Afrika: Weniger Kinder, mehr Chancen

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In zentralafrikanischen Staaten lautet das politische Ziel, die Geburtenrate alle fünf Jahre um mindestens 0,6 Kinder pro Frau zu senken. Als wichtigstes Mittel dazu wird Schulbildung für Mädchen erkannt.

Wien (gau). Afrika ist der Kontinent des Konjunktivs. Seit Jahrzehnten seufzen Ökonomen, Politiker und Entwicklungshelfer: Der Schwarze Erdteil hätte Potenzial, er könnte wirtschaftlich abheben, wären da nicht die Hürden, die man abbauen müsste – politische Unsicherheit, fehlende Reformen, viel zu hohe Geburtenraten. Zumindest beim letzten Punkt scheint sich die Katze in den Schwanz zu beißen: Die Geschichte hat gezeigt, dass erst mehr Wohlstand Kinder entbehrlich macht. So lief es in den westlichen Industriestaaten: Erst wuchs die Wirtschaft kräftig, dann sanken, in zeitlichem Respektabstand, die Geburtenraten.

In der Zwischenzeit ging die Kindersterblichkeit zurück und wurde das Pensionssystem ausgebaut. Viele Kinder in die Welt zu setzen, war für eine sichere Altersversorgung nicht mehr notwendig. Dazu stiegen die Ausgaben für die Erziehung – und die „Opportunitätskosten“ der Kinderwahl: Wer im Haushalt blieb, um ein Kind aufzuziehen, musste auf immer höhere Einkommen verzichten.

Kurz gesagt: Wohlstand war die Ursache, sinkende Geburtenraten die Wirkung. Erst in der Folge trieb die sinkende Kinderzahl das Wachstum weiter an – weil jeder Mensch im erwerbstätigen Alter weniger nicht arbeitende Menschen miternähren musste. Je niedriger dieser „Abhängigkeitsquotient“, desto besser ist das für die Wirtschaftsentwicklung. In Österreich hat die Quote einen Tiefpunkt erreicht und wird in den nächsten Jahrzehnten wieder kräftig ansteigen – wegen der alternden Bevölkerung.

Mehr Bildung für Frauen

Afrika hat freilich ganz andere Probleme. Nirgends auf der Welt sind die Geburtenraten und die Kindersterblichkeit höher als in Zentralafrika. Fragt sich nur, ob der Kontinent wirklich auf ein Wirtschaftswunder hoffen muss, damit sich das ändert. Nein, sagen die Autoren einer aktuellen Studie der Allianz Versicherung. Sie zeigen auf, dass sich neue Perspektiven eröffnen, wenn die Bildungs- und Erwerbschancen von Frauen erhöht werden. Wer Lesen und Schreiben kann, bekommt weniger Kinder. Traditionell aber ist der Analphabetismus unter Afrikas Frauen noch weit höher als unter Männern. Diesen Rückstand aufzuholen ist eher eine Frage des politischen Willens als eine Folge von Wirtschaftswachstum.

Vorbild Südafrika

So haben Staaten im Norden und Süden Afrikas – vor allem Algerien und Südafrika – dafür gesorgt, dass über 90 Prozent ihrer Frauen alphabetisiert sind. Die Folge: Die Geburtenraten sanken auf 2,5 Kinder pro Frau. Der Abhängigkeitskoeffizient ist in diesen Ländern schon gleich niedrig wie in Europa und den USA – und das, obwohl sie bei Weitem noch nicht das Wohlstandsniveau westlicher Industriestaaten erreicht haben.

Der Anstoß sollte nun zu einer segensreichen Kettenreaktion führen. Davon geht die UNO in ihren Prognosen für Afrika aus, und darauf setzten mittlerweile auch einige zentralafrikanische Staaten – etwa Nigeria. Dort lautet das politische Ziel, die Geburtenrate alle fünf Jahre um mindestens 0,6 Kinder pro Frau zu senken. Als wichtigstes Mittel dazu wird Schulbildung für Mädchen erkannt.

Freilich betonen die Allianz-Experten, dass Stabilität und Wirtschaftsreformen den Prozess begleiten müssen, damit Afrika nach Jahrzehnten der Lethargie durchstarten kann. So wie in den Bürgerkriegsländern Somalia, Sudan und Kongo darf es nicht laufen. Hingegen machen die Entwicklungen in Botswana, Südafrika und Gabun Hoffnung.

Übrigens: Gottlob steigt auch in Afrika die Lebenserwartung. Aber dieser Effekt wirkt weit schwächer als die sinkenden Geburtenraten. Bis 2050 wird der Abhängigkeitskoeffizent daher überall in Afrika mehr oder weniger steil nach unten gehen. Erst dann ist der Schwarze Kontinent „reif“ genug für die Sorgen der Alterung, die Europa schon heute plagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2010)

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