Modernes Bunkern: Comeback der Speis

(c) Anna Neubauer
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Quittensaft und Bärlauchpesto müssen optimal gelagert werden. Nur wo? In der guten alten Vorratskammer.

Es war einmal die Speis. Die Oma in der Kleiderschürze. Der Weichselschnaps, das Grammelschmalz, der fette Speck, der von der Decke baumelte. Heute ist das anders: Kochen muss schnell gehen, Einkaufen auch, gebunkert wird – wenn überhaupt – nur im Kühlschrank, eingekocht wird gar nichts mehr. Wer braucht da noch die Speis? Niemand? Weit gefehlt! In Zeiten, wo Michelle Obama Gemüse anbaut und Gummistiefel und Erdäpfel ab Hof schick sind, entsinnt man sich immer öfter der guten alten Lagerhaltung. Am besten kalkuliert man gleich beim Hausbau eine Speisekammer ein. So wie Felicitas Schöllhuber. Sie hat sich bei ihrem Mann eine Speis „erkämpft“, wie sie sagt – und es nie bereut. Ganz im Gegenteil: Die Speis ist ein Fixpunkt und ihr liebster Raum überhaupt. „Ich bin ein Eichkatzerl“, sagt sie und blickt auf die Regale mit Rindsfond, Marmelade und Senfgurken, alles selbst gemacht und in reichlicher Fülle. „Ich könnt uns locker drei Wochen aus der Speis ernähren.“

Der Kühlschrank bleibt leer

Nicht nur Schöllhuber ist ein Speisekammer-Fan, es werden immer mehr. Jeder Genussmensch liebt die Speis, meint Architekt Andreas Heidl vom gleichnamigen Linzer Büro. Denn „wer gern jausnet, der isst nichts mehr aus dem Kühlschrank. Weil dort ist alles viel zu kalt“, ist er überzeugt. Angenehmer Nebeneffekt: Wer eine gut bestückte Speis hat, bei dem bleibt der Kühlschrank leer, so Heidl. Und das spart dann auch lästige Energiekosten. Nicht zuletzt deshalb hat er in letzter Zeit fünf Speisekammern gebaut.

Seine Tipps für Nachahmer: Die Vorratskammer sollte gut durchlüftet sein, im Idealfall einerseits an den Keller angeschlossen, andrerseits an den Kamin, sodass die Luft zirkulieren kann. Die Frischluftzufuhr passiert entweder über Ziegelsteine mit Schlitzen und Insektengitter oder über ein PVC-Rohr mit Klappe. 15 Grad im Sommer sollten sich dann ausgehen, im Winter sollte die Temperatur nicht unter fünf Grad fallen.

Luft, Licht und Kälte

Doch nicht nur die Temperatur ist wichtig, auch die Luftfeuchtigkeit muss passen. Laut Heidl sollte sie in der kalten Zeit zwischen 30 und 40, und in der warmen Zeit zwischen 60 und 70 Prozent betragen. Um dies zu gewährleisten, sollte die Speis nicht nur in der Nähe der Küche sein, sondern auch an der Nordseite, am besten nicht an einer Außenmauer. Ist dies dennoch der Fall, sollte eine Mauer gewählt werden, auf die keine Sonne fällt. Und ganz wichtig: Um die Temperatur tief halten zu können, darf kein Leichtbau verwendet werden. Was hingegen durchaus empfehlenswert ist: Eine Klimaschutztür, so Heidl. Die kostet zwar 1500Euro mehr als eine herkömmliche, zahlt sich aber aus, weil sie die Temperaturunterschiede ausgleicht.

Doch Klima hin und her, auch eine perfekte Übersicht und Ordnung will überlegt sein. Im Idealfall sind die Waren in Griffhöhe. Je weniger tief die Regale, umso besser. „Am besten nur ein Glas ins Regal stellen, weil das zweite, das dahinter steht, findet man sowieso nicht mehr“, sagt Heidl. Für Fleischtiger bietet sich ein so genanntes Fleischkastl an, das eine separate Belüftung hat. Allzu viel Platz sollte man allerdings nicht verbauen, Heidl empfiehlt kleine Speisekammern mit bloß drei Quadratmetern. Aus gutem Grund: Denn im kleinen Raum kann man das Klima leichter stabil halten. Zählt man alle Aufwendungen zusammen, kommt die Speis auf rund 3500 Euro. Für Bernd Neuhauser vom Architektenbüro G3 macht sich der Aufwand allemal bezahlt - nicht als Warenlager sondern auch als Abstellkammer. „Alle wollen offene Küchen und die schaun halt nur leer gut aus“, sagt er. Deshalb wird in der Speis nicht selten das verstaut, was nicht so toll ausschaut, wie zum Beispiel die Bierkiste.

Schwarzschimmel erwünscht

Neuhauser selbst hat sich zusätzlich zur Speisekammer übrigens auch einen Erdkeller gebaut. So wie früher, ohne Abdichtung und Isolierung. Das Klima sei ideal für Sauerkraut und Erdäpfel, sagt er. Abgeschaut hat er sich die Lagerhaltung vom alten Bauernhaus. Dort gab es nämlich nicht nur eine Speis, sondern gleich mehrere: Den „Feuchtboden“ aus Most-, Kartoffel-, und Krautkeller und den „Trockenboden“ für Nüsse, Tee und Früchte. Denn jedes Lebensmittel braucht eine andere Lagerung. Und ein anderes Klima: Bei Neuhauser kann es da schon mal das Grundwasser raufdrücken – und auch der Schwarzschimmel blüht am Weinetikett. Das stört ihn aber nicht. Ganz im Gegenteil...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2010)

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