"Wien soll sich Berlin zum Vorbild nehmen"

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GmbH-Recht, Kosten, fehlende Offenheit: Aus der Berliner Perspektive haben heimische Start-up-Unternehmer die Schwächen Wiens als Gründerstadt rasch ausgemacht.

Es war ein Schlüsselerlebnis für Bernhard Hauser. Noch als BWL-Student hatte er das Ideentriebwerk Graz gegründet, das die kleine steirische Startup-Szene vernetzen soll. Nun stand er im großen Hörsaal und fragte in die Runde der Kommilitonen: Wer denke denn daran, ein selbstständiger Unternehmer zu werden? Drei zeigten auf. Drei von 300. Ein Prozent. Unter Betriebswirten, wohlgemerkt.

Moritz Plassnig hätte sich darüber nicht gewundert: „Österreich ist kulturell verstaubt, die Risikobereitschaft ist gering, Innovation hat es schwer.“ Der Gründer von Codeship war in Berlin und agiert nun von Boston aus. Wien steckt für ihn „in den Kinderschuhen“. Der Stadt fehle es noch an „Strahlkraft“: „Das ist kein Ort, wo ein 30-jähriger Softwareentwickler unbedingt hinwill.“ Im jungen Berlin aber mit seinem „interessanten Mix aus Menschen“ ist die Szene für Internet-Start-ups in wenigen Jahren „explodiert“. „Das hat viel mit Offenheit zu tun. Wien sollte sich Berlin zum Vorbild nehmen.“

Die Jungunternehmer, die an der Spree ihr Glück versuchen, sehen aber auch ganz handfeste Unterschiede. Etwa rechtliche Hürden. „Die GmbH light ging gewaltig nach hinten los“, kritisiert Hauser. In Berlin hat er sogleich eine Ein-Euro-GmbH gegründet. Auch Philipp Wasserbauer (Get your Guide/Ex-Gidsy) sieht die heimische GmbH-Struktur als „Behinderung“. Deutschland habe sein Gesellschaftsrecht weit besser an die Bedürfnisse von Jungunternehmern mit wenig Kapital angepasst. So bleibe es ihnen erspart, auf Druck angelsächsischer Investoren eine Ltd. nach britischem Recht zu gründen.

Ein großes Thema sind auch die Kosten für Programmierer. Anna Banicevic von Zizooboats hat viele Jahre für Google in London gearbeitet, bekanntlich eine sehr teure Stadt. Dennoch war sie zurück in Wien „schockiert“ über die hohen Kollektivverträge in der Softwarebranche. Der Grund: In Berlin und London ist das Angebot groß, das drückt die Preise. Nicht wenige Wiener Internet-Start-ups lagern die Programmierarbeit in das nahe Bratislava aus. Oder sie gründen, wie Zizooboats, eine Zweigstelle in Zagreb. In Österreich, erklärt Hauser, „gibt es viele Gründer, aber wenige Entwickler. Bei den südlichen und östlichen Nachbarn ist es genau umgekehrt.“ Und für sie ist Wien und nicht Berlin „der erste Anlaufpunkt“. Damit hätte Wien auch für Internetunternehmen das Potenzial, ein „Tor zum Osten“ werden.

Wie auch die anderen Exilgründer ist Hauser von den Möglichkeiten überzeugt: „Wien ist auf einem guten Weg.“ Vor allem das Pioniers-Festival Ende Oktober mache einen „sehr guten Job“ und werde „auch international stark wahrgenommen“. Die Überschaubarkeit sehen manche sogar als Vorteil. Etwa bei der Suche nach Mitarbeitern: In Berlin oder Boston „ist der Pool viel größer, aber man fängt nur kleinere Fische“, sagt Plassnig.

Und das Buhlen um Investoren? Freilich ist es in Berlin praktisch, dass die potenziellen Kapitalgeber vor Ort sind oder die Stadt auf dem Schirm haben. Die Abläufe bei den Finanzierungsrunden sind eingespielt, „die Investoren agieren schnell“, berichtet Banicevic. Damit bleibe den Unternehmern mehr Energie für ihre eigentliche Aufgabe: Produkte zu entwickeln, die ein Problem lösen. Andererseits: Wer eine wirklich gute Idee hat, wird auch in Wien Investoren finden. „Wenn die nicht völlig auf den Kopf gefallen sind, setzten sie sich eben in den Flieger“, ist Oliver Lukesch von Avuba überzeugt.

Man kann die Lage auch gelassen sehen, aus gleichsam historischer Perspektive. „Die Softwareszene konzentriert sich weltweit nur auf wenige Zentren“, weiß Maximilian Tayenthal von Number26. Im Jargon der Szene: Eine Stadt braucht eine „History“, um im „Recruiting-Mindset“ zu sein. Sprich: Wo schon was los ist, geht was weiter.

Dennoch zeigt die rasche Entwicklung von Berlin, dass eine Stadt es auf die Überholspur schaffen kann. Wien steht da erst am Anfang. Hier braucht es auch noch viel Unterstützung von oben. Für die Politik „sind Start-ups das beste Investment“, wirbt Tayenthal. „Sie schaffen Werte und bringen Kapital ins Land.“

Die Unternehmer selbst können ein wenig patriotischen Idealismus beisteuern. Dass Codeship ein Büro in der Heimat behalten, erklärt Gründer Plassnig auch so: „Wir wollen, dass die Wiener Szene wächst.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2014)

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