchen. Hier gibt es keinen Asphalt, der unter den Füßen heiß werden, und keinen Anlass, der elegantes oder auch nur rustikales Schuhwerk erfordern könnte. Vor dem Restaurant, vor der Lobby und vor dem Spa stehen Wasserbottiche mit großen Kellen darin. Dort spült man sich den Sand von den Füßen. Auf den Malediven geht man barfuß durchs Leben. Die Zehen strecken sich und graben sich in kühlen, weichen Sand.

Der zweite Tag: Flossen an

(c) Stefanie Bisping

Barfuß erscheinen wir anderntags zum Frühstück unter Palmen. Am Abend zuvor haben wir unsere Ohren auf die Klangkulisse der Inselwelt umgestellt: keine Motorengeräusche, keine Musik. Nicht einmal eine Brise, die Palmwedel rascheln lässt. Sogar das Meer plätscherte nur leise in der Lagune. Nun essen wir Omeletts mit Chili, probieren ein wenig Curry dazu und versuchen, die aus Europa eingeschleppte Hektik loszuwerden.

Also: nicht gleich loslegen mit Yoga am Strand und ähnlichem Aktionismus, sondern sich erst einmal auf die Landschaft konzentrieren. Die ist hier in erster Linie: Wasser. Auch wenn die Malediven aus 1190 Inseln bestehen – manche zählen 1199, immer wieder kommt eine neue hinzu, während andere wieder versinken –, öffnet sich der Blick vor allem auf das unendliche Meer.

Hier und dort liegen kleine Inseln in Sichtweite. Das reduzierte Panorama aus klarem Wasser, weißem Sand und grünem Wald bedient alle Wunschträume wintermüder Europäer. Den Reichtum maledivischer Natur entdeckt man dennoch erst unter Wasser. Schon der Schnorcheltrip am Hausriff, keine 20 Meter vom Ufer entfernt, offenbart den Reichtum dieser Unterwasserwelt. Leuchtend blaue und gelbe Doktor- und Blaukopfkaiserfische, schillernd bunte Papageienfische, gelb-schwarze Halfterfische mit großen Kussmündern – stundenlang könnte man flach auf dem Wasser liegen und der maledivischen Fauna beim Korallenknabbern zuschauen.

Dass auch zwei Bierdosen und eine leere Champagnerflasche auf dem Meeresboden liegen, fördert allerdings unschöne Überlegungen über die Auswirkungen des Tourismus. Die Malediver trinken als gefestigte Muslime keinen Alkohol und kommen für solche Untaten als Verdächtige nicht infrage. Außerdem gibt es Hotels ohnehin nur auf den von Einheimischen unbewohnten Inseln.

Auf dem Rückweg, kurz vor dem Strand, schwimmt ein schnellerer Fisch ins Bild: ein kleiner Hai. Der Anblick seiner charakteristischen Silhouette beschleunigt sofort den Puls und motiviert zu raschen Flossenschlägen in Richtung Ufer. Überall ist von der Harmlosigkeit der Riffhaie zu hören
und zu lesen, doch die unmittelbare Begegnung macht sofort hellwach. „Die Babyhaie kommen gern nahe an den Strand“, plaudert später der Barkeeper aus Sri Lanka. Kein Grund zur Beunruhigung, meint er: Die Jungtiere haben noch keine Zähne.

Der dritte Tag: ein Bad in Zitronengras

Am Abend zuvor hat Mr. Maumoon, der Hausherr, zu einem Begrüßungscocktail geladen. Maumoon stammt wie knapp die Hälfte der Beschäftigten des Resorts, das einer einheimischen Familie gehört, von den Malediven. Zum Cocktail waren indessen auch zwei Kolleginnen aus Bali geladen: Therapeutinnen aus dem Spa, die mit Fünf-Minuten-Massagen für ihre Kunst warben. So überzeugend, dass eine
sofortige Terminvereinbarung zwingend erschien.

