Philosphicum Lech: Das Badezimmer als Innenraum des Kapitalismus

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Der Kapitalismus ist kalt, sagt Bolz. Er fühlt sich an wie ein warmes Bad, sagt Ullrich. Er führt zum Verlust der Schönheit, sagt Binswanger. Thesen bei einem glänzenden Symposium über Geld.

Es gibt unter den Intellektuellen verblüffend wenige, die ein Loblied auf den Kapitalismus singen“, sagte Norbert Bolz, Medienforscher in Berlin, und erklärte es tief materialistisch: Die meisten Intellektuellen leiden unter „Status-Einkommen-Diskrepanz“, man achtet sie, zahlt ihnen aber zu wenig. Auch Bolz verdient nicht genug, glaubt überhaupt, dass man nie genug Geld haben kann, und doch sang er ein Loblied auf den Kapitalismus. „Wenn man den Markt betritt“, sagt Bolz, „schlägt man sich nicht mehr die Köpfe ein.“ Wo früher Krieg tobte, werde heute gehandelt; Aggressivität sei zu Konkurrenz sublimiert; der Kampf aller gegen alle sei dem aller um alle gewichen. „Je mehr Geld die Welt regiert, umso urbaner und ziviler wird sie.“

Diese Zähmung wilder Leidenschaften nennt Bolz, ganz advocatus diaboli, eine Kühlung und interpretiert damit die bei Kapitalismuskritikern beliebte Metapher von der Kälte des Marktes positiv: „Die ideale Betriebstemperatur des Kapitalismus ist knapp über dem absoluten Nullpunkt.“ Wer Geld spende, erspare sich etwa, sich den Sorgen der Armen auszusetzen; die Monetarisierung habe die Moralisierung verdrängt, und das sei gut so. „Früher hatten die Leute Schuldbewusstsein, heute haben sie Schulden.“

„Keine Bedürfnisse mehr“

Natürlich weiß auch Bolz: „Wer gar kein Geld hat, dem kann man schwer die Vorteile des Kapitalismus erklären.“ Wer sich die Preise in Lech leisten kann, hat offenbar nicht gar kein Geld, war damit adäquater Adressat für Bolz' Resümee: „Wir haben gar keine Bedürfnisse mehr. Wann haben Sie das letzte Mal Kleider gekauft, weil Ihnen kalt war?“

Wie es sich für ein von Konrad Paul Liessmann inszeniertes Symposium gehört, folgte die Antithese, subtil vertreten von Wolfgang Ullrich, Kunsttheoretiker in Karlsruhe: Er zeigte Bilder von Bedürfnissen, die im Kapitalismus nicht nur geweckt und befriedigt werden, sondern auch Metaphern für ihn sind. Das Wasser vor allem: Es versinnbildlicht das ebenso flüssige Geld, besonders dann, wenn es, wie ein absurdes Wellnessgetränk, nichts enthält als reines Quellwasser: „Gerade dass nichts drin ist, verspricht maximale Vielfalt an Optionen.“ Geld sei charakterlos und qualitätslos, hatte Liessmann am Abend davor gesagt (s. Spectrum, S.1/2): Genau deshalb könne es weder Überraschungen noch Enttäuschungen bringen.

Wasser ist auch zentrales Motiv der Wellnessindustrie, in der Ullrich „die Seele des Kapitalismus“ sieht. „Der Wellnessaufenthalt wird zum Äquivalent oder zur Fortsetzung der Liquiditätserlebnisse, auf die ein Spekulant an der Börse setzt.“ Dabei verwendet die Wellnessbranche immer mehr Motive der sogenannten Spiritualität, des „New Age“, mit „Entspannung“ als zentralem Lockruf, am besten verkörpert in der Rückenmassage, einer Dienstleistung, die der Massierte mit andächtig geschlossenen Augen empfängt. Das Badezimmer als „Energie-Pool“, Motive fernöstlicher Religionen in jedem zweiten Hotelprospekt. (Nur das für Wasseranwendungen naheliegende Motiv der Taufe fehlt, darf man anmerken, das Christentum, abgesehen von Hildegard von Bingen, ist offenbar heute nicht wirklich wellnesskompatibel.)

Die von Ullrich virtuos vorgeführte Lächerlichkeit der Wellnesswelt brachte Bolz zu einem Bekenntnis: Er ziehe dem Fundamentalismus den Konsumismus vor, „obwohl diese Lebensform an Primitivität und Lächerlichkeit nicht zu überbieten ist“. Mehr noch: „Die Konsumwelt ist ein einziges Placebo, um die Schmerzen zu lindern, die die Geldwelt auslöst.“ So bekannte sich Bolz endlich auch wörtlich als advocatus diaboli: „Geld ist nicht nur symbolisch, sondern auch diabolisch.“

Faust II: Tragödie des Wachstums

Der Teufel in Gestalt des (bei Goethe zu Alterspessimismus neigenden) Mephisto hatte seinen Auftritt in Christoph Binswangers Vortrag über „Geld und Magie. Die moderne Wirtschaft im Spiegel von Goethes Faust“. Binswanger sieht den „Faust“ mit C.G.Jung als „alchemistisches Drama“, im ersten Teil gehe es um aurum potabile als Liebestrank, im zweiten um Produktion von Gold. Faust II als Tragödie des Wirtschaftswachstums: von der Erfindung des Papiergelds (analog zur Gründung der Bank of England) über Fausts Bekenntnis zum Streben nach „Herrschaft, Eigentum“ (analog zum Code Napoléon) bis zum Einsatz von Energie (Dampfmaschine) zur Landgewinnung. Die Wirtschaft erhalte transzendenten Charakter, meint Binswanger, darum sei für Faust der Tod endlich kein Schrecken mehr, er könne sagen: „Verweile doch, du bist so schön.“

Das kann und will Binswanger über den Kapitalismus nicht sagen: Der wirtschaftliche Fortschritt bringe den Verlust der Schönheit, der Sicherheit und der Fähigkeit, den Reichtum wirklich zu genießen. „Der wachsende Reichtum kann die Sorge nicht bannen; im Gegenteil, er zieht sie an.“ Womit man bei der aktuellen Finanzkrise gelandet war, die das Lecher Symposion als Leitmotiv durchzieht. Mit unterschiedlichsten Diagnosen: „Mit der Gier der Menschen systematisch zu spielen, ist eine Struktur der Sünde“, sagte Caritas-Präsident Franz Küberl; „die Zentralbanken haben zu viel Geld geschaffen“, sagte Banker Hans Haumer; „Amerika ist krank“, sagte Heide Simonis (früher Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein); man dürfe jetzt ja nicht nach einem Sozialismus rufen, sagte Jürgen Hubbert (Vorstand Daimler-Chrysler). Am knappsten äußerte sich auch hierzu Bolz. „Ich kann dazu nichts sagen. Es ist mir zu kompliziert.“

PHILOSOPHICUM LECH

Noch bis Sonntag (21.9.) dauert das von Konrad Paul Liessmann geleitete Symposium in der Neuen Kirche Lech, das sich heuer, in seiner 12. Auflage, mit dem Thema Geld befasst. Untertitel: „Was die Welt im Innersten zusammenhält“.

Unter den Referenten: Stephan Schulmeister (über „Geld als Mittel zum Selbstzweck“), Gottfried Gabriel („Die Ästhetik des Geldes“), Klaus Albrecht Schröder („Der Zinsgroschen. Das Geld in der Kunst“).

www.philosophicum.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2008)

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