Heiznadeln messen Durst der Bäume

Die Zusammensetzung der Wälder kann sich durch die Klimaerwärmung ändern: Kiefern dürften gegen Fichten gewinnen.
Die Zusammensetzung der Wälder kann sich durch die Klimaerwärmung ändern: Kiefern dürften gegen Fichten gewinnen.Clemens Fabry
  • Drucken

Große Bäume sind durstiger als kleine, daher steigt bei Trockenheit der Stress für ältere Bestände. Mit künstlich hergestellter Dürre in einem Wald zeigten Innsbrucker Forscher, dass Bäume unterschiedlich auf Wassermangel reagieren.

Walter Oberhuber schwant nichts Gutes. Der Forschungsgruppenleiter am Institut für Botanik der Uni Innsbruck fürchtet: „Wenn Dauer und Häufigkeit von Trockenperioden im Zuge der Klimaerwärmung zunehmen, ist zwangsläufig mit einem Anstieg des Baumsterbens in niederschlagsarmen Regionen zu rechnen.“ Selbst in naturnahen, mutmaßlich widerstandsfähigeren Wäldern sei in den vergangenen Jahrzehnten eine zunehmende Empfindlichkeit gegenüber Dürrestress zu beobachten. Jedenfalls an sogenannten Trockenstandorten, wo es vergleichsweise wenig regnet oder schneit.

Dass der Stress durch Wassermangel steigt, erklärt sich zunächst durch das Älterwerden der Bestände, denn große Bäume sind durstiger als kleine. Aber welche Rolle spielt die Niederschlagsverteilung über das Jahr? Wie reagieren die Bäume auf den Klimawandel? Derzeit wird in Österreich intensive Grundlagenforschung zum Wasserhaushalt des Waldes betrieben; teilweise eingebunden in internationale Forschungsprojekte.

Botaniker Oberhuber zum Beispiel hat gemeinsam mit seinen Kollegen Irene Swidrak, Andreas Gruber und Roman Schuster das Wachstum des Stammdurchmessers von Fichten, Kiefern und Lärchen an einem Trockenstandort des Inntals vermessen. Zusätzlich wurden den Bäumen regelmäßig zwei Zentimeter lange und drei Millimeter dicke Mikrobohrkerne entnommen. Unter dem Mikroskop untersuchten die Wissenschaftler die zeitlichen Abläufe der Zellteilung, des Zellwachstums sowie der Verholzung der Zellwände.

Größtes Wachstum im Mai

Mit teils verblüffenden Beobachtungen: „Am meisten überrascht waren wir davon, dass die höchsten Wachstumsraten Mitte Mai stattfanden und nicht im für das Wachstum günstigeren feucht-warmen Sommer“, so Oberhuber. Warum das so sein könnte, wird derzeit im Rahmen eines weiteren vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts untersucht.

Aber noch etwas Entscheidendes ist Oberhubers Arbeitsgruppe beim Blick auf die Baumzellen aufgefallen: „Der Zeitpunkt der höchsten Wachstumsraten im Mai fällt nicht mit dem der maximalen Produktion von Holzbiomasse Anfang Juli zusammen.“ Wenn man bedenkt, dass der Baum seine Biomasse – genauer gesagt, den Holzstoff Lignin – aus dem CO2 der Luft zusammenbaut, stellt dies eine wertvolle Erkenntnis zum besseren Verständnis des Kohlenstoffkreislaufs von Wäldern dar. Für die Wissenschaftler bedeutet es, dass sie aus dem Wachstum des Stammdurchmessers nicht automatisch auf die Bindung von Kohlenstoff im Holz schließen können.

Die Botaniker der Uni Innsbruck arbeiten mit dem Institut für Naturgefahren des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) zusammen. Dort interessiert man sich ebenfalls brennend für das Wasser, das Bäume aufnehmen und wieder abgeben. Hier vor allem vor dem Hintergrund der Schutzfunktion des Waldes. Schließlich verhindern intakte Wälder zum Beispiel, dass intensive Regenfälle postwendend im Gebirgsbach landen und dort als reißender Strom zur Gefahr für Menschen und Gebäude werden.

