Psychiatrie: „Vollgepumpt und mit Fesseln fixiert“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ein Patienten-Angehöriger klagt Willkür, Anfeindung und mangelnde Hygiene am Otto-Wagner-Spital an.

WIEN. Vor der Psychiatrie-Untersuchungskommission des Wiener Gemeinderates darf er nicht aussagen: Jetzt hat Robert Seidl eine Einladung der Wiener ÖVP angenommen, um im Rahmen eines Pressegesprächs über seine Erfahrungen als Angehöriger eines Psychiatrie-Patienten zu berichten. Und sein Resümee ist erschütternd: „Menschenunwürdig, erniedrigend, fast wie bei einem skandalösen Tiertransport.“

Pfleger tranken Kaffee

Seidls Stiefvater war vergangenes Jahr ins Otto-Wagner-Spital gebracht worden. Und auch für die Angehörigen begann eine schlimme Zeit: „Wir haben nicht damit gerechnet, dass er gleich zwei Wochen lang mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt und mit Fesseln fixiert wird“, erzählt Seidl. Die Probleme gingen aber weiter: Niemand habe sich um den schwachen Patienten gekümmert, er habe wochenlang nicht genug Nahrung und auch nicht genug zu Trinken bekommen. „Trotz mehrfacher Bitten um Getränke sind wir immer wieder vertröstet worden, während die Pfleger lachten und Kaffee tranken“, beklagt Seidl die Gleichgültigkeit des Personals.

Auch die Hygiene sei zu kurz gekommen: „Einmal musste er während unseres Besuches aufs Klo. Wir wollten mit ihm gehen, aber die Pfleger sperrten für uns nicht das Netzbett auf, sondern meinten, er solle ins Bett machen.“ Und am Tag der Entlassung, so Seidl, sei der Stiefvater schmutzig und voll Exkremente gewesen, die offenbar schon Tage alt waren.

Neben der Willkür des Personals habe es auch ständig Anfeindungen gegen die Angehörigen gegeben. „Sie sind unser Feindbild – das wurde uns offen gesagt, wenn wir uns beschwerten“, sagt Seidl, der auch vor der U-Kommission gerne aussagen würde: „Ich hätte genug zu erzählen.“

Unzensurierte Aussagen

VP-Gesundheitssprecherin Ingrid Korosec zu den Aussagen Seidls: „Patienten, Angehörige und betreuende Organisationen wollen vor der Kommission aussagen. Aber die SPÖ-Mehrheit lehnt alle Anträge, kritische Zeugen zu befragen, ab.“ Die SPÖ argumentiert bis dato, dass Patienten und Angehörige „nicht vor eine U-Kommission gezerrt werden sollen“, was eine starke emotionale Belastung sein würde.

Mit der Pressekonferenz wollte die VP Angehörigen jetzt die Möglichkeit geben, „unzensuriert“ Vorwürfe publik machen. Interessant war dabei auch die Aussage Seidls, dass es seit Bekanntwerden der Vorwürfe im Vorjahr keinerlei Kontakt zu den Verantwortlichen der Stadt gegeben habe. „An uns ist niemand herangetreten.“ Sowohl vom Krankenanstaltenverbund als auch vom Wiener Gesundheitsressort hatte es aber geheißen, dass alle Vorwürfe lückenlos geprüft worden seien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2008)

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