Wer angesichts der Übersichtlichkeit des Inseluniversums gelegentlich überlegen muss, wo er sich eigentlich befindet, erkennt im Spa sofort: Dies muss Asien sein. Der intensive Duft nach Zitronengras lässt keinen Zweifel zu. Eine Packung aus Limette und Kokosnussöl pflegt den Körper, bevor die Therapeutin mit einer balinesischen Massage die letzten Erinnerungen an den zehnstündigen Flug aus dem Bewegungsapparat knetet. Herrlich.

Der vierte Tag: Schildkröten und Flughunde

(c) Stefanie Bisping

Aufregung beim Frühstück: In der Nacht sind achtzig Meeresschildkröten geschlüpft. Da die Tiere gefährdet sind – durch Touristen, die ihren Strand besetzen, und Einheimische, die zumindest in der Vergangenheit, als dies noch nicht verboten war, ihre Eier gegessen und aus ihren Panzern Gegenstände gefertigt haben –, werden die Schildkröteneier auf Dhuni Kolhu sorgsam bewacht und eingezäunt. Nun purzeln in dem kleinen Stall am Strand Dutzende knapp handtellergroße Schildkröten umher. Nach drei bis vier Monaten sind sie zu groß, um Fischen zum Opfer zu fallen, und werden in die Freiheit entlassen.

Auch wenn die Insel klein ist und die Natur sich an Land erheblich artenärmer präsentiert als unter Wasser, bietet sie immer neue Spektakel. Am Nachmittag erwachen die Flughunde, um im Wald nach Früchten zu suchen. Wie riesige Fledermäuse segeln sie am blauen Himmel, um sich dann wieder dekorativ kopfüber in einen Banyanbaum oder in
eine Palme zu hängen.

Auf dem Weg zum Restaurant weichen wir kreuzenden Krebsen auf den Wegen aus, beim Duschen beobachten uns kleine Geckos. Als wir am Abend auf der Terrasse den von funkelnden Sternen übersäten Himmel auf Sternschnuppen untersuchen, vibriert der Dschungel vor Leben und Geräuschen: Zeternde Flughunde balgen sich in den Bäumen, Nachtvögel schreien.

Der fünfte Tag: Robinsonade

(c) Stefanie Bisping

Drei-, viermal sind heute schon Menschen am Strand entlanggegangen. Es wird langsam ein bisschen voll. Zeit also, die einsame Insel gegen eine noch einsamere zu tauschen. „Virgin Island“ wird sie passenderweise genannt, was auf
jeden Fall leichter auszusprechen ist als ihr tatsächlicher Name: Medhufinolhu. Eigentlich besteht sie sogar aus zwei Inseln, die durch eine leuchtend weiße Sandbank miteinander verbunden sind. Hier sind wir tatsächlich die einzigen Menschen – neben unserer Crew. Außer dem Puderzuckerstrand besitzt die jungfräuliche Insel eine türkisfarbene Lagune und ein grandioses Hausriff. Perfekte Bedingungen also zur Fischbeobachtung. Das Wasser ist so klar, dass man schon vom Strand aus die Meeresfauna erkennen kann. Angesichts dieser Kulisse ist es schwer, nicht reflexartig an Paradies und Postkarten zu denken.

Und sich nicht gleich auch Sorgen zu machen: dass dies – nun ja, dieses Paradies – womöglich der Erderwärmung und dem steigenden Meeresspiegel zum Opfer fallen könnte. Auch wenn Mohamed Nasheed, seit Oktober 2008 Präsident und Regierungschef der Malediven, sich bereits
einen Ruf als Held des Klimaschutzes erkämpft hat, kann man sich schwerlich darauf verlassen, dass er seine Inseln im Alleingang rettet. Den größten Dienst erwiese man den Inseln gewiss, wenn man zu Hause bliebe . . .

