Hieronymus Bosch Rules – den Rest von 2016 regieren dann die Künstlerinnen

Gemaeldegalerie der Akademie der bildenden Kuenste Wien: Ehrgeiziger Aufbruch ins neue Jahr
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Minimalmalerin Agnes Martin und der klassizistischen Porträtistin Vigée Le Brun sind große Retrospektiven in New York gewidmet. In London wird die neue Tate Modern eröffnet.

Vielleicht ist es ja das: Im Jahr, bevor es ganz sicher entrisch wird (2017 treffen wieder einmal Biennale Venedig und Documenta in Kassel aufeinander), will man es ruhig angehen. Luft holen, einmal noch. Denn die richtig großen Feger findet man (bisher jedenfalls) nicht in den Programmen der renommierten Häuser.

Die große Sommerausstellung der Tate Modern in London etwa darf man heuer getrost auslassen, Georgia O'Keefes unanständige Blumenbilder reisen danach ins BA-Kunstforum in Wien. Trotzdem liefert die Tate voraussichtlich das größte Szeneereignis des Jahres: Am 16. Juni wird der Zubau der Stararchitekten Herzog & de Meuron eröffnet, der die bisherige Fläche mehr als verdoppeln wird. Die umgebaute Turbinenhalle wird zukünftig rückwärts von einem zehnstöckigen, turmartigen Gebäude überragt, das „mehr als ein Behältnis für Kunst sein soll“, so der scheidende Direktor Chris Dercon. Die New Tate Modern soll „Plattform für zwischenmenschliche Begegnungen sein“ – sicher kein Problem bei 5,7 Millionen Besuchern jährlich. Und beim Panoramablick über London vom neuen Dachgeschoß aus.

Engländer gehen nach Berlin. Der überaus erfolgreiche Dercon geht übrigens 2017 nach Berlin, wo er die Volksbühne übernehmen wird. Er wird einen alten Bekannten dort treffen, den Direktor des British Museum, Neil MacGregor, der die Intendanz des neuen alten Stadtschlosses in Berlin übernommen hat. 2019 erst soll dieses eröffnet werden. Bis dann gibt es viele Gründe, nach Berlin zu reisen, das Ausstellungsprogramm 2016 gehört nicht dazu – außer man möchte Günter Brus' Werk lieber außerhalb von Graz sehen: Der Aktionist hat von 12. März bis 6. Juni im Martin-Gropius-Bau seine erste Ausstellung in der Stadt, in die er 1969 vor polizeilicher Verfolgung nach der Wiener Uni-Aktion geflüchtet ist. Und auch Erwin Wurm wird heuer in Berlin präsent sein, mit einer Einzelausstellung in der Berlinischen Galerie (ab 15. April).

Bleiben wir noch in Deutschland, in der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt wird es zeitgeistig, es geht zu Beginn gleich ums „Ich“ (durchgestrichen wohlgemerkt), eine Themenausstellung, die sich mit dem Selbstporträt in Zeiten des Selfies abrackern muss (von 11. März bis 29. Mai). Was Künstlerinnen und Künstler dem entgegenzusetzen haben, lautet die Frage. Die Antwort wird wohl keine eindeutige werden. Über den Sommer rettet man sich hier mit „Pionieren des Comic – Eine andere Avantgarde“ (von 17. Juni bis 18. September), u. a. mit Winsor McCay, Lyonel Feininger, Charles Forbell und Frank King.

Albertina zu Gast in Schirn. Eine Kooperation mit der Albertina ist „Kunst für alle. Der Farbholzschnitt in Wien um 1900“ (von 7. Juli bis 3. Oktober), die erst anschließend in Wien zu sehen sein wird (ab 21. 10.). Im Herbst kommt erst die große Personale, die Performancekünstler Ulay gewidmet ist, dem Ex von Marina Abramović (und nein, man kann es sich nicht verkneifen, es einmal andersrum schreiben zu dürfen).

Oder an wen denken Sie als Erstes, wenn Sie etwa von der abstrakten Malerin Elaine de Kooning hören? An ihren Mann, Willem. Den weniger bekannten „Women of Abstract Expressionism“ ist eine der spannenderen Ausstellungen dieses Jahr in den USA gewidmet, leider im Denver Art Museum, wo man als europäischer Tourist nicht so unbedingt einmal hineinschneit (von 12. Juni bis 25. September), neben Frau de Kooning sind noch Helen Frankenthaler und Lee Krasner dabei, insgesamt zwölf Malerinnen hat man ausgewählt.

Denkt man jetzt noch an die immerhin ein Jahr lang dauernde Übernahme der feministischen Künstlerinnentruppe Guerilla Girls des Walker Art Center in Minneapolis, die tatsächlich „Art at the Center“ heißt, könnte man mutmaßen, dass die Frauen immer noch in der Peripherie angesiedelt sind.

„Hier bekommen Frauen ihr Recht.“ Wäre da nicht das Ausstellungshighlight in New York, die große Retrospektive auf Agnes Martin im Guggenheim Museum (Oktober 2016–Jänner 2017). Es ist die erste umfassende Schau der minimalistischen Malerin seit ihrem Tod 2004. „Während das MoMA und andere Museen den großen männlichen Malern und Bildhauern Hommagen ausrichten, sind wir begeistert zu sehen, dass Martin hier bekommt, was ihr zusteht“, verkündet das Museum sogar recht kämpferisch.

Das MoMA fährt heuer mit Marcel Broodthaers erster New Yorker Ausstellung auf (von Februar bis Mai). Mit dem belgischen Konzepturgestein wird es uns allerdings nicht über den Ozean locken. Wohl auch nicht mit Degas als Druckgrafiker (März–Juli), nach dem großen, heftig kritisierten Debakel der Abenteuerausstellung über Pop-Performerin Björk im vorigen Jahr scheint man sich im ersten Zeitgenossenhaus am Plaza heuer Ruhe und Introspektion verordnet zu haben.

Was macht das Metropolitan Museum? Auch hier regiert heuer eine Dame, Vigée Le Brun, „Künstlerin im revolutionären Frankreich“ (von Februar bis Mai). Die 80 Bilder stellen übrigens die erste Retrospektive der schon zu ihrer Zeit hoch geschätzten klassizistischen Porträtistin dar, und auch erst die zweite Ausstellung in „modernen Zeiten“ überhaupt, brüstet sich das Museum. Zu Recht!

500. Todestag von Bosch. Womit wir mitten in der alten Kunstgeschichte wären. Was uns ein mächtiges Jubiläum beschert, den 500. Todestag von Hieronymus Bosch. Seine Heimatstadt, das niederländische 's-Hertogenbosch, richtet dem berühmten Sohn daher ab 12. Februar eine der größten Bosch-Ausstellungen ever aus (bis 8. Mai): 20 Gemälde, 19 Zeichnungen werden versammelt; es wird das Highlight des ganzjährigen Bosch-Festivals sein, das auch Theater, Performance und zeitgenössische Kunst miteinbeziehen wird. Programm unter: www.bosch500.nl

Must-sees

Neue Tate Modern, London

Agnes Martin,
Guggenheim

Hieronymus Bosch,
s'Hertogenbosch

Vigée Le Brun,
Metropolitan Museum

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2016)

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