Künstliche Trockenheit

Unbeteiligte Waldbesucher dürften nicht schlecht gestaunt haben, sollten sie zufällig an der Versuchsfläche von Gerhard Wieser, Leiter des Fachbereichs Ökophysiologie der Alpinen Waldgrenze am BFW, vorbeigekommen sein. 250 Quadratmeter Waldfläche waren hier, an einem „inneralpinen Trockental“ am Eingang des Ötztals, circa einen Meter über dem Boden mit einem Dach aus Folie abgedeckt, um Regenwasser nach außen abzuleiten. So konnten die Forscher über drei Vegetationsperioden hinweg den Boden austrocknen.

Wie würden die Bäume in Sachen Wasserabgabe, sprich Kronentranspiration, reagieren? Um dahinterzukommen installierten Wieser und sein Team sogenannte Xylemfluss-Sensoren. Diese bestehen aus zwei Metallnadeln, die in circa 15 Zentimeter Abstand übereinander in den wasserleitenden Teil des Stammes, das Xylem, eingebaut werden. Die obere Nadel wird mit einem konstanten Strom beheizt. Je mehr Wasser an den beiden Nadeln vorbei hinauf in Richtung Krone strömt, desto geringer ist der messbare Temperaturunterschied zwischen beheizter und unbeheizter Nadel. Fließt wenig Wasser, verringert sich der Kühlungseffekt, und die Temperaturdifferenz wird größer. „Die Differenz dient als Berechnungsgrundlage für den Saftfluss. Die im Stamm transportierte Wassermenge entspricht der Menge, die über die Nadeln verdunstet“, erklärt Wieser.

Die untersuchten Bäume reagierten sehr unterschiedlich auf die künstliche Trockenheit. Während Kiefern und Fichten ihre Wasserabgabe um 30 bzw. 19 Prozent reduzierten, schien die Lärche gänzlich unbeeindruckt und schränkte ihre Transpiration kaum ein. Warum der Baum so wenig Hausverstand zu zeigen scheint, ist unklar. „Es wäre möglich, dass die Lärche mit dieser Strategie vor Kiefer und Fichte absterben würde. Andererseits lebt sie so vielleicht auf Kosten der sparsameren Arten“, spekuliert Wieser. Klärungsbedarf, der nach weiteren Studien verlangt. Fest steht: Alle drei Arten schränkten ihr Dickenwachstum ein, die Lärche aber am wenigsten.

Klimawandel wirkt verzögert

Auch an einem anderen Standort, dieses Mal an der Waldgrenze auf über 2000 Meter Seehöhe bei Kühtai im Sellraintal, manipulierten die Baumforscher den Wasserhaushalt. Sie sorgten für eine künstliche Erhöhung der Bodentemperatur. Das ließ die Baumwurzeln mehr Wasser aufnehmen, welches wiederum über die Kronen verdunstet wurde. „Das oberirdische Wachstum hingegen reagierte selbst nach drei Jahren nicht auf die Erwärmung des Bodens“, stellten Wieser und Kollege Gruber überrascht fest. Dies sei ein Hinweis, dass das Baumwachstum in alpinen Ökosystemen zeitverzögert auf eine Erwärmung reagiere.

Wenn die Klimaerwärmung die Bäume mehr Wasser verdunsten lässt und damit den Boden trockener macht, könnte das sogar das Risiko von Naturgefahren mindern. Zu rechnen ist aber auch damit, dass Wälder künftig anders aussehen: In niederschlagsarmen Regionen dürften sich die Bestände lichten, um den Konkurrenzdruck zu mindern. Kiefern dürften gegenüber den trockenheitsempfindlicheren Fichten und Lärchen an Bedeutung gewinnen. Wo auch sie schlapp machen, treten Eichen auf den Plan, oder das betreffende Gebiet fällt gleich ganz der Versteppung anheim.

LEXIKON

Transpiration, also die Verdunstung über die Blätter, ist der Motor des Wassertransports in Bäumen: Gesunde, 80 Jahre alte Fichten oder Kiefern können an einem heißen Sommertag bis zu 135 Liter Wasser verdunsten. Dabei nehmen sie CO2 aus der Luft auf.

(Print-Ausgabe, 02.04.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.