Der sechste Tag: Landeskunde

Schon seit Tagen beobachten wir, dass auf der bewohnten Insel gegenüber abends zahlreiche Lichter in der Größe von Straßenlaternen angehen. Was mag da los sein? Hithadhoo, so heißt das Eiland, ist mit 1128 Einwohnern für die hiesigen Verhältnisse zwar nicht gerade klein. Hell erleuchtete Straßen scheinen dennoch unnötig. Also sehen wir nach und setzen mit dem Dhoni über. Eine halbe Stunde dauert die Fahrt, weil das Boot streckenweise in Zeitlupentempo zwischen flachen Korallenbänken hindurchgesteuert werden muss.
Dann sind wir da: auf einer Insel, deren Bewohner zu drei Vierteln von der Fischerei leben. Allerdings wird heute nicht mehr für den eigenen Bedarf gefischt, sondern der Fang nach Malé verkauft. Breite Straßen durchziehen die Insel, doch gibt es auch hier keinen Asphalt. Feiner Sand bedeckt die Straßen, an ihren Seiten stehen Stühle, die aus einem Blechgestell mit einem Netz darin angefertigt sind: Hängematten zum Sitzen. Das Leben scheint ruhig zu verlaufen.

Die Menschen flanieren – es gibt nur zwei Autos auf der Insel – oder sitzen in den Stühlen vor ihren Häusern, um die Flanierenden zu beobachten und zu begrüßen. Auf einem Feld wird Fußball gespielt. Es gibt einen Kindergarten, eine Schule, ein Krankenhaus, zwei Moscheen und ein Café. Im Kindergarten gibt es irritierenderweise einen Sandkasten, aber auch die inseltypischen Hängestühle im Miniaturformat. In der Schule
ist Fischerei ein Wahlfach. Tatsächlich erlernen heute viele junge Leute das Fischen nicht mehr selbstverständlich von ihren Eltern. Die Arbeit auf den Resortinseln ist für viele erstrebenswerter. Allein durch Trinkgelder nehmen die Beschäftigten dort ein Vielfaches von dem ein, was der Verkauf von Thunfisch in der Hauptstadt einbringt.

Der siebente Tag: Lichttherapie

INFO

Der letzte Tag gehört noch einmal Sonne, Meer – und dem Abschied, der uns nun bereits vorkommt wie die Vertreibung aus dem Paradies. Unser Strandnachbar Andrew kommt auf dem Weg zum Schnorcheln vorbei und zeigt uns die Fotos, die er gestern am Riffrand von einem gewaltigen Manta gemacht hat. Wir schauen selbst noch einmal am Hausriff nach dem Rechten. Heute sind keine
Haie unterwegs, dafür sehe ich einen kleinen Rochen, viele Seesterne und Schwärme leuchtend bunter Fische. Ich liege auf dem Wasser, lasse mich treiben und höre den Fischen beim Korallenknabbern zu. Irgendwann später müssen wir packen, Trinkgelder disponieren und die Schuhe für die Abreise aus dem Schrank holen. Und nachdenken. Natürlich ist es überhaupt kein Problem, eine Woche auf einer Insel zu verbringen, die man zu Fuß in einer halben Stunde umrunden kann. Schwierig ist nur, sich nach einer Woche wieder loszureißen.

Anreise: Wien–Male u. a. mit Emirates ab 950 Euro; www.emirates.com

Einreise: EU-Bürger benötigen einen Reisepass, der noch mindestens sechs Monate gültig ist. Das Visum für einen Aufenthalt bis zu 30 Tagen erhält man bei der Einreise. Alkohol: No! No! No!

Unterkunft: Auf jeder touristischen Insel gibt es nur ein Resort. Es ist also wichtig, die richtige Wahl zu treffen, denn man kann abends nicht mal eben anderswo essen gehen. Veranstalter: u. a. Dertour, Ikarus-Dodotours, Jahn Reisen, Meier’s Weltreisen, Ruefa Reisen, TUI, Windrose Fernreisen. Das Resort Coco Palm auf der Insel Dhuni Kolhu (www.cocopalm.com) hat z. B. TUI im Programm (www.tui.at).

Lektüre: "Malediven", Reihe Polyglott on tour (2009 erschienen, 143 Seiten, 10,30 Euro).

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